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Foto: FLORENCE LO / REUTERS

Vor wenigen Tagen wurde in Russland ein neues Zensurgesetz beschlossen. Mit bis zu 15 Jahren Haft und hohen Geldstrafen werden all jene bedroht, die es wagen, den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auch als solchen zu bezeichnen. Damit will die Regierung rund um den alles bestimmenden Präsidenten Wladimir Putin die offizielle – und faktisch falsche – Bezeichnung als "Spezialoperation" zur "Entnazifizierung" der Ukraine durchsetzen.

Reaktionen

Als Reaktion darauf haben mittlerweile viele westliche Medien ihre Berichterstattung aus Russland eingestellt, andere diese zumindest stark beschränkt. Nun zieht eine der gerade bei jungen Nutzern in Russland und der Ukraine beliebtesten Plattformen die Konsequenzen: Tiktok schränkt den eigenen Dienst innerhalb Russlands massiv ein.

Mit sofortiger Wirkung ist es in Russland nicht mehr möglich, neue Videos hochzuladen oder Livestreams zu starten. In einer Stellungnahme betont das Unternehmen, dass man durch die neue Gesetzeslage zu dem Schritt gezwungen wurde. So wichtig es gerade in der Zeit eines Krieges und der damit verbundenen Isolation sei, dass die Nutzer sich ausdrücken können, die Sicherheit sowohl der eigenen Angestellten als auch der User gehe vor.

Gefahr

Mit dem euphemistisch benannten Gesetz gegen angebliche "Falschnachrichten" könne ebendiese Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden, da hier User sich selbst in Schwierigkeiten bringen könnten. Hersteller Bytedance betont nun, dass man die Situation weiter analysieren wolle, um über die nächsten Schritte zu entscheiden. Die Möglichkeit, private Nachrichten mit anderen auszutauschen, sei von der Sperre nicht betroffen, sie soll also uneingeschränkt weiter funktionieren.

Lage bleibt unsicher

Abzuwarten bleibt, ob das den russischen Zensoren reicht – heißt es doch, dass russische User sehr wohl weiterhin Videos über den Ukraine-Krieg sehen können, darunter auch solche, die der staatlichen Darstellung des Geschehens widersprechen. Genau aus diesem Grund sind etwa Facebook und Twitter in Russland derzeit gar nicht oder nur mehr eingeschränkt zu erreichen.

Tiktok hat sich in den vergangenen Wochen neben Telegram als eine der wichtigsten Plattformen für direkte Berichte über den Ukraine-Krieg erwiesen – und zwar von beiden Seiten. So wurden in den vergangenen Tagen viele Berichte über Antikriegsproteste in Russland via Tiktok in die Welt gestreamt. In der Ukraine selbst verwenden wiederum viele die Plattform, um die Realität des Krieges aufzuzeigen – in seiner ungeschönten Form.

Viel Interesse

Ein Paradebeispiel sind dafür etwa die Videos der in Kiew wohnenden Tiktok-Influencerin Marta Wasjuta. Die Clips der Zwanzigjährigen bringen es mittlerweile zum Teil auf Aufrufe im zweistelligen Millionenbereich. Darin mischt sie den Alltag ihrer Familie zwischen ganz normalen Aktivitäten wie Kochen und Putzen mit der regelmäßigen Flucht in Luftschutzkeller und Aufnahmen der Zerstörungen durch Angriffe des russischen Militärs.

Neben dieser positiven Seite von Tiktok gibt es aber auch eine andere. So wird die Plattform seit Beginn des Krieges mit Falschnachrichten und Propaganda über den Stand der Kampfhandlungen geflutet – und zwar ebenfalls von beiden Seiten. Dabei kursieren etwa veraltete Aufnahmen und manipulierte Videos, die für die User auf den ersten Blick nur schwer einzuordnen sind.

Absperren von Information

Bislang scheint aber die Ukraine den "Social-Media-Krieg" zu gewinnen. Mit Memes und direkten Berichten einzelner User hat man dem Narrativ der sauberen Spezialaktion auch in Russland Schaden zugefügt – zumindest bei jüngeren, internetaffinen Usern. Eine komplette Sperre von Tiktok würde also nicht zuletzt einen weiteren Kanal jenseits der staatlichen Propaganda schließen.

Insofern muss sich erst zeigen, wie die russische Medienaufsicht auf diese Ankündigung reagiert. Immerhin weiß man auch dort, dass sich die neuen Beschränkungen relativ leicht umgehen lassen, indem die Nutzerinnen in Russland einfach einen VPN-Dienst einsetzen, der ihre Inhalte beim Hochladen über ein anderes Land umleitet.

Vor allem aber werden damit eben weiterhin der Darstellung des Kreml widersprechende Berichte nach Russland gebracht – übrigens auch von Tiktok selbst: In seiner Mitteilung spricht der chinesische Hersteller explizit vom "Ukraine-Krieg" – etwas, das in Russland verboten ist. (Andreas Proschofsky, 7.3.2022)