Dort, wo die flüchtenden Frauen ankommen, gibt es nicht nur gut gemeinte Hilfsangebote.

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Artilleriebeschuss, Luftalarm, Versorgungsengpässe: Die humanitäre Lage in der Ukraine verschlechtert sich zunehmend. In einigen Gebieten gibt es weder Strom noch Gas noch Wasser, die medizinische Versorgung ist Hilfsorganisationen zufolge enorm eingeschränkt. Die, die können, fliehen – mehr als zwei Millionen Menschen haben mittlerweile die Ukraine verlassen, die meisten davon sind Frauen und Kinder. Für Männer zwischen 18 und 60 Jahren gilt die Generalmobilmachung – ihnen wird die Flucht verwehrt. Allein flüchtende Frauen sind allerdings großen Risiken ausgesetzt, zuletzt sorgten Berichte über Menschenhandel an der Grenze für Besorgnis.

Anfang der Woche konnte die Migrantinnenorganisation LEFÖ, Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, ein Treffen mit ukrainischen NGOs organisieren. "In manchen Regionen gibt es kein Essen mehr zu kaufen, und es finden die 'üblichen Geschichten' von sexualisierter Gewalt statt", erzählt LEFÖ-Leiterin Evelyn Probst von den Berichten ukrainischer Helferinnen. Eine von ihnen ist Kateryna Cherepakha, Direktorin der NGO La Strada. Der Verein engagiert sich gegen Menschenhandel und Gewalt gegen Frauen und Kinder. Cherepakha hat sich inzwischen etwa 60 Kilometer von Kiew entfernt einen etwas sichereren Ort gesucht. Von einigen Kolleginnen weiß sie nicht, wo sie sind und wie es ihnen geht. Die Beratungen von La Strada finden jetzt nur mehr online statt. Aus den Hilferufen, die seit Russlands Angriff hereinkommen, wissen Cherepakha und ihre Kolleginnen von massiver sexualisierter Gewalt. Es soll sowohl Vergewaltigungen durch russische Soldaten geben als auch sexualisierte Gewalt in den Bunkern, in die sich die Menschen vor Angriffen flüchten.

Überteuerte Angebote

Die NGOs aus der Ukraine verlangen dringend einen humanitären Korridor und dass andere Länder präventiv gegen Menschenhandel vorgehen, von dem jetzt Flüchtende bedroht sind.

In den an die Ukraine grenzenden Ländern herrscht derzeit eine enorme Hilfsbereitschaft, Ankunft und Aufnahme der Flüchtlinge verläuft oft unbürokratisch, auch weil die EU entschied, Betroffenen im gesamten EU-Gebiet temporären Schutz zu gewähren. Dennoch bereitet die aktuelle Lage an den Grenzen und Ankunftsorten für geflüchtete Frauen NGOs Sorgen. Probst betont, dass es jetzt zentral sei, Frauen darüber zu informieren, wie die Situation aussieht und was ihre Rechte sind. Etwa dass sie derzeit in den angrenzenden Staaten kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können. Innerhalb der Ukraine, wo Menschen von einem Ort zu anderen flüchten, werden derzeit überteuerte Transportpreise angeboten, erzählt Probst. "Für Menschen, die sehr gestresst sind und Panik haben, ist es wichtig, immer wieder diese Informationen zu bekommen, um sich orientieren und die aktuelle Situation verstehen zu können."

"Menschenhändler geben falsche Versprechungen an Frauen, die teils mit nichts an der Grenze oder Bahnhöfen stehen", sagt Evelyn Probst von LEFÖ. Sie bieten eine Mitfahrgelegenheit oder eine Unterkunft an – Betroffene könnten dann "in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten oder unter Druck Dinge machen, die sie nicht machen wollen", warnt Probst. Neben sexueller Ausbeutung sei Arbeitsausbeutung ein Thema.

Es braucht eine permanente Sensibilisierung der Behörden, sagt Probst.
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Um Frauen vor unseriösen Angeboten zu schützen, wird teils mit Flyern vor Frauenhandel gewarnt. LEFÖ hat via Facebook gepostet, wie man sich schützen kann: So ist es etwa wichtig, in kleinen Gruppen zu bleiben, Bekannte und Familie zu informieren, mit wem man mitgefahren ist, und ein Foto vom Autokennzeichen schicken. Und Betroffene müssten auch wissen, dass es für sie absolut keinen Grund dafür gibt, den Pass herzugeben, und sie kein Geld für Hilfeleistungen zahlen müssen.

Laufende Sensibilisierung

In den Jahren 2017 und 2018 wurden in der EU insgesamt rund 14.000 Opfer von Menschenhandel gemeldet – wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte. Die Hälfte der in der EU ermittelten Opfer sind keine EU-Staatsbürger:innen. Auf 14 Milliarden Euro wurden allein Einnahmen des für sexuelle Ausbeutung betriebenen Menschenhandels in der EU in einem Jahr geschätzt. Mit der EU-Menschenhandelsrichtlinie von 2011 war ein "integriertes, ganzheitliches und menschenrechtsbasiertes Vorgehen" bei der Bekämpfung von Menschenhandel vorgesehen. Probst bezeichnet diese als "relativ gut", sie sei auch in Österreich gesetzlich sehr gut umgesetzt. "Aber was es noch braucht, ist eine permanente Sensibilisierung der Behörden, sodass sie Betroffene erkennen und genau wissen, was sie tun müssen." Laufende Schulungen und Anleitungen seien in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

"Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass sich Betroffene keine Hilfe suchen, weil sie glauben, sie sind ja eh selbst dafür verantwortlich", sagt Probst. Menschenhändler:innen würden ihnen einreden, dass sie ihnen etwas schuldig seien. Das bringt Frauen in einen Zirkel aus Abhängigkeit und Hilflosigkeit, dem schwer zu entkommen ist. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 10.3.2022)