Vor mehr als 30 Jahren konnte man sich sagen: Der kommunistische "Ostblock" ist zusammengebrochen, die Bedrohung ist weg, die Völker Osteuropas können sich aus Unterdrückung und Rückständigkeit befreien. Das ist nach übereinstimmender Meinung führender Politiker und Experten vorbei. Wladimir Putin will nicht nur in einem großrussischen Wahn die Ukraine unterwerfen, sondern er hat gleichzeitig der liberalen Weltordnung den Krieg erklärt.

Er hält den demokratischen, kulturell offenen "Westen" für den Feind schlechthin. Er habe das heilige Russland ständig an seiner Entwicklung gehindert (in Wahrheit ist diese Entwicklung am eigenen, unfreien Gesellschaftssystem, egal ob kommunistisch oder nationalistisch, gescheitert). Putin glaubt, dass die Zeit des liberalen Westens vorbei ist und die Welt ab nun den autoritären Herrschern gehört. Das Unangenehme dabei ist, dass der chinesische Führer Xi Jinping das ebenfalls glaubt und ebenfalls an der Umsetzung arbeitet.

Russlands Präsident Wladimir Putin und der chinesische Führer Xi Jinping.
Foto: imago images/SNA

Die beiden Erniedrigten und Beleidigten kündigten nun an, sich gegen die Dominanz des Westens zu vereinen. In der gemeinsamen Erklärung von Putin und Xi beim Treffen in Peking am 4. Februar heißt es: "Ein Trend zur Neuverteilung der Macht in der Welt zeichnet sich ab." Wie sich das umsetzen lässt, ist noch nicht klar. China hat den Krieg in der Ukraine nicht verurteilt, aber auch nicht wirklich unterstützt. Im Ernstfall sehen die Chinesen Putin höchstens als Juniorpartner. Die Chinesen sehen, dass die westlichen Sanktionen Russland wirklich schaden. Allerdings ist der Westen von chinesischer Produktion mindestens so abhängig wie von russischer Energie. Und Xi Jinping will zu seinen Regierungszeiten noch Taiwan heim ins Reich holen.

Freiheit und Wohlstand

Dazu fällt Timothy Garton Ash, dem eminenten britischen Historiker und Osteuropa-Kenner, nur das berühmte Diktum von Winston Churchill aus den dunkelsten Tagen des Zweiten Weltkriegs ein: Auf Europa, auf den Westen warten "blood, sweat and tears". Was das praktisch bedeutet, ist in Umrissen abzusehen: weiter Waffen für die Ukraine, "wir werden jeden Zentimeter Nato-Gebiet verteidigen" (Joe Biden), Sanktionen, die "Russland den Weg in eine Zukunft des Wohlstands abschneiden könnten", Entwöhnung von russischem Gas und Öl, aber auch von chinesischer Produktion, eine Konfrontation mit China wegen Taiwan.

Fast zu viel, um daran zu glauben, dass ein "schwacher, uneiniger, dekadenter" Westen das stemmen könnte. Wobei noch gar nicht sicher ist, ob die Wähler da mitmachen, vor allem, wenn das alles eine Weltrezession auslöst. Andererseits: Wer will schon leben wie in Russland, wo eine wirklich ultrareaktionäre orthodoxe Kirche großen gesellschaftlichen Einfluss hat? In Russland, das beim BIP pro Kopf (kaufkraftbereinigt) an 58. Stelle liegt (Statistik von 2019, durch Sanktionen viel schlechter)? Und wer will schon in einer digitalen Überwachungsdiktatur leben wie China?

Der Westen hat nicht nur seine gesellschaftliche Freiheit, sondern auch seinen Wohlstand zu verteidigen. Seine Einigkeit bisher ist bemerkenswert. "Obwohl es nicht leicht zu sehen ist, wie Putin sein größeres Ziel eines Großrussland erreichen kann, sehen wir uns trotzdem vor einem langen und entmutigendem Weg" (Francis Fukuyama). Aber es wird wohl nichts anderes übrig bleiben, wenn wir nicht die Vasallen des chinesischen Vasallen Russland sein wollen. (Hans Rauscher, 12.3.2022)