Es gab keinen legitimen Grund für Wladimir Putin, die Ukraine anzugreifen. Aber – da haben Kritiker der westlichen Politik recht – auch die USA haben durch eine fragwürdige Diplomatie dazu beigetragen, dass das Land in diese Lage geraten ist.

Seit dem Nato-Gipfel 2008 haben republikanische und demokratische US-Präsidenten der Ukraine eine bilaterale Partnerschaft und eine Integration in die Nato in Aussicht gestellt, ohne die russische Reaktion ausreichend zu berücksichtigen. In Moskau wurde diese Annäherung als Bedrohung und Provokation betrachtet, was schließlich im Überfall auf das Nachbarland gipfelte.

Zwar steigerte sich in diesen Jahren die US-Hilfe für die Ukraine von Jahr zu Jahr mit Geld, Worten und leichten defensiven Waffen, aber diese Unterstützung war zu wenig, um das Land vor einer russischen Aggression zu schützen. Die Ukraine fand sich dadurch gegenüber Russland in der schlechtesten aller Welten: in den Köpfen von Putin und seinen Leuten eine akute Gefahr, in der Realität aber zu schwach, um sich gegen einen Großangriff zu verteidigen.

US-Präsident Joe Bidens Regierung hat mit viel Geschick den Westen gegen Russland vereint.
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Dass sich die ukrainische Armee viel besser schlägt als erwartet und die russischen Streitkräfte vielfach versagen, macht die Lage nicht besser: Denn Putin hat die militärischen Ressourcen, diesen Krieg weiterzuführen, und er ist kaltblütig genug, für seine Ziele die Ukraine dem Erdboden gleichzumachen.

Putins brutale Sprache der Realpolitik

Niemand kennt heute einen Ausweg aus dieser politischen, ökonomischen und vor allem humanitären Katastrophe. Der Schlüssel liegt bei Putin, doch dieser setzt auf Eskalation. Allerdings hat auch US-Präsident Joe Biden mehr Möglichkeiten, als er derzeit einsetzt.

Seine Regierung hat mit viel Geschick den Westen gegen Russland vereint, doch schreckt sie vor einer stärkeren militärischen Unterstützung seines schwachen Verbündeten zurück. Dafür gibt es gute Gründe; ein Krieg zwischen zwei Atommächten ist eine grässliche Aussicht. Aber ohne Lieferung von schweren Waffen oder die Einrichtung einer Flugverbotszone hat die Ukraine kaum eine Chance gegen die überlegene russische Armee. Und Putin setzt die Angst im Westen vor dem Atomkrieg bewusst ein, damit die Ukraine allein bleibt.

Wenn militärisch nicht mehr geht, dann müssten die USA ihr diplomatisches Gewicht stärker einsetzen. Für Putin ist nur Washington ein ernsthafter Verhandlungspartner, er sieht die Ukraine als Nebenschauplatz seiner Konfrontation mit den USA. Und in diesen Gesprächen hat das Weiße Haus keine Wahl, als Putins brutale Sprache der Realpolitik zu sprechen – ihn offen zu fragen, was er will und womit er sich zufriedengeben würde. Ein höheres militärisches Drohpotenzial würde die US-Position dabei stärken; Bidens dauernde Warnungen vor dem Dritten Weltkrieg sind zwar ehrlich gemeint, aber für Verhandlungen nicht nützlich.

Genauso wenig hilft die Beschwörung hehrer völkerrechtlicher Prinzipien. Putin wird die Waffen wohl nur niederlegen, wenn er Gewinne vorweisen kann, die über eine Neutralität der Ukraine und die Anerkennung von Krim und Donbass-Republiken hinausgehen. Präsident Wolodymyr Selenskyj weiß das, aber er braucht die Rückendeckung der USA, um innenpolitisch jene schmerzhaften territorialen Zugeständnisse durchzusetzen, die notwendig sind, um sein Land vor der Vernichtung zu bewahren. (Eric Frey, 15.3.2022)