Ein Bild aus dem Sommer 2021 – zu dieser Zeit soll Sophie Karmasin, ehemalige Familienministerin für die ÖVP, noch versucht haben, Ausschreibungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen, in dem sie Mitbieterinnen überredet haben soll, höhere Angebote als sie zu legen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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Die sogenannte Untersuchungshaft ist eines der schärfsten Mittel der Ermittlungsbehörden: Wenn Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht oder die Ermittler befürchten, dass eine neue Straftat begangen wird, können Beschuldigte auch während laufender Ermittlungen bereits in Haft genommen werden.

Seit 2. März kommt dieses Mittel – die Untersuchungshaft – nun bei der ehemaligen Familienministerin Sophie Karmasin zur Anwendung. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft verdächtigt sie, "Urheberin und maßgebliche Ideengeberin" des sogenannten "B.-Österreich-Tools" gewesen zu sein, von dem der damalige Außenminister und spätere Bundeskanzler Sebastian Kurz und die ÖVP mittels vom Steuerzahler finanzierter Umfragen profitiert haben sollen. Karmasin ist die Einzige, die in dieser sogenannten Inseratenaffäre im Gefängnis sitzt. Das, aber vor allem die Tatsache, dass ein Enthaftungsantrag ihrer Anwälte am Montag abgewiesen wurde, sorgte mitunter für Überraschung.

Wie der Richter argumentiert

Der zuständige Richter begründet den dringenden Tatverdacht ausführlich – und zwar für jedes Delikt, das Karmasin vorgeworfen wird: Untreue (bzw. Bestechung, Bestechlichkeit), Geldwäscherei und wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Vergabeverfahren. Noch im Sommer 2021, als die Chats von Thomas Schmid schon öffentlich waren, habe Karmasin versucht, Ausschreibungen im Sportministerium zu ihren Gunsten zu beeinflussen. "Tatbegehungsgefahr kann dabei auch schon hauptsächlich auf den langen Deliktszeitraum gestützt werden", heißt es unter anderem im Beschluss vom 5. März. Das behauptete "Wohlverhalten" von Karmasin seit der Hausdurchsuchung im Herbst 2021 entkräfte diesen Umstand nicht, schreibt der Richter.

Das Fazit war damals klar: "In Summe besteht für das erkennende Gericht somit kein Zweifel, dass aufgrund der augenscheinlich hohen kriminellen Energie der Beschuldigten zu befürchten ist, die Beschuldigte werde auf freiem Fuß erneut strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten Folgen gegen fremdes Vermögen (...) begehen." An dieser Argumentation dürfte sich auch bei der aktuellen Prüfung nichts geändert haben.

Die nächste Haftprüfung ist in einem Monat, Karmasins Anwälte können aber auch vorher gegen den Beschluss Beschwerde einlegen. Prinzipiell kann die Enthaltung jederzeit von der Beschuldigten beantragt werden.

U-Haft in Wirtschaftsstrafsachen "ganz selten"

Als falsch bezeichnen will die Entscheidung zwar niemand – immerhin wurde sie von einem unabhängigen Haftrichter gefällt –, dennoch fragen manche Beobachterinnen und Beobachter, ob das Mittel nicht unverhältnismäßig sei. In Wirtschaftsstrafsachen sehe man es "ganz selten, dass Verdächtige in Untersuchungshaft genommen werden", sagte Robert Kert vom Institut für Wirtschaftsstrafrecht der Wirtschaftsuniversität Wien in der "ZiB 2". Kert bezeichnet es als "außergewöhnlich", dass im Fall Karmasin U-Haft verhängt wurde, immerhin sei die nicht einmal im Fall Grasser angewendet worden.

Kommunikationsberaterin sieht "unverhältnismäßige Härte"

Laut Kert müssen für die Argumentation einer Tatbegehungsgefahr "hohe Anforderung" erfüllt werden. "Bei einer kriminellen Organisation könnte man so was eher annehmen als in diesen Fällen." Karmasins Anwälte weisen darauf hin, dass sie die Geschäftsführung ihres Unternehmens zurückgelegt habe, die Website sei außerdem gelöscht. Im Fall einer Enthaftung würde Karmasin wohl unter Hausarrest stehen.

Die Kommunikationsberaterin Christina Aumayr-Hajek wundert sich über die Verlängerung der U-Haft für die Ex-Ministerin. Karmasin sei "verstrahlt. Wer soll Frau Karmasin noch beauftragen? Niemand. Diese Härte ist unverhältnismäßig. Vor allem angesichts der Kaliber, die noch frei herumlaufen", schreibt sie auf Twitter.

Auf den Umstand, dass Karmasin keine Aufträge der öffentlichen Hand mehr abwickle, geht der Haftrichter in seiner Begründung ein. Diesem Argument kann er allerdings nichts abgewinnen, "hat die Beschuldigte doch nach der derzeitigen Verdachtslage wiederholt neue Ideen für (strafrechtlich relevante) Geschäftsmodelle und durchaus kreative Verschleierungsgeschäfte zum eigenen Vorteil entwickelt". Dass Karmasin angeführt habe, dass sie "keinen dringenden Bedarf habe, finanzielle Mittel aufzustellen, sie habe einen Mann und keine Schulden", wie es in der Argumentation von Karmasin steht, lässt der Richter ebenfalls nicht gelten. Immerhin hatte sie doch auch "während der inkriminierten Zeiträume erst Recht keinen 'dringenden Bedarf' nach finanziellen Mitteln und setzte nach derzeitigem Tatverdacht trotzdem laufend strafbare Handlungen gegen fremdes Vermögen".

Der Rechtsanwalt Wilfried Embacher – er war der Anwalt der Jugendlichen Tina, die zunächst nach Georgien abgeschoben wurde und mittlerweile mit einem Schülervisum wieder in Österreich ist – verweist auf die generellen Probleme mit der Untersuchungshaft. Diese werde "noch immer zu oft überschießend verhängt. Die Ex-Ministerin ist da (vielleicht) keine Ausnahme, aber nicht der geeignetste Fall, das Problem zu diskutieren." Auch der Fall von Julian H. – der "Drahtzieher" des Ibiza-Videos sitzt seit knapp einem Jahr in U-Haft, allerdings wegen mutmaßlicher Drogenverkäufe – sei ungewöhnlich und nicht der Haftalltag, sagt Embacher.

Beschränkte Dauer

Immer wieder wird Kritik geäußert, dass in Österreich zu oft und zu lang Untersuchungshaft verhängt werde, teilweise kam der Vorwurf auch schon von der Volksanwaltschaft. Die Haft wird nur auf befristete Zeit, die sogenannte Haftfrist, angeordnet. Nach maximal zwei Jahren muss der oder die Beschuldigte freigelassen werden, wenn kein Prozess gestartet wurde. Die U-Haft darf nur dann länger als sechs Monate aufrechterhalten werden, wenn sich dies wegen besonderer Schwierigkeiten oder wegen des besonderen Umfangs der Untersuchung nicht vermeiden lässt. So viel zur Theorie. 2015 befanden sich in Österreich laut einer Untersuchung des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) Untersuchungsgefangene durchschnittlich 80 Tage in Haft und damit um rund zwei Wochen länger als im Jahr 2003.

Befürchtung, dass präventive Gründe zunehmen

Falls es tatsächlich einen Trend zur U-Haft in Österreich gibt, wo könnten die Gründe dafür liegen? Helmut Fuchs, Professor für Strafrecht an der Uni Wien, meint: "Ich glaube, dahinter steckt ein Bedürfnis der Öffentlichkeit, dass immer sofort etwas geschehen muss." Auch in der IRKS-Studie wird dieses Thema angeschnitten: "Wir beobachten gesellschaftliche Veränderungen und damit verbunden Wahrnehmungen sinkender Sicherheit, die von gesellschaftlichen Gruppierungen genutzt werden, die Ausweitungen von Kontrollmaßnahmen und mehr Freiheitsbeschränkungen anstreben. Dies gibt Grund zur Befürchtung, dass präventive Gründe in der Untersuchungshaftpraxis generell zunehmen werden und so die Haftzahlen steigen werden."

In Anbetracht der Definition von Untersuchungshaft als einer Ausnahme und angesichts der Unschuldsvermutung seien Strategien, die Untersuchungshaft als Präventionsmaßnahme einzusetzen, aber "heikel und auch umstritten".

Wenig Vertrauen in EU-weite Zusammenarbeit

Eine Besonderheit im EU-Vergleich ist laut den Expertinnen und Experten jedenfalls der Anteil ausländischer Beschuldigter in U-Haft. Zwischen 2001 und 2004 erhöhte sich die Zahl der Untersuchungshäftlinge mit nichtösterreichischer Staatsangehörigkeit sprunghaft um über 70 Prozent, insgesamt stieg sie von 2001 bis 2019 (aktuelles Berichtsjahr) um 166 Prozent. In der IRKS-Studie heißt es dazu, dass ausländische Staatsangehörige nicht unterschiedlich behandelt werden dürften. Manche Richterinnen und Staatsanwälte seien aber "noch immer zurückhaltend, wenn es darum geht, ausländische Beschuldigte aus einer Untersuchungshaft zu entlassen – auch Staatsangehörige anderer EU-Staaten". Hintergrund sei ein Mangel an Vertrauen in grenzüberschreitende Kooperationen und bzw. oder in andere Rechtssysteme. (Lara Hagen, 15.3.2022)