Die Struktur eines Mauerwerks gibt den Profis Hinweise darauf, wann es errichtet wurde.

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Stemmeisen, Hammer, Skalpell: Diese Werkzeuge braucht es, um der Geschichte eines alten Hauses auf den Grund zu gehen. Das ist etwa dann nötig, wenn ein Haus, das unter Denkmalschutz steht, baulich verändert werden soll. Denn dann verlangt das Bundesdenkmalamt ein Gutachten. So wird entschieden, was erhalten werden muss und was verändert werden kann.

Der Kunsthistoriker Günther Buchinger ist ein Denkmalforscher. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen wie Archäologie, Geschichte, Restaurierung versucht er, alte Häuser zu verstehen. Wie? Im besten Fall stehen am Anfang Vermessungs pläne. Als Nächstes kommen Restauratorinnen und Restauratoren zum Zug, die mit dem Skalpell Oberfläche für Oberfläche bis zum Verputz der Mauer abtragen. "Das können 40 bis 50 Schichten sein", sagt Buchinger. Das sei ein wichtiger Hinweis auf das Alter eines Bauteils.

Später rücken Bauarchäologinnen und -archäologen mit Hammer und Stemmeisen an und legen an kleinen Stellen das Mauerwerk frei. So lässt sich beispielsweise an Ecken herausfinden, ob Mauern miteinander verzahnt sind, sie also gleichzeitig errichtet wurden, oder ob eine Mauer bloß "angestellt", weil später errichtet wurde. Auch die Struktur des Mauerwerkes – die Art, wie die Steine versetzt wurden – gibt Hinweise auf die Bauzeit.

Holzproben werden datiert

Dann schlägt die Stunde der Kunstgeschichte. Günther Buchinger analysiert zum Beispiel Gewölbe, Portale und Fresken. Und auch die Dendrochronologie kommt in den alten Häusern zum Einsatz: In Kooperation mit der Universität für Bodenkultur werden Holzproben, etwa aus dem Dachstuhl, analysiert und datiert. Somit weiß man, wann der Baum gefällt wurde, was Rückschlüsse auf die Bauzeit zulässt.

Schließlich gräbt sich ein Archivar oder eine Archivarin durch die historischen Grundbücher von Bezirksgerichten, die bis etwa 1850 zurückreichen. 1848 wurden die Grundherrschaften abgeschafft. Bis dahin gab es Grundbücher von unterschiedlichen Grundherren, die sich heute etwa in Landesarchiven oder in Klöstern befinden. Mit entsprechenden Kenntnissen von Sprache (oft Latein) und alter Schrift lassen sich nicht nur die Namen früherer Besitzer, sondern auch deren Berufe und sogar alte Inventarlisten ausheben. "Mit Glück kommt man bis ins 15. Jahrhundert zurück", sagt Buchinger. Die Berufe lassen Rückschlüsse auf die Nutzung bestimmter Räume zu. Ein Handwerker hat wohl eine Werkstatt gehabt, "Spuren davon kann man dann suchen".

In der Denkmalforschung braucht es aber auch Mut zur Lücke: Viele Fragen bleiben auch bei akribischster Recherche durch den Verlust von Bausubstanz oder wichtigen Archivalien unbeantwortet.

Am Ende werden alle Erkenntnisse in ein Gutachten gegossen, außerdem Baualterspläne übergeben, die in einem historisch gewachsenen Haus recht bunt ausfallen, weil jeder Bauteil einer bestimmten Phase und somit Farbe zugeordnet wird. Und dann? "Im Idealfall sind die Eigentümer begeistert", sagt Buchinger. Häufig gebe es aber bereits konkrete Umbaupläne, denen das Gutachten einen Strich durch die Rechnung machen kann. Der Dachausbau ist am Ende nicht immer möglich.

Unbezahlbare Schätze

Dafür finden sich in den alten Häusern manchmal andere, unbezahlbare Schätze: In Korneuburg ist Buchinger mit seinem Team einmal auf eine Riemenbalkendecke aus dem frühen 15. Jahrhundert gestoßen. Sie war hinter einer abgehängten Decke aus den 1970er-Jahren und einer schlichten Decke aus dem Barock verborgen.

Die Decke war verziert mit Fladerpapier, einer Art Tapezierung aus Papier mit Holzmarmorierung und Ornamenten. "Das gleiche Tapetenmuster gibt es in einem Haus in Zürich", sagt Buchinger. "Das verrät viel über den Horizont der Leute", sagt der Denkmalforscher. "Man wusste auch damals sehr genau, was gerade en vogue war." (Franziska Zoidl, 22.3.2022)