Anatolij Maslow, CEO von Eliftech, unterstützt parallel zu seinem Daytime-Job auch Flüchtlinge in Lemberg.

Foto: Anatolii Maslov

"Wir verstehen, dass die IT eine der wenigen Branchen ist, die arbeiten und das Geld ins Land bringen können, um uns zum Sieg zu verhelfen", schreibt Anatolij Maslow, CEO von Eliftech, in einem Linkedin-Posting: Dementsprechend bleibt man operativ tätig, man möchte "die Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern und Kunden erfüllen". Im Gegenzug unterstützen die Kunden des IT-Dienstleisters die Bemühungen und sind bereit, im Voraus zu bezahlen und die ukrainische Armee mit benötigten Dingen zu unterstützen.

Eliftech ist nicht das einzige ukrainische IT-Unternehmen, das sich trotz widriger Umstände zum Weiterarbeiten entschieden hat. So heißt es auch von Lametric – einem Start-up, das smarte Uhren für die Wohnung herstellt –, dass man versuche, wieder zu arbeiten. Einfach ist das nicht, weil das Team in Lemberg immer wieder im Luftschutzkeller untertauchen muss, die Familien der Mitarbeiter sind in den meisten Fällen bereits nach Polen geflüchtet.

Tech-Medium mit neuem Fokus

Mit ähnlichen Widrigkeiten kämpft man beim Onlinemedium ITC.ua, wie dessen Chefredakteur Timur Worona in einem Facebook-Posting darlegt. Berichtet man auf der eigenen Plattformen normalerweise über neue Entwicklungen der Tech-Szene, so haben die Teams nun auf Berichterstattung zur aktuellen Lage umgestellt. "Wir werden von mehr als drei Millionen Menschen aus der Ukraine gelesen, und wir glauben, dass sie diese Informationen jetzt mehr brauchen als neue Smartphones", schreibt Worona. Banner auf den Websites rufen außerdem zu Spenden für die ukrainische Armee auf.

Das Posting über die Lage in seinem Land verfasste Timur Worona während eines Boardings zu einem Flug, um seiner Mutter bei der Flucht zu helfen.
Foto: Facebook/Timur Vorona

Die Teammitglieder wiederum erhielten in den ersten Tagen des Krieges Vorschüsse – unter anderem um sich mit Lebensmittelvorräten einzudecken. Wer sich wiederum zur aktiven Landesverteidigung entschließt, der bekommt weiterhin sein Gehalt gezahlt. Mehr denn je fühle er sich für seine 40 Teammitglieder verantwortlich, schreibt Worona: Man werde alles tun, um die Mitarbeiter um jeden Preis zu halten. "Alle Teams arbeiten jetzt noch begeisterter als bisher – wir glauben, dass unsere Inhalte, wenn auch klein, auch ein Beitrag zum Gesamtsieg über den Feind sind", schreibt der Unternehmer. "Das motiviert, zwölf Stunden am Tag ohne freie Tage zu arbeiten. Unsere Journalisten schaffen es, auch aus Bombenunterkünften Texte zu schreiben."

Auf der anderen Seite wiederum wird darauf geachtet, jenen Menschen die Möglichkeit zur Flucht in die Sicherheit zu geben, die diese in Anspruch nehmen wollen. So etwa beim internationalen Spielepublisher Ubisoft, der auch Standorte in der Ukraine hat und dafür sorgte, dass Gehälter vorab gezahlt und zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Außerdem wurden Unterkünfte in den Nachbarländern für jene eingerichtet, die aus der Ukraine fliehen können und wollen.

Hilfe aus Österreich

In Österreich wiederum sind diverse Tech-Unternehmen bemüht, dem Land Hilfe zu leisten – eine Übersicht dazu hat zum Beispiel das Szenemedium Brutkasten zusammengestellt. Demnach spendet etwa der Online-Supermarkt Gurkerl 100.000 Euro an hilfsbedürftige Menschen in der Ukraine, Simona Hübl von i5invest organisierte eine Sachspendensammlung im Wiener Corporate-Innovation-Hub Wexelerate, die Telekommunikationsanbieter A1, Drei und Magenta ermöglichen kostenlose Telefonate und SMS in die und aus der Ukraine. Der Online-Supermarkt Alfies dreht die Logistikkette wiederum kurzerhand um: Man holt Sachspenden bei den Kunden ab und bringt sie zu Sammelstellen der Partner in Wien und Graz.

Eine dieser helfenden Personen ist auch Anna Iarotska, Gründerin und CEO des Start-ups Robo Wunderkind. Normalerweise verkauft sie in verschiedenen Teilen der Welt kleine Roboter, mit denen Kinder spielend programmieren lernen können – nun fällt die gebürtige Ukrainerin vor allem damit auf, dass sie Spenden für die Menschen in ihrem Heimatland sammelt.

Dazu gehören etwa medizinische Kits für in der Armee tätige Sanitäter, wie sie im Gespräch mit dem STANDARD erläutert, inklusive Bandagen und blutgerinnenden Mitteln. Die Produzenten dieser Mittel sind meist in den USA und Israel angesiedelt, Iarotska koordiniert mit Partnern die Einkäufe und die Lieferung in ihr Heimatland. In anderen Fällen sammelt sie für kugelsichere Westen – als Schutz für jene, die sich für einen bewaffneten Kampf entscheiden.

Neue Fachkräfte?

An anderer Stelle wird versucht, zwei Probleme auf einen Schlag zu lösen, indem man aus der Ukraine geflüchteten Fachkräften im Westen einen Job anbietet. Zu diesem Zweck wurde unter anderem die Plattform UA Talents in Berlin geschaffen, die Menschen aus der Ukraine möglichst rasch mit potenziellen Arbeitgebern vernetzen soll. Potenzial gäbe es dabei mehr als genug, wie aus Daten des auf die Ukraine spezialisierten internationalen Personaldienstleisters Daxx hervorgeht: Die Zahl der IT-Fachkräfte in der Ukraine lag zuletzt bei rund 200.000, es gab 36.000 Absolventen technischer Studien, und 85 Prozent der Softwareentwickler sprechen fließend Englisch.

Entsprechend sieht auch Martin Puaschitz, Obmann der Fachgruppe für Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (UBIT) in der Wirtschaftskammer Wien, entsprechendes Potenzial: Allein in der Bundeshauptstadt gäbe es Bedarf für 6.000 IT-Fachkräfte, wie er zuletzt in einer Aussendung betonte. Laut einer Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) liege der Fachkräftebedarf in ganz Österreich bereits bei rund 24.000 Personen. "Wir können den zu uns nach Österreich geflüchteten Menschen nicht nur Sicherheit bieten, sondern sie auch beruflich sehr gut unterstützen. Viele der Betroffenen landen in Wien, wo derzeit rund 6.000 IT-Fachkräfte fehlen. Es wäre daher eine Win-win-Situation für alle Seiten, insbesondere auch für Frauen aus der IT-Branche", sagt Puaschitz.

Die in der Ukraine verbleibenden Unternehmen wiederum haben zur Fachkräftediskussion einen eignen Zugang gefunden. So schreibt Maslow abschließend in seinem Linkedin-Posting, dass man das aktive Abwerben von Mitarbeitern derzeit vorerst beende – es sei denn, die jeweiligen Arbeitgeber haben sich entschlossen, den russischen Einmarsch zu unterstützen. "In diesem Fall nehmen wir gerne Mitarbeiter auf, die nicht für diese Unternehmen arbeiten wollen oder aufgrund ihrer Position entlassen werden", schreibt der Unternehmer. "Wir werden helfen, diese Unternehmen in Stücke zu brechen." (Stefan Mey, 19.3.2022)