Alle Energiekosten explodieren? So einfach ist es nicht. Ein genauerer Blick zeigt deutliche Unterschiede

Andrea spürt es beim Tanken, beim Heizen spürt sie es kaum. Die OP-Schwester aus Großraming in Oberösterreich pendelt je nach Dienstplan drei- bis fünfmal die Woche in das Pyhrn-Eisenwurzen Klinikum nach Steyr. 40 Kilometer hin und zurück. "Unvorstellbar", sagt sie, wenn sie nach den hohen Spritpreisen gefragt wird. 90 Euro habe sie Anfang des Jahres pro Woche für einmal Volltanken bezahlt, erzählt die Oberösterreicherin. Jetzt sind es mehr als 120. Das bedeut gut 120 Euro an Mehrkosten im Monat. Gut 1300 Euro mehr im Jahr, wenn der Preis so bleibt.

Und bei Energie? Da ist es anders. Ihr Fernwärmeversorger hat ihr für 2022 eine Preiserhöhung von 75 Euro vorgeschrieben.

Haushaltsrechnungen von Menschen wie Andrea prägen derzeit die österreichische Politik wie kaum ein anderes Thema. Kein Tag vergeht, an dem nicht Politiker von SPÖ, Neos oder FPÖ Teuerungsbremsen oder Steuerentlastungen fordern als Ausgleich für die steigenden Preise. Schon vor dem Krieg in der Ukraine war das Inflationsthema zentral. Inzwischen ist es neben Krieg und Corona beherrschend geworden. ÖVP und Grüne ringen um eine Linie, um ein neues Entlastungspaket auf den Weg zu bringen.

Ein Warenkorb für alle

Aber bevor die Politik entscheidet, müsste sie wissen, wer genau wie stark von den Preissteigerungen betroffen ist. Ist der Alarmismus um das Thema überhaupt angebracht? Eine Antwort zu finden ist kein simples Unterfangen. Die offizielle Inflationsrate lag im Februar bei 5,9 Prozent. Aber das ist ein Durchschnittswert, berechnet anhand des Warenkorbes für alle Haushalte, der so richtig runtergebrochen für niemanden stimmt. Menschen konsumieren, wohnen, heizen anders.

Am stärksten steigen die Energiekosten laut Inflationsrechnung: Lässt sich zumindest hier ausmachen, wo genau der Schuh drückt? Andrea liest und hört ständig was von teurer Energie, sehen tut sie das bisher nur beim Tanken. Ihre Geschichte scheint auf den ersten Blick außergewöhnlich zu sein. Ist sie aber nicht.

Während die Benzinpreise schon stark gestiegen sind, ist es bei Kosten für Gas, Strom, Fernwärme komplizierter.

Laut Zahlen der Statistik Austria schießen die Ausgaben der Haushalte für Energie derzeit nach oben. Der Gaspreis hat binnen eines Jahres um 64,3 Prozent zugelegt. Jener für Strom um 14,9 Prozent. Bei Fernwärme sind es immerhin noch zwölf Prozent. Warum ist es bei Andrea zum Beispiel viel weniger? Das hat viel damit zu tun, wie Statistik Austria die Preise erhebt. Sie greift dafür nicht auf Daten über die Ausgaben der Haushalte zurück oder bekommt Infos von Energieanbietern.

Der überschätzter Wert

Die Experten der Statistik müssen auf Daten der Regulierungsbehörde E-Control über aktuelle Tarife der Energieanbieter zurückgreifen. Die E-Control weist aus, wie sich Kosten für neue und ältere Kundenverträge verändern. Die Statistiker nehmen ausgewählte Preise möglichst wichtiger Anbieter und bilden daraus einen Durchschnittswert.

Was die Statistiker nicht tun: Sie haben keine Zahlen dazu, wie viele Energiekunden länger laufende Verträge habe, bei denen also Preiserhöhungen noch gar nicht möglich sind. Die Statistiker haben auch keine Daten dazu, wie viele Menschen Kunden der großen Landesenergieversorger sind, die zuletzt Preise moderat angehoben haben, und wie viele Menschen Verträge bei alternativen Anbietern haben, wo es stärker nach oben ging.

Da nur historische Daten dazu genutzt werden können, wie viele Kunden ihre Anbieter wechseln, und diese Daten aus Niedrigpreisphasen stammen, dürfte wohl auch die Zahl jener überschätzt sein, die nun bei höheren Preisen einen Umstieg wagen. Denn Neuverträge sind derzeit viel teurer als Altverträge.

Das führt dazu, dass die Veränderungen bei Energiekosten aktuell überschätzt werden.

Den besten Überblick dazu hat vermutlich Johannes Mayer, Leiter der Volkswirtschaftsabteilung bei der Regulierungsbehörde E-Control. Er sagt: "Den Großteil der Österreicher treffen Preiserhöhungen bisher nicht dramatisch." Nachsatz: "Das kommt im nächsten Winter."

Die E-Control stützt sich bei dieser Analyse auf Zahlen zu Neu- und Bestandsverträgen, sie erhebt auch in Abständen die tatsächlichen Zahlungen der Haushalte für Energie. Beispiel Strom: Während die Statistik Austria fast 15 Prozent Kostenplus ausweist, spricht Mayer bei der E-Control von im Schnitt eher vier Prozent plus.

Das hat mehrere Ursachen: Preisbindung bei Verträgen, weshalb es noch keine Erhöhungen gab. Auch dass im Westen Strom meist regional erzeugt wird. Hier hat sich gar nichts verteuert, während im Osten die Versorger am Großmarkt zukaufen müssen. Da gab es die Preissprünge.

Die Kluft bei Gas

Eine ähnliche Kluft gibt es bei Gas. Rund 1,2 Millionen Haushalte nutzen Gas in Österreich zum Kochen und Heizen, die meisten im Osten. Die großen Marktführer Wien Energie, EVN und Energie Burgenland, allesamt ganz oder mehrheitlich im Besitz der Länder, haben im vergangenen Jahr laut E-Control ihre Verträge umgestellt.

Für einen Großteil der Kunden dieser Unternehmen gilt, dass Preisanpassungen nur einmal im Jahr auf Basis der Preisentwicklung in den vorangegangenen zwölf Monaten erfolgen. Die Anhebung erfolgte mit 1. Februar 2022. Laut E-Control stiegen die Preise für Kunden dabei de facto um 26 Prozent.

Das ist ein großer Brocken, aber deutlich weniger, als sich aus dem Preisindex der Statistik ergibt. Etwa die Hälfte aller Haushalte in Österreich, die Gas nutzen, dürften in diese Gruppe fallen.

Warum hier nicht mehr angehoben wurde? Politische Gründe könnten bei Landesversorgern eine Rolle gespielt haben. Johannes Mayer von der E-Control sagt auch, dass die Gasversorger meist im Frühjahr für ein Jahr im Voraus einkaufen. Noch profitieren die Menschen also von billigeren Preisen aus 2021. Bei kleineren Anbietern gab es mitunter höhere Preissprünge. Aber auch hier ist das im Regelfall nur möglich, wenn die Bindung beim Vertrag ausgelaufen ist. Meist beträgt die Laufzeit ein Jahr. Wer im Herbst 2021 den Anbieter gewechselt hat, dürfte aktuell gut aussteigen.

Das bedeutet natürlich nicht, dass gar niemandem die Teuerung wehtut. Gut zehn bis 20 Prozent jener, die Gas nutzen, haben flexible Float-Verträge. Diese Menschen haben auf billigere Energie spekuliert und verloren: Ihre Preise können nun monatlich erhöht werden. Dann haben nicht alle kleineren Anbieter eine Politik wie die großen Player. Manche versuchen, Preiserhöhungen schneller weiterzugeben. Betroffene gibt es auch bei Strom. Während der große Teil der Menschen wenig spürt, gibt es laut Schätzung der E-Control 100.000 bis 150.000 Kunden, die es stark getroffen hat, weil sie nicht preisgeschützt waren. Vornehmlich passierte das im Osten.

Alarmismus

Was heißt das alles? Zunächst: Die Politik muss nicht sofort in Alarmismus verfallen. Sie hat Zeit zu reagieren. Sie müsste Unterstützung auch nicht per Gießkanne auszahlen, weil die Betroffenheit so unterschiedlich ist. Klar ist aber: Die nächsten Preiserhöhungen kommen. Ob nun unterjährig oder bei Kunden der großen Versorger im Februar und Jänner 2023.

Um die Preisentwicklung zu verstehen, hat DER STANDARD zusätzlich noch mithilfe der Energieagentur versucht, die Kostenveränderungen bei drei typischen Haushalten zu berechnen (siehe unten). Dafür wurden Haushalte in Wien, Niederösterreich und der Steiermark ausgewählt, die bereits fixierten Entlastungen wurden gegengerechnet.

Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild zu dem Beschriebenen: Die Energiepreise steigen vor allem für jene, die auf ein Auto angewiesen sind und mit Öl heizen. So hat ein fiktiver alleinstehender Steirer im März 2021 noch 910 Euro gezahlt, um den Öltank in seinem Haus aufzufüllen. Nun müsste er doppelt so viel hinlegen. Auch der gestiegene Spritpreis drückt auf das Geldbörsel des Pendlers. Er muss für seine Arbeitswege heuer mit Tankstellenrechnungen in der Höhe von 4500 Euro rechnen. Das ist ein Plus von 1740 Euro im Jahr.


Haushalt 1: Familie mit zwei Kindern, lebt in Wolkersdorf (NÖ)

Die Familie wohnt in einem neuen Einfamilienhaus und heizt mit Wärmepumpe. Sie nützt ein E-Auto, das nur zu Hause aufgeladen wird, und ihr Klimaticket. Der Familie steht ein Klimabonus in der Höhe von 501 Euro zu, den Energiekostenzuschuss erhält sie aufgrund ihres hohen Einkommens nicht.

Stromverbrauch pro Jahr: 4.725 kWh Wärmepumpe: 4.000 kWh Elektroauto: 3.000 kWh

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In Summe: 11.725 kWh

Veränderung der Energiekosten:

Strom: +283 €

Öl/Gas: 0 €

Sprit: 0 €

Klimabonus: –501 €

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In Summe pro Jahr: –218 €

Haushalt 2: Pendelnder Single, lebt in Krieglach (Steiermark)

Der Angstellte lebt in einem Mietshaus mit 90 Quadratmetern, das mit einer Ölheizung (1300 Liter pro Jahr) beheizt wird, und fährt täglich mit dem Privatauto (7,7 l/100 km) 60 km nach Wiener Neustadt zur Arbeit. Er bekommt den Klimabonus von 200 Euro plus 150 Euro Energiekostenzuschuss.

Stromverbrauch pro Jahr: 1.927 kWh

Veränderung der Energiekosten:

Strom: –56 €

Öl: +1.326 €

Sprit: +1.748 €

Klimabonus: –200 €

Energiebonus: –150 €

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In Summe pro Jahr: +2.668 €

Haushalt 3: Paar, lebt in einer Mietwohnung in Wien

Die 70-Qudratmeter-Mietwohnung wird mit Gas beheizt. Er fährt mit dem Rad zur Arbeit, sie täglich mit dem Auto (7 l / 100 km) rund 20 Kilometer. Das Paar erhält einen Klimabonus von 200 Euro plus 150 Euro Energiekostenzuschuss.

Stromverbrauch pro Jahr: 3.095 kWh

Veränderung der Energiekosten:

Strom: +61 €

Gas: +186 €

Sprit: +389 €

Klimabonus: –200 €

Energiebonus: –150 €

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In Summe pro Jahr: +286 €


Die Berechnung erfolgte mit Unterstützung der Österreichischen Energieagentur. Die Preise beziehen sich auf Bestandsverträge lokaler Lieferanten vor (2021) und nach (2022) etwaiger Tarifanpassungen. Für die Stromkosten 2022 wurden Ökostrompauschale und -förderbeträge bereits abgezogen. Die Spritpreise entsprechen dem aktuellen Stand und jenem von März 2021. Die Haushalte können darüber hinaus zum Teil das Pendlerpauschale geltend machen.

Wer nicht mit Öl heizt, spürt so wie Andrea vor allem die Teuerung bei Benzin und Diesel. Das gilt auch bei einer Wiener Familie, die ein Auto nutzt: Hier beläuft sich das Plus bei der Gasheizung auf 186 Euro, für Strom sind es 61 Euro. Bei Sprit betragen die Mehrkosten stolze 389 Euro.

Die in den Beispielen angegebenen Preise unterliegen der Annahme, dass sich die Spritkosten 2022 durchgehend auf einem ähnlich hohen Niveau befinden werden. Die ab Juli wirkende CO2-Bepreisung wurde nicht miteinberechnet – mit acht bzw. neun Cent je Liter fällt sie aber nicht schwer ins Gewicht.

Tanken machts

Die bereits fixierten Entlastungsmaßnahmen der Regierung können im Regelfall nicht für eine vollständige Abfederung des Preisanstieges sorgen. Auch das liegt aber vor allem am Tanken. Würde die Familie in Wien zum Beispiel auf das Auto verzichten, könnten Klimabonus und Energiekostenzuschuss die Mehrkosten locker decken.

Und dann gibt es auch noch gute Nachrichten für manche Bürger. Wer mit Strom heizt, kommt viel besser weg. Die Familie aus Wolkersdorf ist der einzige der drei Haushalte in der Modellrechnung, der unterm Strich durch die Entlastungsmaßnahmen heuer sogar mit mehr Geld als im Vorjahr aussteigt. Wenn die erste Lehre lautet, dass kein sofortiger Alarmismus ausbrechen muss, lautet die zweite: Je unabhängiger jemand schon von fossilen Energieträgern ist, desto besser tut das auch dem Geldbörsel. (András Szigetvari, Nora Laufer, 20.3.2022)