"Wenn die Politik nicht gegensteuert, werden wir unsere Industrie in der heutigen Form nicht aufrechter halten können." Es waren drastische Worte, die Georg Knill wählte, als der jüngst von der Regierung eilig einberufene Energiegipfel ohne Ergebnis zu Ende ging. Man müsse die "überschießenden Energiepreise" abfedern, verlangte Knill kategorisch.

Wenige Tage davor hatte die Papierfabrik Norske Skog in Bruck an der Mur ihre Produktion gedrosselt. "Die Energiepreise haben mittlerweile ein exorbitant hohes Niveau erreicht", erklärte Sprecher Gert Pfleger. "Wir sprechen hier vom zehnfachen Durchschnittswert der letzten Jahre!" Wirtschaftlich rechne sich die Produktion derzeit nicht. Wird schnödes Papier dank explodierender Energiepreise plötzlich zum Luxusgut?

Die hohen Energiekosten treiben auch die Industrie um.
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Die Preise bewegen sich verglichen mit dem, was davor gezahlt wurde, in lichten Höhen. Davor meint: Ukraine-Krieg und weiter zurück – die Monate der Corona-Pandemie mit all ihren Verwerfungen. Anfang 2021 lag der Papierpreis um die 400 Euro pro Tonne, 2022 hat er 900 Euro überstiegen. Für große heimische Zeitungskonzerne bedeutet das teils Mehrkosten von 30 Millionen pro Jahr. Das Unwetter braut sich schon lange zusammen.

Mit dem Hochfahren der Weltwirtschaft nach den Corona-Lockdowns und der durch fiskalische Unterstützung befeuerten Konsumlust ist die Nachfrage nach vielen Produkten und den dafür nötigen Roh- und Werkstoffen rapid gestiegen. Es gab Knappheiten allerorts – bei Holz, Bau- und Kunststoffen, auch bei Metallen. Mangel treibt die Preise.

Vieles davon findet in der Statistik unter dem dürren Begriff Erzeugerpreise seinen Niederschlag. Das ist es, was Unternehmen und Ökonomen interessiert, bilden sie doch ab, was Produkte kosten, bevor sie weiterverarbeitet werden oder in den Handel kommen. Sie gelten als Vorläufer für die Entwicklung der Inflation. Die jüngsten Daten stammen vom Jänner. Sie sind um fast ein Fünftel binnen Jahresfrist gestiegen.

Roheisen, Stahl, Pappe, Papier, Kautschuk, Düngemittel – all das und vieles mehr wurde kräftig teurer. Viele Betriebe kämpften aber damit, überhaupt an die dringend benötigten Güter am Weltmarkt zu kommen. Ein richtiger Boost kam von den Energiepreisen. Schon vor dem Ukraine-Krieg. Der aber befeuerte den Preisanstieg kräftig. Die Drohung Russlands, den Gashahn zuzudrehen, ließ den Gaspreis explodieren. An den Spotmärkten ist der Preis für eine Megawattstunde zwischenzeitlich auf 345 Euro hochgeschnellt. Ende 2021 lag er bei rund 148 Euro, im langjährigen Mittel bei rund 25 Euro. Auch wenn der Preis nur eine Richtschnur ist, weil Unternehmen mit ihren Versorgern langfristige Verträge abschließen: Gestiegen sind die Preise allemal. In der Papierfabrik Norske Skog ist der Anteil der Energiekosten an den Produktionskosten auf 60 Prozent gestiegen, vor einem Jahr lag er bei 20 Prozent.

Drehen an der Preisschraube

Preisanstiege, die nicht so einfach zu schlucken sind, wie IHS-Ökonom Helmut Hofer einräumt. Der niederösterreichische Papierindustrielle Thomas Salzer erklärt, man habe im Werk in St. Pölten im Oktober das erste Mal darüber nachgedacht, "ob wir die Papiermaschine abstellen sollen und ob nur kurz oder auf Dauer." Man hätte die Preise seither alle paar Wochen erhöht – in Summe um über 40 Prozent. Es gehe ums Überleben, sagt Salzer. Sind die Kunden nicht bereit, die höheren Kosten zu schlucken, habe man ein Problem. Kein Zweifel, es ist ernst.

Österreich hat einen hohen Anteil energieintensiver Industrie: Stahl-, Zement, Chemie-Branche etwa gehören dazu.
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Ist es so dramatisch, dass ganze Betriebe oder Industriezweige ins Wanken geraten? Immerhin ist der Anteil an energieintensiver Produktion hierzulande ausgesprochen hoch. Die Betriebe sind vom fossilen Erdgas besonders abhängig.

Die Hilferufe der Industrie dürfe man nicht geringschätzen, sagt Roman Stöllinger. Der Ökonom und ausgewiesene Industrieexperte am Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) lässt dennoch Warnungen, die gesamte Industrie sei gefährdet, nicht gelten: "Ich hoffe sehr, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht auf russischem Gas basiert. Österreich hat eine der am besten diversifizierten Wirtschaften weltweit."

Gewollter Anstieg

Ohnehin kam für Fachleute der Anstieg der Energiepreise Ende des Jahres nicht ganz überraschend. Die Preise des europäischen CO2-Emissionshandels, ein wichtiges Instrument, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, sind deutlich gestiegen. Das ist auch gewollt. Dazu kamen aber andere Faktoren. Aufgrund von geringerer Windkraft-Einspeisung mussten mehr konventionelle Kraftwerke Strom produzieren, teilweise auch mit Gas befeuert.

Wurden die Speicher üblicherweise im Sommer zu günstigen Preisen wiederbefüllt, ließ sich das Gas dank starker Nachfrage, etwa in China, zu besseren Preisen dort verkaufen. Mit dem Krieg kam es zum Run auf Erdgas. Mittlerweile hat sich die Lage etwas entspannt. Zumindest auf den Märkten.

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Nicht in der Industrie. Thomas Salzer rechnet weiter mit hohen Energiepreisen. Auch bei Salzer hat sich der Energiekostenanteil an den Produktionskosten von einer Bandbreite zwischen acht und zwölf Prozent auf 50 Prozent erhöht. Gestiegen sind die Preise auch für andere wichtige Zutaten für die Papierproduktion: Der Altpapierpreis hat sich verdoppelt, der Preis für Harnstoff ist etwa um 400 Prozent nach oben geschossen. Die Rohstoffmärkte spielen nicht nur an der Gasfront verrückt, dort aber besonders. Viele Unternehmen wälzen Krisenpläne. Salzer denkt über ein Biomassewerk nach.

Von heute auf morgen ist ein solches nicht zu bewerkstelligen. Dazu kommt: So klimaneutral auch die Energiegewinnung mittels Biomasse sein mag, es entstehen auch Schadstoffe, die jenen ähnlich sind, die bei fossilen Energieträgern anfallen wie Stickoxide, Schwefelverbindungen oder Rußpartikel. Bei Norske Skog in Bruck ist man indes schon ziemlich weit beim Versuch, von fossiler Energie sehr viel unabhängiger zu werden. Der Ersatzbrennstoffkessel wird künftig die Wärme für die Papierproduktion liefern. Das Projekt ist in der Endphase. Begonnen hat man damit im Jahr 2016.

Wettbewerb

Wie stark Betriebe unter Druck kommen, hänge auch von ihrer Wettbewerbssituation ab, sagt Wifo-Expertin Angela Köppl. "Wer ein Produkt hat, das leicht substituierbar ist, hat wohl weniger gute Karten, wenn es woanders kostengünstiger produziert werden kann."

Ein Beispiel dafür ist derzeit die Voest-Tochter Buderus Edelstahl im deutschen Wetzlar. Sie produziert Edelstahl in minderer Qualität als im Werk Kapfenberg. Die Preissteigerungen für diese weniger ausgesuchten Spezialitäten kann man am Markt im Augenblick weniger gut unterbringen. In Wetzlar läuft das Werk jetzt Stop-and-Go. Brauchen Betriebe wie diese jetzt mehr Hilfe?

IHS-Ökonom Helmut Hofer und sein Kollege Roman Stölliger verweisen auf ein vorhandenes Instrumentarium, wie Kurzarbeit oder Kreditgarantien, um den kurzfristigen Schock abzufedern. Hofer verweist einmal mehr auf die hohen Lohnnebenkosten. Die Reform des Emissionshandels ist auf EU-Ebene zu bewerkstelligen. Eine Verschiebung der C02-Bepreisung halten die Forscher für kontraproduktiv. Auch Angela Köppl sieht das so. Trotz all der Widrigkeiten dürfe man nicht nachlassen "die Transformation zu einer C02-neutralen Produktion muss beschleunigt werden".

Die C02-Steuer müsse für jeden sichtbar steigen, sagt Karl Aiginger. Für die Hilferufe der Großbetriebe hat der Direktor des Europaforums wenig Verständnis: "Gerade die Industrie hätte früher umsteigen müssen, dass die jetzt Hilfe verlangen, das geht nicht." (Regina Bruckner, 19.3.2022)