Es hatte der große Auftritt des Präsidenten werden sollen. Nach monatelanger Isolation wollte Wladimir Putin am Freitag endlich mal wieder raus auf die Bühne. Geplant waren motivierende Worte für die Massen. 200.000 Zuschauerinnen und Zuschauer waren für die Propagandashow ins Moskauer Luschniki-Stadion gekarrt worden, zu Würstchen und Graupelbrei.
Doch dann kam alles anders. Die TV-Übertragung wurde unterbrochen, die Stimmung war verdorben. Plötzlich schlug die Jacke des russischen Präsidenten Wellen. Ihr Hersteller war im Internet ausfindig gemacht worden. Die Steppjacke? Ein luxuriöses Stück des italienischen Unternehmens Loro Piana. Der Rollkragenpullover stammte vom neapolitanischen Hersteller Kiton. Auf Twitter wurde ausgerechnet: Wladimir Putin trug Kleidung im Wert von mindestens 15.000 Euro am Körper, allein Jacke und Rolli dürften so viel gekostet haben.
Eine große Überraschung ist Putins teures Gewand nicht, erst recht nicht seine Leidenschaft für Mode von Loro Piana. Schon in der Vergangenheit trat er in Kaschmir-Joggern und Sneakern des Herstellers auf, in maßgeschneiderten Anzügen von Brioni gab Putin regelmäßig den Möchtegern-Bond. In etlichen Artikeln wurde seine Garderobe bis ins Detail analysiert: Man weiß, dass er Schuhe von Salvatore Ferragamo ordert, teure Uhren hortet, sich aber meist mit der "Blancpain Grande Date Aqua Lung" am Arm zeigt. Mit einem Wert von rund 10.000 Euro gehört die Uhr zu seinen günstigeren Stücken.
Nun aber wirkte die Selbstinszenierung des russischen Kriegsherrn in italienischer Luxusmode noch absurder: Haben Hersteller wie Loro Piana, die zum Luxuskonzern LVMH gehören, dem Land und ihrem Präsidenten nicht längst den Rücken gekehrt? Wie lässt sich Putins modisches Bekenntnis mit seiner Drohung gegenüber westlichen Unternehmen vereinbaren? Sollten Firmen, die Russland wegen des Krieges gegen die Ukraine verlassen, nicht verstaatlicht werden? Und was genau will der russische Präsident eigentlich mit einem Outfit sagen, dessen Wert das Jahresgehalt vieler Russinnen und Russen übersteigt?
Im Gegensatz zu Wolodymyr Selenskyj, der seinen Anzug am 24. Februar, dem Tag des Einmarschs Russlands, gegen olivgrüne Funktionsbekleidung eingetauscht hat, macht Putin eisern so weiter wie bisher. Modische Flexibilität ist seine Sache nicht.
Neben dem versteinerten Präsidenten im Luxuszwirn gibt es allerdings noch einen anderen Putin. Auch diese Seite des 69-Jährigen ist weitestgehend bekannt. Die Fanbase in der Heimat versorgt der Präsident regelmäßig mit Urlaubsfotos, die vor Testosteron nur so triefen.
Die Inszenierungen könnten mittlerweile ganze Kalender füllen: Der halbnackte Herrscher auf dem Pferd, der schweißfrei trainierende Präsident im Gym, der angelnde Naturliebhaber, der Posterboy im Lammfell-Outfit – der russische Präsident ist ein so starker wie offensichtlich vielseitiger Mann. Selbst das Alter tut ihm nichts an, Putin erscheint so straff wie eh und je.
Ob Putin seinen 70. Geburtstag faltenfrei begehen wird, steht allerdings in den Sternen. Pharmakonzerne wie das US-Unternehmen Abbvie wollen die Russland-Lieferung nichtlebensnotwendiger Medikamente wie Botox einstellen. Wir werden die Gesichtszüge des Wladimir Putin im Auge behalten. (feld, 22.3.2022)