Der erste Blick täuscht in der Regel, doch die Klischees über langweilige Berufe oder Hobbys sitzen tief.

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Einem Team der University of Essex in Colchester, England, ist es gelungen, die gleichsam "langweiligste Person der Welt" zu identifizieren. Es handelt sich um einen Datenbearbeiter, der ein religiöses Leben als Kleinstädter führt und in seiner Freizeit gerne fernsieht.

Freilich existiert der Herr nicht als eine konkrete Person, sie ist das Ergebnis einer umfangreichen Untersuchung über die Wahrnehmung vermeintlich langweiliger Menschen, deren Berufe, Eigenschaften, Lebensumstände oder Hobbys – und die unangenehmen Folgen für diese Menschen.

Buchhalter und Co.

Die Forschenden um Wijnand Van Tilburg vom Institut für Psychologie haben für ihre im "Personality and Social Psychology Bulletin" veröffentlichte Studie mehr als 500 Personen im Rahmen von fünf Einzeluntersuchungen befragt. Die Antworten ergaben unter anderem eine Art Hitparade der vermeintlichen Fadesse: Als besonders uninteressant wurden Berufe in den Sparten Datenanalyse, Buchhaltung, Steuer- oder Versicherungswesen, Reinigung und Bankwesen beurteilt.

Unter den langweiligen Lebensstilen oder Beschäftigungen haben die Probandinnen und Probanden Schlafen, Religion, Fernsehen, Tiere beobachten und Mathematik an den ersten Stellen genannt. Auch das andere Ende des Spektrums wurde abgefragt. Dabei zeigte sich, dass Menschen in den Bereichen Darstellende Kunst, Wissenschaft, Journalismus, Medizin und Wissensvermittlung für besonders interessant gehalten werden. Die Befragten stammten großteils aus den USA, wo sich die entsprechenden Klischeevorstellungen von den europäischen unterscheiden dürften.

Schwer veränderbare Vorurteile

Auf die Frage, welche Merkmale ein "Langweiler" habe, kamen als häufigste Antworten Interessenlosigkeit, Humorlosigkeit, Meinungslosigkeit und Neigung zum Nörgeln. Das demonstriert den ernsten Hintergrund der Studien. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Menschen, die gewissen Langeweile-Stereotypen entsprechen, im Allgemeinen aufgrund eben dieser Vorurteile weniger beliebt sind, manchmal sogar regelrecht abgelehnt werden – mit entsprechend größerem Risiko für psychische Probleme.

"Ironischerweise ist die Beschäftigung mit der Langeweile sehr interessant. Unsere Studien konnten zeigen, wie schwer verrückbar die Vorurteile gegenüber vermeintlich langweiligen Berufen oder Eigenschaften sind und welche Auswirkungen dies auf manche Menschen haben kann", sagt Van Tilburg. Wahrnehmungen könnten sich zwar ändern, aber viele Menschen nehmen sich möglicherweise nicht genug Zeit und vergeben so die Chance, die negativen Stereotypen scheinbar "uninteressanter" Beschäftigungen und Lebensstile aufzubrechen.

Falsche Kompetenzwahrnehmung

Die Studie zeigte auch, dass als langweilig wahrgenommenen Personen oft auch weniger Kompetenz zugetraut wird. "Dieses Ergebnis fand ich besonders interessant", sagt Van Tilburg. "Die Wahrheit ist, dass Leute wie Bankangestellte und Buchhalter sehr fähig sind und Macht in der Gesellschaft haben – vielleicht sollten wir versuchen, sie nicht zu verärgern." (tberg, red, 21.3.2022)