Asphalt weg, Obstbäume her: Das Projekt "Wiener Sukzession" will versiegelte Flächen aufbrechen, begrünen und nutzbar machen.

Foto: Imago / Westend61 / Josep Suria

Vor einer Lösung kommt oft ein: Was wäre, wenn? Wenn etwa Betroffene mitbestimmen, wie sich der Verkehr im Osten Österreichs entwickelt? Oder wenn Wiener von Bäumen auf ehemaligen Parkplätzen Obst ernten könnten? Das sind nur zwei von unzähligen hypothetischen Fragen, die sich Akteure der Zivilgesellschaft gestellt haben und aus denen nun Lösungen entstehen.

Dabei unterstützt ein Zusammenschluss der Universität für angewandte Kunst Wien und des Open Innovation in Science Center (OIS) der Ludwig-Boltzmann-Gesellschaft: der Action for Sustainable Future (ASF) Hub.

Basis der Entscheidung

Das "Innovationslabor" hilft Projekte zu verwirklichen, die Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft zusammenbringen. Das Ziel? Nachhaltige Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme zu finden – und zwar mit starkem Einbezug der Zivilgesellschaft. Das soll auch das Vertrauen in die Demokratie stärken, welches nach aktuellen Umfragen schwer angeschlagen ist. Im letzten Jahr konnten Bürger Ideenskizzen einreichen. Sechs davon unterstützt der ASF Hub nun bei der Umsetzung.

Etwa den "Zukunftsrat Verkehr", der eigentlich eine Kampagne und zwei Bürgerräte sind. Dessen Ziel? Betroffene sollen helfen, ein komplexes Problem zu lösen: Wie soll sich der Verkehr im Osten Österreichs entwickeln? Dazu kursieren viele Meinungen von Außenstehenden.

Der "Zukunftsrat Verkehr" will Betroffene an einen Tisch holen. Ausgelost von den Initiatoren rund um Projektleiterin Luise Wernisch-Liebich sollen 30 Personen aus Wien, Niederösterreich und dem nördlichen Burgenland sich eineinhalb Tage lang über die Verkehrssituation an ihrem Wohnort und mögliche Lösungen austauschen.

Obstbäume statt Asphalt

"Die Menschen wollen eingebunden werden. Wir wollen, dass Menschen mit verschiedenen Hintergründen sich auf Augenhöhe begegnen. Betroffene sollen selbst Lösungen finden, mit denen sie im Alltag leben können", sagt Wernisch-Liebich. Sie hat im letzten Jahr Österreichs ersten bundesweiten Bürgerrat zur Weiterentwicklung der Demokratie mitgestaltet und dabei viel gelernt. Etwa, wie wichtig die Anbindung an die Politik ist.

Für den "Zukunftsrat Verkehr" will sie stärker an Stadt- und Lokalpolitiker herantreten. "Wir wollen, dass die politischen Entscheider die Ergebnisse der Bürgerräte ernst nehmen." Auf welche Lösungen die Bürgerräte kommen, sei offen. Ums Öffnen geht es in einem weiteren vom ASF Hub geförderten Projekt: der "Wiener Sukzession". Deren Initiatoren wollen an drei öffentlichen Flächen in Wien Asphalt aufreißen. In den entstandenen Löchern sollen Kräuter, Dirndlsträucher oder Obstbäume wachsen.

Anrainer sollen beim Aufreißen dabei sein, sich dann um die Pflanzen kümmern und Früchte ernten. Ein Prozess, den das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) und das Institut für partizipative Sozialforschung wissenschaftlich begleitet.

Entsiegelung salonfähig machen

Johannes Posch ist Landschaftsplaner und hat das Projekt mitinitiiert. Das Ziel erklärt er so: "Wir wollen zeigen, dass es sinnvoll und produktiv ist, Asphalt aufzubrechen. Wir wollen zusammen mit Künstlern und Bewohnern Entsiegelung salonfähig machen."

Dass Bürger sich beteiligen wollen, zeigte ihm das Vorgängerprojekt "Essbare Seestadt". Bewohner säten und ernteten dabei im 22. Bezirk ihr eigenes Gemüse. Für "Wiener Sukzession" nehmen Posch und seine Kollegen gerade bürokratische Hürden, sprechen etwa mit Verantwortlichen im sechsten Bezirk. "Aber wir loten auch Flächen im 15. und 17. Bezirk aus", erklärt der Landschaftsplaner.

Befüllen könnte man die entstandenen Löcher mit dem Humus, der bei einem weiteren Projekt entsteht. Das "Wurmhotel" will an mehreren Orten in Wien Wurmkisten aufstellen. In denen sollen Regenwürmer Biomüll in fruchtbare Erde umwandeln. Drei weitere Projekte fokussieren sich noch mehr auf Soziales: "Human Rights Space" will gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen einen barrierefreien Ort gestalten, an dem diese sich mit Menschenrechten auseinandersetzen können.

Barrieren aller Art abbauen

Das Projekt "Mach’s auf" will Barrieren abbauen. In Repair-Spaces sollen gehörlose und hörende Menschen gemeinsam Gegenstände reparieren – auch um auszuloten, was gehörlose Menschen brauchen, um technische Fähigkeiten zu erlernen.

Bei "Refiction Radio" sollen Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte Radio machen, ihre Geschichten selbst erzählen. Jedes Projekt wird künstlerisch und wissenschaftlich begleitet und finanziell unterstützt. 75.000 bis 100.000 Euro gibt es von der Ludwig-Boltzmann-Stiftung. Projektende ist Dezember 2023, die Projekte sollen darüber hinaus bestehen.

Aktuell macht man erste Schritte. Im April sollen an öffentlichen Plätzen Menschen zur Diskussion über die Verkehrsplanung in der Ostregion debattieren. Aus diesen Gesprächen werden Fragestellungen für die Bürgerräte entwickelt. Und schon in diesem Halbjahr könnten auch die Presslufthämmer Asphalt aufbrechen. Die Bäume, die auf diesen Flächen gedeihen sollen, wären ein erstes lebendiges Zeichen dafür, was aus kühnen Ideen erwachsen kann. (Laura Anninger, 1.4.2022)