Der Stücktext wird eingeblendet, ein Soundteppich bestimmt die Szenen.

Foto: Merlin Nadj-Torma www.throughmyeyes.de

So was Großes, so was Schweres kann in einer Welt wie der unseren nicht verschwinden. Denkt man. So ein Riesending." Und dann tut es das doch. Nämlich im März 2014 der Flug MH370 am Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Die aufwendigste Suchaktion jemals wird eingeleitet, Spekulationen zum Geschehenen blühen, Mediengetöse. Doch es hilft nichts, bis heute sind die Unglücksumstände unklar.

Das Verschwinden der Maschine verschneidet die Gruppe Rimini Protokoll in ihrem neuen Stück All right. Good night. mit einem intimen Verlorengehen: Ein Mann, Vater der Erzählerin, erkrankt an Demenz.

Fabelhafter Soundteppich

All right. Good night. ist eine Formel aus der Pilotensprache. Damit soll der Pilot des Flugs MH370 sich beim Abheben in Kuala Lumpur abgemeldet haben. Auf der Bühne des Wiener Volkstheaters stellt sich eine Schlange von Reisenden zum Check-in an. Sie entpuppen sich bald als Band, ziehen Saxofon, Geige und Kontrabass aus dem Gepäck.

Gesprochen wird an dem fast zweieinhalbstündigen Abend (Konzept, Text und Regie: Helgard Haug) wenig. Stattdessen entrollt das in Berlin ansässige Zafraan Ensemble einen schwellenden, feingliedrigen Soundteppich. Minutiös gehen die ersten Minuten des Stücks die technischen und alltäglichen Details einer Flugreise durch: die Nummer der Startbahn, die Sprachcodes, den Pushback, den Kampf um die Armlehne. Der Stücktext wird nur projiziert. Die Komposition von Barbara Morgenstern fängt dazu die Geräusche des Fliegens, aber auch seine Atmosphäre ein. Mal dramatisch, mal zart klingt das. Fantastisch.

Zweierlei Kontrollszenarien

Jahr um Jahr nach dem Absturz vergeht nun. Jahr um Jahr, in dem auch der Zustand des Vaters sich verschlechtert. Wie die Blackbox alle Ereignisse eines Flugs aufzeichnet, beginnt die Tochter, Buch über die Tage des immer vergesslicheren Vaters zu führen. Kontrollszenarien, die ein Flugzeug passiert, und solche, die den Vater überwachen, werden parallelisiert. Der Text springt dazwischen hin und her. Verschwinden – wie kann das sein?

Szenisch passiert wenig. Zwei Fuhren Sand, die auf der Bühne (Evi Bauer) ausgekippt werden, bilden fortan tausende Kilometer von der vermuteten Absturzstelle entfernte Strände, an denen Wrackteile angespült werden. Die Band geriert sich kurz als verdatterte Badetouristen.

Absturzuntersuchung

Der Vater bezieht derweil eine Demenz-WG. Man geht gemeinsam zum Notar, ehe es zu spät ist, die Angelegenheiten zu regeln. Er schreibt seine Erinnerungen auf. Sensibel umkreisen sich klare Sätze und treffende Beobachtungen das Thema. Besonders berührend die Passagen, in denen der Vater noch vor seinem Erkranken Feststellungen trifft: den Wunsch eines bewussten Erlebens des eigenen Todes. Wünsche nach Berührung. Beteuerungen der Würde eines Kranken. Auch vorauseilende Entschuldigungen für unangenehmes Verhalten infolge der Demenz hat er sich überlegt.

Warum hat eine Technologiefirma, von deren Angestellten 20 beim Flugzeugabsturz ums Leben gekommen sind, nicht öffentlich kondoliert? Hatte sie Bauteile für Waffen geliefert und wollte keine Aufmerksamkeit erregen? Rimini Protokoll gründen ihre Abende stets auf Recherchen. Solche Spekulationen übernehmen allmählich den Erzählstrang rund um Flug MH370. Sie führen aber nirgendwohin. So nützt sich das Sezieren der Vorgänge rund um den Flug allmählich ab. Zwecks einer solchen Absturzuntersuchung geht man eher nicht ins Theater.

Fesselnd intim

Der persönlichere Strang um den Dementen dagegen bleibt fesselnd. Die Musik ebenso. Leider: Das Stück wurde mit einer Handvoll Partnern wie dem Berliner Theater Hau koproduziert. Im Mai ist es als eine der zehn bemerkenswertesten Produktionen des Jahres zum Berliner Theatertreffen eingeladen. In Wien ist es nach den zwei Aufführungen am Mittwoch und Donnerstag diese Spielzeit nicht mehr zu sehen. Ob es wieder einmal ans Volkstheater kommt, weiß man dort noch nicht. Es sollte unbedingt! (Michael Wurmitzer, 1.4.2022)