Phasen einer behutsamen Aneignung von Raum und Tradition: Elio Gervasis "Merce 2-for-7" im Wuk.

Foto: Joe Albrecht

Es ist verdammt riskant, sich als Choreograf heute mit dem Werk einer Ikone der Spätmoderne wie Merce Cunningham herumzuspielen: Wird da etwa mit der Wirkung eines großen Namens spekuliert, wirkt dessen Ästhetik nicht rückwärtsgewandt, und: Packen es die Tänzerinnen und Tänzer überhaupt? Der 1953 im italienischen Cosenza geborene Wiener Elio Gervasi hat die Unverfrorenheit, und er gießt sie in sein neues Stück Merce 2-for-7.

In diesem Fall zahlt sich Wagnis so richtig aus, wie die Premiere im Wuk zeigte. Gervasi und seine Company, die mit wechselnden Tänzerinnen und Tänzern seit 35 Jahren aktiv ist, ahmen Cunningham nicht nach. Vielmehr testen sie geschickt aus, was der charakteristische Stil des 2009 von uns gegangenen, bis zuletzt experimentierfreudigen Superstars heute noch zu sagen hat.

Dafür machen sich vier Tänzerinnen und zwei Tänzer in enganliegenden Trikots den bei vielen von Cunninghams Werken aufblitzenden Witz zunutze, ohne ins Parodistische zu verfallen. Im Hintergrund beobachtet ein "Gespenst" in Form einer abstrakten Skulptur, was auf der Bühne vor sich geht. Aus Sicht des Publikums jedenfalls wirkt das Ergebnis überzeugend: Selbstbewusste Körper gestalten in einem trotz klarer Linien und exakter Bewegungsabfolgen hochkomplexen Handlungsablauf den Raum, der sie umgibt.

Stimmen für Zeitreisende

Durch diesen knistert, knarzt und blubbert die Musik von Alessandro Vicard, der ab und zu Stimmen – darunter vermeint man die von Merce Cunningham höchstpersönlich zu hören – durchsickern lässt. Gervasis Figuren auf der Bühne lassen sich vom Sound nicht manipulieren. Sie wirken wie Zeitreisende, die sorgfältig untersuchen, ob der Ort, an dem sie zwischengelandet sind, auch wirklich passend für sie ist.

Man könnte sagen, dass während dieses Stücks Mensch und Umwelt so sorgfältig wie spielerisch aufeinander abgestimmt werden, und dass der Auftritt der Tanzenden gerade deswegen an Wirkung gewinnt, weil das Individuum weder überbetont noch verleugnet wird. Bei allem Bemühen der Gruppe um ein Gelingen der gemeinsamen Aufgabe bleibt bei Merce 2-for-7 immer noch reichlich Platz für das Persönliche und Nichtperfekte. All dies bekommen die sehr unterschiedlichen Tänzerinnen und Tänzer glaubhaft hin.

So kann eine Utopie aussehen, die auch angesichts des Irrwitzes unserer derzeit mit atemberaubender Konsequenz auseinanderdriftenden Gegenwart Sinn ergibt. Für dieses Heute wirkt Elio Gervasis Setzung schon allein deswegen revolutionär, weil sie ohne egomanisches Auftrumpfen, identitäre Spaltung, Feindseligkeit und Narzissmus auskommt.

All das wirkt, als hätte der Choreograf einfach auf eine künstlerische Reset-Taste gedrückt: Was wäre, wenn wir jetzt noch einmal von vorn ab dem Ende der Moderne anfangen könnten? Keine schlechte Idee. Das Premierenpublikum reagierte mit begeistertem Applaus. (Helmut Ploebst, 1.4.2022)