"Mein Fleisch sieht die Flamme nur einmal." Ferhat Yildirims handgeschichteter, von Hand gedrehter Döner in Wien-Favoriten.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Auf Youtube und Tiktok ist Döner ein Hype. Nicht wenige Tester dürfen sich über millionenfache Klicks freuen – Respekt, Brüder! Dass die mitunter halbstündigen Selfie-Exegesen der Kollegenschaft immer wieder in wirklich harte Kost und regelrechtes Schwachsinnstakkato ausarten, gehört offenbar dazu. Lohnt sich aber dennoch, schließlich spült einem der Algorithmus dadurch auch echte Juwelen in die Vorschlagsliste. Die Videos des bewundernswert verfressenen Wiener Star-DJs Mosaken zum Beispiel und seinen Besuch bei Ferhat Döner in der Fußgängerzone der Favoritenstraße. Danach will man dort nämlich unverzüglich hin. Danke Arash!

Ferhat Yildirim ist ein bescheidener, von immensem Fleiß beseelter Wirt, sein Döner laut Selbsteinschätzung "mit hoher Wahrscheinlichkeit der beste der Welt". Nach dem ersten Bissen ist man geneigt, ihm das zu glauben. Aber schön der Reihe nach. Ohne Anstellen geht auf der Favoritenstraße 94 nämlich gar nichts, die Schlange steht mitunter noch drei Häuser weiter – wird aber in regelmäßigen Abständen mit frischen Teegläsern versorgt.

"In der Türkei hat Döner einen ungleich höheren Stellenwert als in Wien oder Berlin", sagt Ferhat.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Yildirim ist, man muss die Diagnose in aller Härte stellen, vom Döner besessen. Die Spieße schlichtet der Mann allabendlich selbst, zwei mächtige Fleischzylinder aus halal geschlachtetem Tiroler Weiderind, für die ausschließlich Schale und Beiried, "absolut sehnen-, aber nicht fettfrei", verwendet werden. Das Fleisch wird erst in richtig dünne Lappen geschnitten, mariniert dann zwölf Stunden in Joghurt und, ja eh, in geheimen Gewürzen, wird dann geschichtet und schließlich vor den Feuerturm gespannt, der mit vier Jahre gelagerten Buchenscheitern gespeist wird.

Mit extrem langen, sauscharfen Messern und langen Holzlöffeln bewehrt, säbeln die Dönerköche prächtige Fleischbahnen herunter, so hauchdünn, dass die Sonne durchscheint: auf einer Seite in Sekundenschnelle von den züngelnden Flammen braun, rauchig und knusprig gegrillt, auf der anderen saftig und ganz zart rosa. Daneben lässt eine Mitarbeiterin Teigfladen durch eine Rollpresse, auf dass sie zu hauchdünnen Yufkas werden. Für die ist ein Feuerkorb mit gewölbtem, kreisrundem Aufsatz unter der Abzugshaube reserviert: Jedes einzelne Dürüm wird hier auf Bestellung frisch über der Flamme gebacken.

Das Sandwichbrot erfährt um nichts weniger Achtsamkeit: Im hinteren Teil des Lokals wurde eine Bäckerei eingerichtet, der Weizenteig wird mit Sauerteig angesetzt und darf zwei Tage reifen, bevor er in reiner Handarbeit zu den charakteristischen Brot-Torpedos geformt und gebacken wird – den ganzen Tag über.

Ohne Sauce, oder was?

"In der Türkei hat Döner einen ungleich höheren Stellenwert als in Wien oder Berlin", sagt Ferhat. "Gute Dönerlokale grillen ausschließlich Rind, da gibt es wahre Tempel wie Bayramoğlu und Intiba in Istanbul oder Karadeniz in Beşiktaş." Den wahren Kenner erkennt der Dönermeister daran, dass er "ohne Sauce" bestellt, "schließlich will man das Fleisch schmecken". Ist auch wirklich zu empfehlen, besser gegrilltes Rind als in dem kleinen Standl in der Fußgängerzone wird man in der Stadt kaum finden.

Es gibt nur ein Problem: Die Joghurtsauce mit Unmengen frischen Dills ist leider zum Abheben gut, gerade in Kombination mit dem zart rauchigen Grillgeschmack des Fleisches. So oder so: Besser kann man sich nach dem Verdrücken eines Döners nicht fühlen. Das gilt sogar für die XXL-Version mit 240 Gramm Fleisch, mit der man auch für wildere Nächte gerüstet sein dürfte. Um 21 Uhr ist bei Ferhat Schluss. Aber Vorsicht: Meistens ist die Hütte schon eine Stunde vorher ausverkauft. (Severin Corti, RONDO, 8.4.2022)