Sigrid Maurer will selbst nicht viel Aufsehen um die jüngste Attacke.

Foto: Heribert Corn

Es sei alles sehr schnell gegangen, erzählt Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer am Tag nach der Attacke eines Maßnahmengegners dem STANDARD. Sie saß am Donnerstagabend in einem Schanigarten in der Herrengasse, als ein Passant sie zunächst verbal anging. Er habe gerufen: "Wie geht’s Ihnen, Frau Maurer, sind Sie froh, dass Sie uns alle zwei Jahre eingesperrt haben?" Maurer antwortete ihm, dass sie privat im Lokal sei.

Sekunden später nahm er ein Glas und schlug es ihr direkt ins Gesicht. "Es ist zum Glück nicht zerbrochen, und ich bin unverletzt geblieben", sagt Maurer, die den Vorfall nicht weiter kommentieren möchte.

Der Mann ging nach dem gewalttätigen Angriff einfach weiter, wurde aber von der Polizei eingeholt. Laut Landespolizeidirektion Wien sei der 26-jährige Österreicher auf freiem Fuß angezeigt worden. Er habe ausgesagt, dass ihm der Vorfall leidtue.

Kolleginnen und Kollegen fast aller Parteien, auch Bundeskanzler Karl Nehammer, verurteilten die Tat. Maurer wurde nicht das erste Mal Ziel von verbalen Bedrohungen. Die Causa Bierwirt, in der sie sich öffentlich gegen obszöne Nachrichten eines Mannes wehrte, der später zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er seine Ex-Partnerin ermordet hatte, machte Schlagzeilen.

Frauenhass

"Was verkörpert die junge, selbstbewusste Frau mit Kurzhaarschnitt für Männer, bei denen sie Aggressionen auslöst? Da muss man sich schon fragen, was mit diesen Männern los ist", sagt Manfred Matzka, der aber auch bei Männern in der Politik ein wachsendes Bedrohungsszenario wahrnimmt. Matzka, seit kurzem in Pension, hat Vergleichswerte, war er doch in den 1980ern Kabinettschef von Innenminister Franz Löschnak (SPÖ), dann viele Jahre Präsidialchef im Bundeskanzleramt und zuletzt Sonderberater von Kanzlerin Brigitte Bierlein. In Österreich habe sich Personenschutz lange "gemütlicher" gestaltet. Der in den 1960ern amtierende ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus habe etwa "gern selbst Bücher gekauft", erzählt Matzka, "da war vielleicht ein Staatspolizist dabei, aber ein eher beleibter, angegrauter". Für Verwunderung habe auch einst Franz Löschnak bei seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble gesorgt, als er meinte, "jetzt gemma was essen", und dann ohne vorherige Sondierung der Lage in ein Lokal marschiert sei. (Schäuble wurde bekanntlich später Opfer eines Schussattentats in Baden-Württemberg.) Für Matzka ist in Österreich der "Verlust des Vertrauens in die Politik durch Korruption, dem oft ein Verlust von Respekt und Distanz folgt", Wegbereiter für Gewalt.

"Nichts zu verlieren"

Das werde seit Pandemiebeginn auch "von rechtsextremen Gruppen befördert, die sich total vom Staat zurückziehen und ohne Frage gewaltbereit sind". Besonders bedrohlich werden Menschen aber, "wenn sie glauben, nichts mehr zu verlieren zu haben", sagt Matzka, "das sollte man als Gesellschaft schon vorher verhindern".

Eine Schlussfolgerung, die auch eine neue Fallanalyse der Beratungsstelle für Extremismus zulässt. Untersucht wurden bundesweit 144 Fälle von Männern (48 Prozent) und Frauen (52), die sich in der Pandemie durch Verschwörungsmythen radikalisierten. Bei einem Großteil förderten Lebenskrisen wie Jobverlust (27 Prozent) oder biografische Brüche (28) die Radikalisierung, Entfremdung und Isolierung gegenüber Angehörigen.

Katalysatoren seien hier gewaltfördernde Ideologien wie Rechtsextremismus (22 Prozent), Antisemitismus (14), Nationalsozialismus (2), QAnon (8) und Reichsbürger (2). Wer an Verschwörungsmythen glaubt, glaubt auch irgendwann, sich wehren zu müssen, und schreitet dann vielleicht zur Tat.

Ältere "Sorgenkinder"

An die Beratungsstelle wandten sich vor 2020 großteils Angehörige von radikalisierten Jugendlichen. Jetzt suchen junge Erwachsene Hilfe, deren Eltern in der Lebensmitte stehen und sich Bewegungen wie den "Querdenkern" anschlossen. Dies könnte daran liegen, dass sich Ältere schlechter im Netz auskennen und eher Fake News aufsitzen. Bis zu 30 Prozent der gesamten Fälle der Beratungsstelle kämen aus der Corona-Leugner-Szene, so Verena Fabris, Mitautorin der Analyse, die vor dem Anstieg brachialer und psychischer Gewalt warnt. (Colette M. Schmidt, 8.4.2022)