Die Sonnenseite, so nennt man jenen Teil des wohl traditionsreichsten österreichischen Ostergebäcks, in dem besonders viel Füllung enthalten ist. So wie nach einem gefühlt endlosen Winter alle ihr Gesicht in Richtung Sonne strecken, möchte jeder am liebsten den Teil mit der üppigsten Füllung.

Der Reinling ist ein aus Kärnten stammender schneckenförmiger Kuchen aus Germteig. Weil er so gut zum Kaffee passt, kommt er das ganze Jahr über auf den Tisch. Seinen großen Auftritt hat er jedoch zu Ostern, und zwar nicht mehr nur in Kärnten.

Traditionell wird der Reinling in einer Rein gebacken.
Foto: © Franz Gerdl / Kärnten Werbung

Zur Osterjause wird der Reinling gerne etwas weniger süß gebacken, so passt er perfekt zu Osterschinken, Ostereiern, Selchfleisch und Kren. Hinsichtlich der Füllung besteht ein beinah ausschweifendes Kreativitätspotenzial: von Butter, Zucker, Zimt über Honig, Äpfel und Nüsse bis hin zu Rum, Anis und gehackten Feigen ist alles erlaubt.

Umso strenger sind die Regeln für die Form. Ein echter Reinling hat kein Loch in der Mitte wie sein ferner Verwandter, der Gugelhupf, sondern maximal eine kleine Ausbuchtung. Gebacken wird er traditionell in einer folglich lochlosen, runden oder viereckigen Keramikform, der namensgebenden Rein, deren Hauptcharakteristikum ein kleiner Zapfen ist. Heute wird aber häufig praktischerweise eine Guglhupfform verwendet. Ein weiterer Verwandter des Reinling ist die sogenannte Nusspotize, gleicher Teig, aber rosinenlose Walnussfülle, die in einer flacheren Form gebacken wird.

Wurzeln des Reinlings

Die Wurzeln des Reinlings reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Damals handelte es sich um süßes, mit Fenchel verfeinertes Weißbrot, das in einer Schartl genannten Röstpfanne gebacken wurde. Mal verfeinerte man es mit Johannisbrot- oder Birnmehl – getrockneten, zerstoßenen Birnen –, mal mit Beeren, gemahlenen Nüssen, grob gemahlenem Zucker und Honig, dann wieder mit gehackten Zirbennüssen, Dörrzwetschken oder mit Kletzen.

Ursprünglich war der Reinling – seltener auch Reindling genannt – ein Festtagsgebäck, es gab ihn zu Hochzeiten und Feiertagen, und die Form, in der er gebacken wurde, war mit christlichen Symbolen verziert. Damit verbunden sind allerlei aus heutiger Sicht kuriose Bräuche. Wenn ein Rosentaler Mädchen einen Burschen am Ostermontag mit einem Reinlingscherzel beschenkte, galt dies als Flirtversuch.

War dieser erfolgreich, tauchte der Kuchen dann bei der Hochzeit wieder auf, und zwar in Form eines mit bunten Bändern geschmückten Hochzeitsreinlings. Für alle waren hingegen die sogenannten Kosterle da, eine Art Mini-Reinling, die es früher als Beigabe zum Osterei gab. Eine besondere Variante gibt es ebenfalls im Rosental zu bestaunen: Dessen in der Kirche geweihter Praitel, wie der Reinling im dortigen Dialekt heißt, hat einen Durchmesser von sage und schreibe einem Meter.

Verwandtschaften

In Slowenien ist ein ähnliches Gebäck unter dem Namen Phača oder Pogača bekannt beziehungsweise im Kärntnerslowenischen als Pohača. Bei der aus dem Friaul stammenden Gubana handelt es sich um einen Germkuchen, der mit geriebenen Haselnüssen, Pinienkernen, weingetränkten Rosinen, Biskuitbröseln, geriebener Schokolade, Arancini, Zitronat, Rum, Butter und Zimt gefüllt wird.

Zurück nach Kärnten: Ehrensache, dass jede Familie ihr eigenes Rezept hütet. In Franz Maier-Brucks Kochbuchklassiker "Vom Essen auf dem Lande" kommt in den aus Butter, Eiern, Mehl, Germ, Zucker und geriebener Zitronenschale bestehenden Teig eine Butter-Zucker-Zimt-Rosinen-Füllung. Die Form wird zuvor mit Schmalz ausgestrichen. Die im 19. Jahrhundert lebende und schreibende Grazer Kochbuchautorin Katharina Prato gab Schlagobers und Pinienkerne mit in den Teig.

Der Gasthof Tschebull am Faaker See, einer der ältesten seiner Art im ganzen Bundesland, setzt auf nicht entrahmte, also extrafette Milch im Teig und gibt gerne noch einen Schuss Schlagobers dazu, sowie auf Honig, Walnüsse und Kakao in der Füllung. Auch einen Getränketipp hat Wirt Hannes Tschemernjak parat: einen Häferlkaffee oder eine nicht zu süße Spätlese.

Variationen

Lucas Steindorfer vom Wiener Lokal Bruder hat eine familiär bedingte Liebe zum Reinling, schließlich hat er ihn oft im Gasthaus seiner Kärntner Großmutter gegessen. "Zu Ostern backe ich ihn in einer eher herzhaften Version, die perfekt zum Osterschinken passt, aber auch unterm Jahr immer mal wieder, wenn ich Zucker brauche. Bei der Füllung gehöre ich zur Fraktion Zimt-Zucker-Rosinen. Außerdem bestreiche ich ihn nach dem Aufschneiden zusätzlich mit Butter." Erst kürzlich hat man im Bruder mit einem Reinling-French-Toast experimentiert, der es vielleicht bald auf die Karte schafft.

Heute wird der Reindling oft in einer Gugelhupfform gebacken.
Foto: ©Franz Gerdl / Kärnten Werbung

Reinling-Cookies gibt es schon, und zwar im Bärenwirt in Hermagor, einem von Gault & Millau mit drei Hauben ausgezeichneten Wirtshaus, das auch Zimmer anbietet. Dessen Koch Manuel Ressi spritzt einen mit Zimt, Nüssen und Rumrosinen verfeinerten Teig in längliche Formen, backt ihn à la minute auf und serviert ihn zum Kaffee.

Mit dem Reindling – so nennt er ihn – ist er aufgewachsen, schließlich backt seine Mutter jedes Wochenende einen, und zwar mit Sauerrahm statt Butter und Estragon, wie es in ihrer Heimat, dem Rosental, üblich ist. "Ich mache meine Version eher zum Kirchtag, passend zur Kirchtagssuppe mit Fleischeinlage", so der Haubenkoch. Oder eben zu Ostern, dann in Form eines Strutz, mit einem Loch in der Mitte. Dort hinein gibt man ein gefärbtes Ei, Gras "und ein paar Euros von der Tante".

Noch ein paar Tipps hat Ressi parat: den Teig am besten über Nacht an einem kühlen Ort gehen lassen. Als Füllung eignet sich auch Kakao oder Mohn. Vor dem Backen die Form mit Butter und grobem Zucker ausstreuen, durch das anschließende Karamellisieren bleibt der Reinling länger frisch. Alternativ nach dem Backen mit Karamell übergießen.

Sollte ganz unverhofft etwas übrig bleiben, lassen sich die Reste zu einem köstlichen Scheiterhaufen verarbeiten (oder eben, wie Lucas Steindorfer anregte, zu einem French Toast). Wer nicht selbst backen möchte, der kann in Wien bei Pöhl am Naschmarkt den Reinling der Bäckerei Vallant in Sankt Veit kaufen, bei Mayr am Kutschkermarkt wird man ebenfalls fündig.

Bleibt dann nur noch die Frage, wer am Tisch sich die Sonnenseite sichert. (Eva Biringer, 15.4.2022)

Rezepte von Manuel Ressi, Küchenchef im Bärenwirt in Hermagor

Reindling-Cookies

ZUTATEN

300 g Butter
230 g Staubzucker
3 Eier
130 g weiße Schokolade
200 g Zartbitterschokolade
400 g glattes Weizenmehl
100 g Haselnüsse, gerieben
300 g Rosinen
1 g Backpulver
5 g Zimt, gemahlen
20 g Rum
20 g Milch

ZUBEREITUNG

Die Butter mit dem Staubzucker schaumig schlagen. Eier langsam dazugeben. Weiße Schokolade schmelzen und ebenfalls dazugeben. Die Zartbitterschokolade hacken und gemeinsam mit den anderen Zutaten unter den Abrieb heben. Anschließend die Masse in einen Spritzsack füllen und auf ein mit Backpapier belegtes Backblech dressieren. Die Cookies bei 180 Grad zwölf Minuten lang backen.

Vor dem Servieren auskühlen lassen.


Estragon-Reindling

ZUTATEN

für den Germteig:
520 g glattes Mehl
40 g Germ
250 g Milch
80 g Butter
40 g Vanillezucker
180 g Staubzucker
Salz
2 Eier
4 Eigelb

für die Fülle:
750 g Mascarpone
200 g Kristallzucker
100 g Estragon, gerebelt und gehackt
50 g süße Brösel
2 Vanilleschoten

ZUBEREITUNG

Für den Teig alle Zutaten zu einer homogenen Masse verkneten. Über Nacht bei 4 bis 8 Grad ruhen lassen. Für die Fülle die Mascarpone mit Kristallzucker, gehacktem Estragon, süßen Bröseln und dem Mark der Vanilleschoten verrühren.

Den Teig in drei gleichgroße Stücke teilen und diese rechteckig ca. 1,5 cm dick ausrollen. Mit der Mascarponemasse bestreichen, dabei soll am oberen Ende ein Rand von zwei Zentimetern freibleiben. Wie eine Roulade einrollen und vorsichtig auf ein mit Backpapier belegtes Backblech geben. An einem warmen Ort circa 30 Minuten gehen lassen.

Anschließend mit einem Ei bestreichen und bei 160 Grad Heißluft im Backrohr ca. 40 Minuten goldgelb backen. Vor dem Servieren auskühlen lassen. (Eva Biringer, RONDO, 15.4.2022)