Jonas, Joanna, Ivette und Moritz beim Erwachsenwerden: "Nachtschattengewächse" in Graz am Next Liberty ab 21. April.

Foto: Clemens Nestroy

Die Zeiten von eng gedrängt sitzenden Teenies im Theater waren im März 2020 schlagartig passé. Distanz war das Gebot und damit strenge Maßnahmen, die in der Folge über lange Zeitstrecken auch Theaterbesuche unmöglich machten. Selbst Nicht-Lockdown-Phasen waren für Kinder- und Jugendtheater heftig, da – je nach regional geltenden Regeln – Schulexkursionen untersagt waren. In einer problembehafteten Zeit fiel damit für viele junge Menschen ein Nachdenkfenster weg, ebenso wie die Möglichkeit des Austauschs.

Ungeachtet der Tatsache, dass das Virus noch nicht verschwunden ist, erobert sich das "normale" Leben seinen Platz zurück – und schätzt sich das Theater über einen enormen Ansturm jungen Publikums derzeit glücklich. "Wir werden regelrecht überrannt", sagt Dschungel-Wien-Leiterin Corinne Eckenstein. Sie hat das Haus 2016 von Stephan Rabl übernommen und sich nun für eine weitere Amtszeit nicht mehr beworben. Eine persönliche Entscheidung – immerhin wird sie mit Ende der nächsten Spielzeit 19 Jahre an der Bühne im Museumsquartier gearbeitet haben.

Politisch einbinden

Eckenstein war zuletzt eine zentrale Stimme in der Diskussion um Öffnungen und stellte immer wieder die Notwendigkeit in den Raum, Theater für junge Menschen als Ort der Auseinandersetzung zu begreifen, wo sich Communitys treffen und gesellschaftspolitische Prozesse angestoßen werden. "Es ist unsere Aufgabe, junge Menschen in politische Fragen einzubinden und kulturelle Teilhabe zu gewährleisten."

Dagegen ist schwer etwas einzuwenden, und doch blieb vielen Kindern in den vergangenen zwei Jahren der Theaterbesuch verwehrt. Im Linzer Theater des Kindes, das auch in Oberösterreich tourt, seien laut Leiter Andreas Baumgartner mit der Pandemie die Gastspielanfragen zu 200 Prozent gestiegen. Es gab für Schulgruppen ein zeitweiliges Öffi-Verbot, sodass dann umgekehrt das Theater eben zum Publikum kam. Das Theater des Kindes hat seither einen Covid-Beauftragten und sieht sich nach dem schwindelerregenden Wechsel diverser Maßnahmen (Sitzplanbelegung, Stoff- oder doch FFP2-Maske für bis Zwölfjährige etc.) für alles gewappnet.

"Praktisch ausgebucht"

Auch hier glänzt die Auslastungszahl de facto mit einem Prä-Pandemiewert von weit über 90 Prozent. "Wir sind bis Juli praktisch ausgebucht", so Baumgartner. Der Bedarf an außerschulischer inhaltlicher Auseinandersetzung scheint groß, und das Theater des Kindes bietet dafür relevante Themen. "Jetzt gerade werden wir vom Krieg überrollt", so Baumgartner. Die Dramaturgie ist dran. Am Plan stehen generell viele Ur- und Erstaufführungen, die Stoffe neu adaptieren, derzeit etwa Die Birne glüht (ab sieben Jahren) über Thomas Edison und den Erfindergeist. Das Theater des Kindes verfügt übrigens auch über ein erwachsenes Stammpublikum.

Kindertheater, das in Landestheaterverbände inkludiert ist, genießt Vor- und Nachteile. Einerseits kann es auf erstklassige Ressourcen zurückgreifen, wird allerdings umgekehrt gern eingespart, da sich Intendanzen mit anderen Sparten meist mehr identifizieren. Nicht so am Kinder- und Jugendtheater Next Liberty in Graz, das zwar zu den Bühnen Graz gehört, aber als eigene GmbH rangiert und somit Souveränität genießt. Direktor Michael Schilhan verantwortet sein eigenes Budget (2,8 Millionen Euro).

Das erhöht den Gestaltungsspielraum und schärft das Profil. Demnächst feiert das beim Retzhofer Dramapreis für junges Publikum zum Sieger gekürte Stück Nachtschattengewächse von Johannes Hoffmann Uraufführung – in Koproduktion mit dem Theater am Ortweinplatz. Es geht um Weichenstellungen am Ende der Ausbildungszeit. Premiere ist am 21. April, ab vierzehn Jahren.

Theaterpädagogik wichtig

Schilhan hat in seiner Intendanz den Bereich der Theaterpädagogik ausgebaut. Theaterpädagogik ermöglicht Vermittlung und Partizipation. "Ich sehe, wie wichtig gerade das Partizipative ist", sagt er im STANDARD-Gespräch. "Das Theater wird dabei zu einem wichtigen, nämlich explizit neutralen Ort, an dem Themen wie Mobbing, Generationen, Demokratie etc. zusammen mit Expertinnen verhandelt werden". Gerade in pädagogischen Belangen sieht sich das Next Liberty derzeit ebenfalls mit enormer Nachfrage konfrontiert. Die Auslastung ist rasch auf das Niveau vor der Pandemie zurückgependelt.

"Wir merken aber auch", so Schilhan, "dass Kinder heute, nach zwei Jahren Pandemie, ein wenig schaumgebremst sind. Diese Zeit des Passiv-sein-Müssens hat etwas mit ihnen gemacht." Es gibt also Aufholbedarf auf dem spielerischen Feld, auf dem Kinder lernen, sich einzubringen und das Wort zu ergreifen. Die Perspektiven anderer kennenzulernen würde ja auch Erwachsenen gut bekommen. (Margarete Affenzeller, 15.4.2022)