Anna Netrebko (hier im September 2021 in Moskau) hat den Krieg gegen die Ukraine verurteilt und wurde nun auch in Russland ausgeladen.

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Als Helga Rabl-Stadler 2019 in St. Petersburg saß, um als Präsidentin der Salzburger Festspiele einen lukrativen Sponsoringvertrag mit Gazprom zu unterschreiben, ahnte sie wahrscheinlich nicht, dass sie mit ihrem Namen die strategische Unterwanderung der österreichischen Kultur- und Klassikszene durch Russland beglaubigte.

Dass der Deal zum 100. Salzburg-Jubiläum der Corona-Pandemie zum Opfer fallen würde, konnte sie damals auf jeden Fall nicht wissen. Aber das Salzburger Russland-Problem besteht noch immer. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) hatte Helga Rabl-Stadler den russischen Geschäftsmann Dmitri Aksenow vorgestellt, der 2013 die "Gesellschaft der russischen Freunde der Salzburger Festspiele" gründete und fortan ausgewählte Produktionen mitfinanzierte – am liebsten, wenn der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis beteiligt war.

Musik-Messias

Teodor Currentzis steht in der Kritik.
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Currentzis lebt freiwillig in Russland, versteuert dort sein Einkommen. Er und sein Ensemble MusicAeterna werden von einem Oligarchen unterstützt, dem das DOM-Radio in St. Petersburg gehört, einer der noch wenigen freien (und putinfreundlichen) Radiosender, und von der russischen VTB-Bank, deren Vorsitzender von Putins Gnaden bestimmt wird und die auf der europäischen Sanktionsliste steht. Für manche ist Teodor Currentzis ein Musik-Messias, der Mozart gegen den Strich bürstet und sich gern mit einer getreuen Entourage umgibt.

Während der russische Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, sich klar gegen Putin und für russische Musik ausgesprochen hat und Kollegen wie Franz Welser-Möst oder Simon Rattle sich an der Unterschriftenaktion des russischstämmigen Vladimir Jurowski beteiligt haben, schweigt Currentzis beharrlich zu Putin und dessen Krieg.

Russische Sponsoring-Pipeline

Auch in Kriegszeiten will er auf zwei Hochzeiten musizieren: im Kreml und bei den Salzburger Festspielen. Doch diesen Sommer droht Salzburgs russische Sponsoring-Pipeline zu versiegen. Festspielintendant Markus Hinterhäuser weiß noch nicht, ob er Currentzis und MusicAeterna auftreten lassen kann.

Dass klassische Musik für Putin mehr ist als Tschaikowsky, dass Oper und Konzerte für den Ex-KGB-Mann perfekte Einfallstore für Wirtschaft und Politik sind und ein Eldorado für dubiose Finanzgeschäfte, hätte man spätestens seit 2016 wissen können. Damals wurden im Zuge der Panama-Papiere zwei Milliarden Dollar Schwarzgeld bei Putins Freund, dem Cellisten Sergei Roldugin (er war Taufpate bei Putins erster Tochter), in einem ausgetüftelten Netz von Briefkastenfirmen gefunden.

"Wir haben das erst gar nicht begriffen", sagt der Investigativjournalist Frederik Obermaier, der für den Spiegel arbeitet, "aber die Klassik hat sich als perfekter Ort für derartige Geschäfte entpuppt: Man schreibt ihr selbstlosen Humanismus zu, und es ist selbstverständlich, dass sich Politiker und Wirtschaftsführer in diesem Kosmos bewegen."

Putin kennenlernen

Ein ideales Schattenreich, eine Nische ohne öffentliches Interesse und investigativen Journalismus: Putins Propagandisten haben das früh erkannt und der Musik ihre Unschuld geraubt – mit Vorliebe in Österreich.

Musikmanager Hans-Joachim Frey war Intendant des Linzer Brucknerhauses mit guten Beziehungen zu Wladimir Putin.
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Eine Schlüsselfigur ist der deutsche Musikmanager Hans-Joachim Frey. Bevor er 2013 ans Brucknerhaus in Linz berufen wurde, hatte er als Intendant in Bremen einen Millionenflop hingelegt. Frey organisiert den Semperopernball in Dresden, auf dem er 2009 Putin kennenlernte.

Mit dem Ball erfand Frey ein Prinzip, das er später in Linz perfektionierte: Kultur als Mittel zur Macht. Er vereinte Wirtschaftsführer in einem Förderverein und reiste regelmäßig mit ihnen nach Russland. Frey schaffte es sogar, dass Sachsens Ministerpräsident, Stanislaw Tillich, Putin den Ball-Orden persönlich um den Hals hängte. Zu den Feierlichkeiten spielte Hofmusikant Roldugin auf dem Cello, der inzwischen zum höchsten Musik-Apparatschik des Kreml aufgestiegen ist.

Geschäfte im Osten

In Linz gründete Frey mit dem damaligen Wirtschaftskammerpräsidenten Christoph Leitl das Industrie- und Wirtschaftsforum, angeblich als Unterstützung für das Brucknerhaus. Doch die Gruppe von Unternehmern und Politikern reiste gern nach Russland und schmiedete Geschäfte im Osten.

Dirigent Valery Gergiev ist Putins Protegé.
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Regelmäßig ließ Frey seinen Freund Roldugin im Brucknerhaus (meist vor wenig Publikum) auftreten und übertrug ihm schließlich die "Russischen Dienstage", eine Reihe, die der Cellist eigenständig kuratierte. Spätestens jetzt dirigierte der Kreml auch offiziell in Linz mit.

Als den Linzern Freys Russland-Geschäfte suspekt wurden, verschaffte Roldugin ihm einen neuen Job. Frey wurde Intendant in Putins Lieblingsstadt Sotschi und nahm die russische Staatsbürgerschaft an. An seinem letzten Arbeitstag in Linz ließ er den Bürgermeister noch schnell einen üppig ausgestatteten Vertrag für einen Bruckner-Zyklus unterschreiben. Dirigent war Valery Gergiev, der schon damals Putins schwulenfeindliche Gesetze beklatschte, für Assad in Palmyra spielte und die Krim-Annexion guthieß.

Nibelungentreue zu Putin

Gerade erschien ein Film von Alexander Nawalny, in dem Gergievs Viele-hundert-Millionen-Dollar-Imperium mit Immobilien in ganz Europa seziert wird, seine Nibelungentreue zu Putin und eine dubiose Stiftung für Nachwuchsmusiker, mit deren Kreditkarte der Maestro Zigarrenrollkurse, absurde Arztbesuche, Wodka und lukullische Abende bezahlt.

Алексей Навальный

Als Freys Nachfolger, Dietmar Kerschbaum, die "Russischen Dienstage" absetzen wollte, klingelte das Telefon im Brucknerhaus. Das Kanzleramt von Sebastian Kurz (ÖVP) intervenierte und bat, die Veranstaltungen beizubehalten.

Sowohl vom Leiter des Brucknerhauses als auch vom Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) hieß es dazu auf aktuelle Anfrage nur, dass man dazu "keine Auskunft geben" könne. * Hätte sich die Linzer Politik früher dafür interessiert, wäre ihr die russische Unterwanderung ihrer Kultur erspart geblieben. Inzwischen wurden die "Russischen Dienstage" in "Ukrainische Dienstage" umgetauft. Ein schaler Beigeschmack bleibt.

Paradies fürs Netzwerk

Am Brucknerhaus ist modellhaft zu beobachten, wie Putins Netzwerk sich durch die Kultur in eine Bürgergesellschaft einschleicht. Salzburg könnte von Linz lernen, dass russisches Geld in der österreichischen Kultur in erster Linie eine Strategie des Kreml ist.

Gerade Mozarts Geburtsstadt und ihr Sommerpublikum sind ein Paradies für Putins Netzwerker. Doch Österreich tut sich schwer, so klar zu handeln wie die USA. Met-Intendant Peter Gelb hat sich vom ersten Kriegstag an klar gegen jede russische Einflussnahme positioniert: Netrebko, Gergiev und Currentzis haben auf seiner Bühne keinen Platz. Basta.

Es erstaunt, mit wie viel Leidenschaft Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser weiter an den Auftritten von Currentzis festhält. Diese Woche scheiterte die Schützenhilfe, die er dafür aus dem Wiener Konzerthaus bekommen sollte.

Ex-Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Russlands, Dmitri Medwedew.
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Intendant Matthias Naske wollte ein "Whitewashing"-Konzert für das russische Orchester organisieren. Doch Rotes Kreuz, Caritas und der ukrainische Botschafter zeigten ihm die rote Karte – das Konzert wurde abgesagt. Auch hier stellte sich die Frage: Warum war Naske diese Aktion so wichtig, dass er sie nicht schon nach der Absage des Roten Kreuzes abgeblasen hat? Ein Blick in das Liechtensteiner Handelsregister in Vaduz könnte es erklären.

Naske ist als einer von sieben Managern der MusicAeterna-Stiftung eingetragen. Der Intendant argumentiert gegenüber dem STANDARD: "Ehrenamtliche Engagements sind Bestandteil des Führungsprofils leitender Organe kultureller Institutionen." Er ist aber zeichnungsberechtigt in der Stiftung, hatte damit wohl Interesse an der politischen Reinwaschung des Ensembles.

Umweg über Moskau

Außerdem ist Naske ein guter Freund des Dirigenten. Nur wenige Stunden, nachdem Russland die Ukraine überfallen hatte und die Weltpolitik den Dritten Weltkrieg befürchtete, feierte Currentzis am 24. Februar 50. Geburtstag in St. Petersburg. Auf Videos ist zu sehen, wie seine Gäste ausgelassen lachten und der Rede des Dirigenten lauschten. Kein Wort vom Krieg. Stattdessen floss Schaumwein. Mittendrin: Naske, seine Begleitung und sein Betriebsdirektor Rico Gulda. Der reiste am nächsten Tag zurück nach Wien, Naske soll – mitten im Krieg – noch einen Umweg über Moskau genommen haben.

Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler war Naskes Stiftungstätigkeit nicht bekannt, aber der Intendant müsse derartige Jobs auch nicht offenlegen, erklärte sie auf Anfrage und fügte hinzu, dass "wir in Österreich in der glücklichen Lage sind, über ein gut funktionierendes Subventionssystem durch die öffentliche Hand zu verfügen".

DER STANDARD

In vielen anderen Ländern sei dies nicht der Fall, "sodass Abhängigkeiten zu Privaten entstehen können. Jedenfalls sollten unangebrachte Verflechtungen von Wirtschaft und Kultur nicht auf dem Rücken von Künstlerinnen und Künstlern ausgetragen werden." Eine Argumentation, die das russische Kulturnetzwerk in Österreich offensichtlich unterschätzt ...

Propagandawert der Kultur

In Linz, Salzburg oder Wien lockt gerade das "Subventionssystem Österreich" Oligarchen, russische Banken oder Ölkonzerne an. Gerade in Russland ist die staatliche Kultursubvention stark ausgeprägt, da man um den Propagandawert der Kultur weiß.

Nach Kriegsausbruch hat Putin Gergiev im TV die Zusammenlegung der Staatstheater Bolschoi und Marinskii nahegelegt, und auch die Finanzierung von MusicAeterna durch die VTB Bank wäre ohne Putins Zustimmung nicht möglich.

Musiker wie Gergiev, Roldugin oder Currentzis profitieren seit Jahren vom System Putin und sind millionenschwere Speerspitzen im Kulturkampf des Kreml, bei dem es um sanfte Propaganda und politische und ökonomische Einflussnahme geht. Vielleicht ist es an der Zeit, zu verstehen, dass die goldene Klassik-Kultur in Österreich längst viel "Aljonka"-Schokolade umwickelt. (Axel Brüggemann, 18.4.2022)