Medienkonsum muss in den ersten Jahren von den Eltern begleitet werden – da sind sich alle Experten einig.

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Wenn heute eine Zweijährige Mama oder Papa nachahmen will, dann schnappt sie sich einen Holzklotz oder die Computermaus und simuliert ein Handy. "Hallo Oma", hört man sie dann sagen. "Hallo, wer ist da?"

Wir, die Erwachsenen, ziehen die erste Generation an Kindern auf, die eine Welt ohne digitale Endgeräte nicht kennen. Ständig hat jemand besagtes Smartphone in der Hand, schaut auf dem Tablet eine Serie oder arbeitet am Laptop, weil er oder sie im Homeoffice arbeiten darf oder auch muss. In österreichischen Haushalten mit Kindern unter sechs Jahren gab es laut einer 2019 durchgeführten Studie – also noch vor Corona – durchschnittlich vier bis fünf internetfähige Geräte. Bereits 72 Prozent der Kinder zwischen null und sechs Jahren beziehungsweise 81 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen nutzten damals diese zumindest gelegentlich selbst.

Speziell das Smartphone, das in praktisch jedem Haushalt omnipräsent ist, ist für die Kleinsten spannend – es leuchtet, es vibriert und macht immer wieder lustige Geräusche. "Kinder nehmen wahr, dass das ein unheimlich wichtiges Gerät ist", erklärt auch Petra Wolf, Fachreferentin für Jugendmedienschutz und Medienpädagogik. "Eltern auf dem Spielplatz haben eines in der Hand, Eltern vor dem Kindergarten haben eines in der Hand – es gibt sogar Kinderwägen mit Smartphonehalterung, damit die Eltern es nicht tragen müssen."

Homeoffice hat die Digitalisierung in vielen Haushalten noch einmal beschleunigt und vor allem die Allgegenwärtigkeit von digitalen Geräten verstärkt.
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Mit Maß und Ziel

Das Interesse an diesen Medien komme also ganz von selbst, so die Expertin. Nun ginge es darum, den Kindern vor allem zum Alter passende Inhalte zur Verfügung zu stellen und diesen Konsum auch zu begleiten. In den ersten drei Lebensjahren ginge es aber vor allem um das Erfühlen der neuen Welt und um Bewegung – Sinneserfahrungen. Diese dürfen nie zu kurz kommen, weil man das Kind aus Bequemlichkeit lieber vor dem Tablet parkt. Deshalb gibt es etwa von der WHO oder von Gesundheitseinrichtungen des jeweiligen Landes meistens Richtlinien, an denen man sich als Elternteil festhalten kann. Unter drei Jahren sollen Kinder "möglichst wenig" mit digitalen Geräten konfrontiert werden, danach rät eine Faustregel etwa fünf Minuten pro Lebensjahr als täglichen Konsum. Das wären bei einem Dreijährigen 15 Minuten, bei einem Zwölfjährigen 60 Minuten.

Interesse der Eltern, das Kind hier zu begleiten, sei laut Wolf eine Pflicht. "Es gibt mittlerweile ein so breites Angebot, da muss man sich als Elternteil schon ein wenig einarbeiten." Ihr Sohn habe damals als 13-Jähriger Gaming für sich entdeckt. Bei jedem Spiel wäre sie beim Download dabei gewesen und hätte die erste Stunde gemeinsam mit ihrem Sohn vor dem PC verbracht. "Ich war nicht besonders gut, aber es war eine sehr schöne gemeinsame Zeit."

Medienrituale

Mittlerweile haben sich auch zahlreiche Eltern angewöhnt, Medien in den Alltag einzubauen. Eine Folge einer Zeichentrickserie, um in Ruhe die Nägel schneiden zu können etwa. Aus einer Studie zitiert Wolf dazu den Satz eines Elternpaares: "Dank des Smartphones ist Zähneputzen jetzt kein Problem mehr." Diese Medienrituale verurteilen will Wolf nicht, aber optimal sind sie nicht. Diese Meinung teilt auch Barbara Buchegger von der Initiative Saferinternet. "Serien wie 'Peppa Wutz' sind wie Schokolade – sehr faszinierend für viele Kinder, und es ist schwer wegzukommen", ist sich Buchegger sicher. Sobald man merkt, dass Kinder nur noch gestresst sind oder die Medien zu stark einfordern, dann sollte man die Dosis reduzieren und die Rituale in dieser Form zumindest einmal hinterfragen. Müssen wir das Ritual in dieser Form noch so abhalten? Warum haben wir es damals eingeführt, und was hat sich seitdem verändert?

Besser ist es aber allemal, gemeinsam mit dem Kind beispielsweise eine Serie zu schauen – anstatt das Kind allein vor dem Tablet zu parken. Damit sei auch eine Form der Familienzeit gesichert, die das Kind auch als solche wahrnehme. Zudem sei eine halbe Stunde Videoinhalte während einer längeren Autofahrt ebenfalls völlig bedenkenlos. Bei einer sechsstündigen Fahrt würde Buchegger allerdings auch Alternativen wie etwa "Ich seh, ich seh, was du nicht siehst" dem Unterhaltungsprogramm hinzufügen. Generell sei der Griff zum Handy oftmals Bequemlichkeit, weil man anderes Spielzeug für einen Ausflug vergessen habe. Zudem sei es Kindern zumutbar, auch einmal "Langeweile auszuhalten".

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Kinder sind sehr schnell beim Lernen – auch beim Umgang mit digitalen Inhalten.
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Videospiele

Laut einer aktuellen Studie machen Vorschulkinder ihre ersten digitalen Spieleerfahrungen mit durchschnittlich 3,3 Jahren, und 17 Prozent der Zwei- bis Fünfjährigen spielen regelmäßig digitale Spiele. Wichtig sei hier, die Altersbeschränkungen immer zu respektieren, so die Expertinnen. Bei Videospielen beziehen sich diese Empfehlungen in der Regel auf den Inhalt und nicht auf die Mechanik, also ob das Kind grundsätzlich fähig ist, das Spiel zu steuern. Bei mehreren Kindern im Haushalt sei ohnehin das jüngere Kind immer auch mit den Inhalten des älteren Kindes konfrontiert. Die vielen Reize, die viele Spiele einfordern würden, seien in jedem Fall ernst zu nehmen. Ein jüngeres Kind kann durchaus dabei zusehen wenn die Mama oder das ältere Kind eine Runde "Mario Kart" spielen – es sei aber wenig sinnvoll, das dafür zu junge Kind diesen Reizen und auch noch dem Stress des Spielens auszusetzen.

Dennoch sei die aktive Mediennutzung der passiven immer vorzuziehen, weil die Kinder dadurch nicht nur selbst gestalten lernen würden, sondern auch mit der Lösung von möglichen Problemfällen konfrontiert werden. Laut Expertinnen gibt es ausreichend Plattformen, die altersgerechte Inhalte vorstellen. In Österreich ist das etwa die Bundesprüfstelle für Positivprädikatisierung von digitalen Spielen (Bupp), wo beispielsweise Spiele nach Alter oder Plattform durchsucht werden können. Natürlich handelt es sich dabei immer um Empfehlungen, im Einzelfall müssen dann die Eltern selbst entscheiden, ähnlich wie bei Filmen und anderen Medien. Jedes Kind ist anders – das wissen alle Eltern, weil sie es schon oft gesagt bekommen haben.

Von der Nutzung von Gratis-Apps raten die Experten ab, da diese meist mit auf die Eltern personalisierter Werbung vollgestopft seien und zudem meist das Online-Sein voraussetzen, was wiederum Tür und Tor für das unabsichtliche Weiterspringen im Netz öffnen könne. Buchegger nennt als Positivbeispiele etwa die "Sendung mit der Maus / Sendung mit dem Elefanten" oder auch die Kikaninchen-App für die ganz Kleinen. Bis zur Volksschule könne man Kinder noch für Lernapps motivieren, das dürfe man ruhig nutzen.

Bildung

Schulungen in Sachen Medienkompetenz können laut Wolf nicht früh genug anfangen. Viele Eltern würden ihren Kindern bereits mit fünf oder sechs Jahren ein Smartphone in die Hand drücken, das heißt, Aufklärung müsste demnach noch früher anfangen, um die Kinder auf die neuen Gefahren hinzuweisen. "Frühkindliche Medienbildung" sei deshalb ein Punkt, der wohl bald von den Bildungsministerien verlangt würde. Corona habe hier auch viel bewegt. Laut Wolf wollten von ihr angesprochene Kindertagesstätten nichts mit Medienbildung zu tun haben. Es sei dafür zu früh, habe man ihr gesagt. Seit Pandemiebeginn würde hier ein Umdenken stattfinden, so die Pädagogin. Auch beim Bildungsministerium, wie man immer wieder liest. So waren Inhalte von "Medienbildung" in höheren Schulen zuletzt bereits in andere Fächer eingeflochten. Hier soll ab Herbst eine stärkere Priorisierung geschehen. Ab 2023 will man "Digitale Grundbildung" auch in der Volksschule einführen.

In keinem Fall solle man laut Wolf Medienbildung mit Medienkonsum verwechseln. Oftmals äußern Eltern, sie würden ihren Kindern schon mit einem Jahr auf dem Tablet die ersten Spiele vorstellen, damit diese keinen Nachteil in der Schule hätten. "Schlechtes Gewissen" sei hier nicht nötig. Kinder in diesem Alter würden sehr schnell lernen.

Kinder ahmen Eltern nach – deshalb gilt es auch, mit gutem Beispiel voranzugehen und nicht das Smartphone permanent in der Hand zu halten.
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Wie Fahrradfahren

Wichtig sei für Eltern, dass sie alle Medieninhalte begleiten würden, die so früh auf ein Kind einprasseln können. Man müsse dem Kind die Möglichkeit geben, über das Erlebte zu sprechen – manche Kinder würden auch die gesehenen Inhalte zeichnen oder davon erzählen. Eine vollständige Trennung sei nicht möglich, das ist auch der Pädagogin Petra Wolf klar. "Stellen sie sich vor, sie würden ihr Kind auf ein Fahrrad setzen und auf eine stark befahrene Straße schicken. Sie hätten wohl ein schlechtes Gefühl dabei. Davor sind wahrscheinlich Stützräder oder das Halten des Rads nötig, bis das Kind sicher genug ist, allein zu fahren. Genauso verhält es sich in der Medienwelt und mit der dazugehörigen sicheren Durchquerung."

Auch Buchegger hält wenig davon, sich allein auf Ratgeber und Studien vor Corona zu verlassen. "Eltern immer ins schlechte Gewissen zu drängen macht wenig Sinn", so die Pädagogin. Wichtig sei, die Mediennutzung auf das eigene Kind abzustimmen und Überforderung schnell zu bemerken. Am Ende sei die richtige Mischung wichtig. Durch die Bildschirmzeit dürfen andere wichtige Erfahrungen für das Kind nicht leiden – weder das Erkunden der realen Welt noch eine ausreichende Schlafenszeit. Letzteres werden viele Eltern sicher gerne hören. (Alexander Amon, 21.4.2022)