Günter Franzmeier, vormals am Volkstheater, in der Rolle des Helmut Brennwert im Werk X in Wien.

Foto: Alexander Gotter

Nicht einmal als Inhalt einer Wurst taugt Helmut Brennwert, bestenfalls ist er ein "Idiotenschweinehund", ein "außermenschliches Karzinom" – tatsächlich aber ist er überhaupt nicht: Die Kaskaden der Demütigung und Existenzverweigerung, die der arbeitslose Sparkassenangestellte in Werner Schwabs Eskalation ordinär durchläuft, führen dem Publikum die Brutalität vor Augen, mit welcher die Leistungsgesellschaft jene zerfleischt, die in ihren Augen nur als Verlierer gelten können. Wie eben ein arbeitsloser Mensch, der laut Schwab als Vorhaut-Verengung, also als "Phimose der menschlichen Vollwertnatur", im Bodensatz dieser Welt zu wühlen verdammt ist.

Sprachwucht

Die einzigartige Sprachwucht und kompromisslose Radikalität des 1994 verstorbenen Grazer Autors lässt das Publikum in einer Oszillation aus Lachen und Mitleid diese Tour d’ordinaire emotional begleiten. Beide Elemente kommen in der Inszenierung von Ali M. Abdullah im Werk X unverfälscht zur Geltung; sie hatte am Mittwoch in Meidling Premiere.

Das Leitungsteam konnte aber nicht ganz zu den von Schwab vorgelegten Extremen vordringen, zu wohltemperiert verlief der Theaterabend. Bravorufe gab es für das Ensemble, in dessen Zentrum der Ex-Volkstheater-Schauspieler Günter Franzmeier steht. Als Helmut Brennwert zeigt er weit mehr als den Prügelknaben des Kollektivs.

Während die Rückwand des weißen Bühnenraums (Renato Uz) stetig rosa bemalt wird, vollzieht sich der "Schwitzkastenschwank in 7 Affekten", so der Untertitel. Das Personal für das Passionsspiel steht bereit: Da ist Sebastian Thiers als leitender Sparkassenangestellter, der am Würstelstand mit gellendem Gelächter die Vernichtung des mit Senf versauten Brennwert initiiert. Es wird nichts aus der "täglichen Sparkassenabhängigkeit", durch die der Protagonist die geldverliebte "Anverlobte" (Maddalena Hirschal) hätte halten können.

Erniedrigt

Brennwert wird bei erzwungener Onanie erniedrigt, im Gasthaus schlabbert er Spülwasser aus dem Hundenapf, es schmerzt eine schallende Ohrfeige von Nieroster, dem Cafetier – Christian Dolezal hat mit seiner Mehrfach-Rolle einen dynamischen Part und sorgt für einige Lacher. Dem allen wohnt das alte Ehepaar bei, das sich mit Haube (Edu Wildner) und Walking-Stöcken (Susanne Altschul) zeigt.

Ein Höhepunkt ist die Szene von Brennwerts Vergewaltigung. Mit Penissen versehene Strumpfhosen ermöglichen die Durchführung, abgemildert wird die Szene dadurch nicht. Am Ende ist es Brennwert, der richtig blankzieht. Auch im letzten Monolog lässt Franzmeier mit Feingefühl Schwabs Sprache lebendig werden, sein Spiel wirkt überaus glaubwürdig.

Die Besetzung und das passende Tempo der Inszenierung sorgen für einen insgesamt unterhaltsamen Abend, der sich glücklicherweise nicht nur im Slapstick ergießt. Na dann: "Noch mehr scharfen Senf auf mich hinauf!" (Lisa Kammann, 21.4.2022)