Fieberhafte Vorbereitungen auf den 1. Mai in der Sektion 7 der SPÖ Ottakring: Eine Machtdemonstration gegen die ÖVP soll am Sonntag stattfinden – und viel Party.

Foto: Christian Fischer

Es gibt Momente, da verlieren selbst gefestigte Sozialdemokratinnen die Orientierung. Über dem Slogan musste die Genossin nicht lange brüten, doch das Pickerl bereitet Kopfzerbrechen. Wie gehören die drei Pfeile mit Kreis noch rasch ausgerichtet? Anders, als es der Parteispitze bisweilen gelingt, ist dieser Richtungsstreit rasch begraben. "Von rechts oben nach links unten", schießt es einem Kollegen ein.

Die Konfusion ist verständlich. Längst ist das alte Logo, das Einigkeit gegen Kapitalismus, Faschismus und Reaktion symbolisieren soll, aus der offiziellen Bildsprache der SPÖ verschwunden. Nur einmal im Jahr taucht das Symbol, ob auf handgemalten Plakaten oder uralten Bannern, plötzlich wieder massiert auf: am 1. Mai – oder, wie Bezirksrat Stefan Jagsch sagt: "Zu Sozi-Weihnachten."

"Sozi" hält hier niemand für despektierlich. Geht es nach der Abordnung der Parteisektion 7, die sich an diesem Dienstagabend zur Vorbereitung auf den Festtag getroffen hat, dann hätte sich die SPÖ nie von sozialistisch in sozialdemokratisch umbenennen müssen. Einer definiert sich per Aufdruck am Pulli – frei nach der ÖVPlerin Johanna Mikl-Leitner – gar als "rotes Gsindl". Schmähungen seien ein gutes Zeichen, tönt es aus der altersmäßig von 27 bis 56 Jahren breit gefächerten Gruppe: "Das zeigt, dass sie uns wieder fürchten."

Stolz auf die Tradition

Der Stolz auf die Tradition springt Besucher des SP-Hauptquartiers im klassischen Arbeiterbezirk Ottakring förmlich an. Das Entrée ist flankiert von Büsten, Plaketten und Bildern aus gloriosen Tagen, und auch im neonausgeleuchteten Sitzungssaal am Ende des Ganges geht es bodenständig zu. Online-Fackelzüge und andere virtuelle Spielereien der Corona-Zeit hätten nun Pause, sagt Jagsch: Alle freuten sich auf den ersten Aufmarsch seit drei Jahren – "ganz analog".

Bastelstunde für Genossinnen und Genossen: Eifrig wurden Plakate mit Parolen gebastelt – nach zwei weitgehend virtuellen Aufmärschen wohltuend analog.
Foto: Christian Fischer

Modernstes Produktionsmittel ist ein Beamer, der Slogans an die Wand wirft. Die schreiberisch Unbegabteren pausen ab, andere versuchen es im Freestyle. Edding-Stifte dienen zum säuberlichen Ausmalen der Buchstaben, am Ende werden die fertigen Plakate per Tacker an Tragestöcke befestigt. Auch die Parolen selbst seien Eigenkreationen, wird versichert. In Zeiten wie diesen brauche wohl niemand ernsthaft Vorgaben von oben.

Das "Land der Femizide" prangert Ruth Manninger, außer Bezirksrätin noch Geschäftsführerin der SPÖ-Frauen, an: Wo blieben 228 Million für den Gewaltschutz? "Nieder mit der ÖVP" fordert ein weiteres Plakat. "Die sollen in der Opposition leben lernen nach all der strukturellen Korruption", sagt Autor Daniel Lehner, "dem Land täte es gut." Auch an der Teuerung führt kein Weg vorbei. Ob sich eine rot geführte Regierung all das, was die SPÖ zur Linderung fordert, leisten wird können? Die Antwort landet ebenfalls auf Karton: "Für Umwelt, Bildung und Soziales sollen nun die Reichen zahlen."

Auch gegen den Kapitalismus

So eifrig gebastelt wird nicht überall in der Partei. Angesichts des noch von der schwarz-blauen Regierung verfügten Umbaus der Sozialversicherung habe die Muße für derartige Aktivitäten gefehlt, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Franz Koskarti, der am 1. Mai mit einer Gewerkschaftsdelegation aus der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) aufmarschieren wird: "Manche fühlen sich auch eingeschüchtert."

Zu mehr als einem einzigen, bei einem professionellen Anbieter bestellten Transparent habe es unter diesen Umständen heuer nicht gereicht. Natürlich ließen die zornigen Arbeitnehmervertreter darauf den Ruf nach der, ihrer Meinung nach ausgehebelten, Selbstverwaltung verewigen.

Der 55-Jährige marschiert von Kindesbeinen an mit, dafür sorgte schon die Familie. Der Großvater war Eisenbahner in der Floridsdorfer Zentralwerkstätte, der Vater Personalvertreter in der Krankenkasse, ganz so wie der Sohn. Gleich doppelt trägt Koskarti das alte Symbol aus den Dreißigern mit sich – am Handydisplay und als Anstecker am Sakko. Und im Gegensatz zu so mancher Parteigröße, merkt er an, nehme er alle drei Pfeile ernst. Auch den gegen den Kapitalismus.

Zu viel Schönwettergeschichte

Der Bergarbeiter in Anatolien stehe ihm näher als Dietrich Mateschitz in Salzburg, erläutert Koskarti, deshalb treibe ihn nicht nur Nostalgie zur Maidemonstration. Wenigstens am weltweit begangenen Feiertag der Arbeiterbewegung zeige die Sozialdemokratie noch eine Spur von internationalem Anspruch. So sehr man sich auch übers Jahr ärgere: "Der 1. Mai gibt dir das Gefühl, du bist nicht allein."

Allerdings ist ihm der Event, der Gleichgesinnte aus allen Ecken Wiens mit Pomp und Trara zum Rathausplatz pilgern lässt, zu oft "eine Schönwettergeschichte" geworden. Der Aufmarsch vor der Ehrentribüne des Parteiestablishments solle nicht nur zur Selbstbejubelung dienen, findet Koskarti, sondern auch zur Präsentation von Forderungen über die offizielle Linie hinaus.

Da kam es in Vergangenheit schon vor, dass die Organisatoren von der Wiener SP-Zentrale Bedenken gegen Parolen anmeldeten, die sie beim Eintrudeln der Delegationen verkünden sollten. Als die Gewerkschafter die schwarz-blaue Kassenfusion als "Diebstahl" brandmarken wollten, sei ein Appell zur Mäßigung retour gekommen: Das könne man doch eleganter ausdrücken!

Zurückhaltung ist Koskartis Sache auch nicht, als die Sprache auf die Chefin kommt. Pamela Rendi-Wagner gebe wohl eine gute Regierungspolitikerin ab, urteilt er, aber Opposition? "Leider nein. Sie ist nicht gut beraten, und kann es, glaube ich, auch nicht." Viel zu staatstragend gebärde sich die Partei, vor lauter Lavieren sei die Linie schwer zu erkennen. Und die Führung in den Umfragen? Beim aktuellen Zustand der Regierung könne man längst nicht mehr nur von aufgelegten Elfern reden, da liege der Ball längst im Tor: "Dafür sind die Werte der SPÖ schwach."

Vom Rathausplatz gepfiffen

Vor Bundesvorsitzenden breitet sich am 1. Mai nicht immer eine gmahte Wiesn aus – frag nach bei Ex-Kanzler Werner Faymann, der 2016 aus dem Amt gepfiffen wurde. Doch obwohl Koskarti mit seiner Ansicht in der SPÖ sicher nicht allein steht, ist dieses Mal kaum mit öffentlichem Unmut zu rechnen. Diesen Schuss ins eigene Knie wird angesichts der strauchelnden ÖVP niemand setzen.

Ihn habe es auch "vom Hocker gehaut", als Rendi-Wagner einmal das rote Lieblingsprojekt der Vermögenssteuern aufkündigte, sagt Gallus Vögel, SP-Geschäftsführer im Bezirk Neubau. Aber das sei lange her und längst korrigiert. Statt Matschgern sei heuer Freude angesagt: "Wegen Corona konnten wir den Wahlsieg in Wien von 2020 ja gar nicht richtig feiern. Das holen wir nach."

Gerne ein Sozi sein: Was Gegnern als Schmähwort gilt, ist hier ein Ehrentitel.
Foto: Christian Fischer

Die Genossinnen und Genossen mascherln sich dafür standesgemäß auf. Stolze Fahnen, die älteste ein Jahrhundert alt, warten darauf, durch die Straßen getragen zu werden. "Diese hier trauen wir uns kaum zu waschen", sagt Vögel, als er über ein besonders prächtiges, bortenbesetzes Exemplar aus den Fünfzigern streicht.

Da werde sie glatt neidisch, erwidert Maria Studeny-Löscher, Vögels Kollegin aus dem mit etwas schlichteren Modellen ausgestatteten Nachbarbezirk Mariahilf. Die Vorfreude steht ihr trotzdem ins Gesicht geschrieben. Schon als Kind habe sie den Elan und die Begeisterung aufgesogen: "An diesem Tag zeigt die Sozialdemokratie allen: Wir sind da!"

Abgesehen von der historischen Ausstattung haben beide Bezirke aktuelle Transparente bestellt, eines zum Krieg, das andere zur Teuerung. Absprachen mit der Parteizentrale gebe es schon, sagt Vögel, doch diese Themen seien ohnehin nicht zu übersehen: "Wir bieten im Bezirk Beratungsgespräche zur Inflation an, da rennen sie uns die Tür ein."

Konflikte für einen Tag begraben

Damit das auch für die Maifeier gilt, haben Aktivisten in den Tagen davor noch eines zu tun: möglichst viele Leute anrufen und zum Kommen motivieren. Die Themenlage sollte helfen. "Eine Machtdemonstration gegen die ÖVP" schwebt der Ottakringer Bezirksrätin Manninger vor, denn das System sei ja trotz Sebastian Kurz’ Rückzug das gleiche geblieben. So groß die Meinungsverschiedenheiten in der SPÖ in manchen Fragen auch seien, fügt Katharina Embacher, die Jüngste im Kreis, an: "An diesem Tag stehen wir gemeinsam auf der Straße. Das stärkt."

Um eines geht es aber nicht weniger: Feiern. Viel Remmidemmi veranstalten die Ottakringer, gleich drei Musikgruppen begleiten den Marsch. Auch nach dem Hochamt auf dem Rathausplatz ist noch lange nicht Schluss. Die einen schwören auf eine Grillsession vor dem Sandleitenhof mit den definitiv besten Cevapcici, was im an Balkanküche nicht armen Bezirk etwas heißt. Andere feiern im kleinen Kreis – und sei es, um mit Freunden Papiernelken zu falten. Kein Grund zum Wundern, sagt Bezirksrat Jagsch: "Putzt du deinen Christbaum zu Weihnachten denn nicht auf?" (Gerald John, 30.4.2022)