Zurück in der Zukunft: Nach Jahren des Leerstands ist die Architekturikone aus Stahl endlich zugänglich – als Restaurant!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wer von der U-Bahn-Station Keplerplatz ins Licht der Favoritenstraße hochsteigt, den erinnert der stählerne Bau mit der suggestiv geschürzten Lippe durchaus an ein havariertes Raumschiff, stilistische Anleihen bei Darth Vader inklusive. Abends, wenn diffus rötliches Licht aus den Sichtluken sickert, ist das besonders eindrucksvoll.

Die ehemalige Zentralsparkasse von Architekt Günther Domenig ist ein Haus, das man nicht vergisst. Das Eintreten ist ein Schritt in eine andere Welt, wie das Maul eines geheimnisvollen Organismus, der einen aufsaugt, um die intimen Geheimnisse seines Seins, bis hin zu den Knochen und Sehnen, Röhrln und Adern, preiszugeben.

Für Friedrich Achleitner, den Doyen der österreichischen Architekturkritik, war das Gebäude aus den späten 1970ern ein Schlüsselbau der heimischen Gegenwartsarchitektur, eine "extreme Leistung" von "gespannt-nervöser Expressivität", nach dem "Prinzip Wucherung" hart an die Grenze der baupolizeilichen Zumutbarkeit gebaut. Viele Jahre stand es leer, trotz Toplage an der Shoppingmeile, ein Fanal der Geringschätzung großer Architektur in der Stadt und im ganzen Land.

Essen auf vier Stockwerken

Für Ekrem Tütüncü ist es einfach "das schiachste Haus von Favoriten", wie er lachend zugibt. Der Mann darf so etwas sagen, ihm und seinem Bruder Temel ist nämlich zu verdanken, dass sich das seit ein paar Monaten geändert hat. Die Tütüncüs haben das Architekturjuwel in enger Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt restauriert, mit exotisch wuchernden Plastikpflanzen und ziemlich buntem Mobiliar ausgestattet – und zum neuesten Outlet ihrer Kent-Restaurants gemacht.

Auf vier Stockwerken kann jetzt in echt arger Umgebung Kebab und Kuttelflecksuppe, Imam Bayildi und Lahmacun, Raki und Çay geordert werden. Vergangene Woche, als noch Ramadan war und die Tische abends mit Mezze und brennenden Kerzen eingedeckt auf die Gäste warteten, war das besonders eindrucksvoll – ein durch und durch exotischer Ort, mit Freitreppen, verschachtelten Zwischenstöcken und organisch gewölbten Decken, wie eine verwunschene Schatz- oder Räuberhöhle. Ab kommendem Jahr werden die darüberliegenden Etagen zu einem Hotel.

Große Gastronomie

Krautrouladen sind Pflicht, außerordentlich wohltuend, mit mildem Minzaroma in der löffelweichen Fülle aus Kalb, Reis und Gemüse.
Foto: Gerhard Wasserbauer

"Schön im herkömmlichen Sinn ist das Haus wirklich nicht", sagt Ekrem Tütüncü, "aber es hat eine ganz eigene Kraft, die einen nicht loslässt." Der 37-Jährige hat mit seinem Bruder nicht weniger als 13 Restaurants, neben den zahlreichen Kent-Zweigstellen auch unerwartete Adressen wie den Luxusitaliener A Frisella (geführt von Mino Zaccharia) in der Johannesgasse, den Cevapcici- und Börek-Tempel Sofra oder die ursprünglich burgenländischen Eismacher mit Standorten zwischen Opernring und Oberpullendorf.

Gastronomisch darf man sich auch an der neuen Adresse die klassische Palette türkischer Küche in Kent-Manier erwarten. Das köstliche Brot wird, wie die Lahmacun, Pide (besonders gut mit Lamm und Käse) und Fladen für die Take-away-Sandwiches, vor Ort gebacken, die Kebabs und Köfte über der Holzkohle routiniert gegrillt, während die Schmorgerichte und gefüllten Gemüse in der Vitrine warm gehalten werden.

Krautrouladen sind Pflicht, außerordentlich wohltuend, mit mildem Minzaroma in der löffelweichen Fülle aus Kalb, Reis und Gemüse. Auch sonst fällt auf, wie sauber und geradlinig, manchmal gar diskret die Speisen zubereitet und gewürzt sind – außer man übersieht die ganzen Knoblauchzehen in Ragouts wie dem Güvec.

Zum abschließenden Kaffee ist Dondurmali Katmer die erste Wahl – zart-knuspriger Strudel, mit Pistazien gefüllt, der bei Tisch um eine Scheibe hausgemachten Milcheisparfait gepackt wird. Alles andere als leicht, zum Abheben gut. (Severin Corti, RONDO, 6.5.2022)

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