Foto: Regine Hendrich

Ein Mitarbeiter schaufelt gerade Gewürze und gemahlenes Getreide in einen überdimensionierten Kochtopf, die dabei sanft aufgewirbelten Zutaten beduften die Halle, die übrige Stätte ist kühl und leise. Die sterile, silberne Ästhetik des Produktionsraumes, in dem Karl Severin Traugott arbeitet, steht im krassen Gegensatz zu den Vorstellungen, die man von einer Sojasaucen-Manufaktur haben könnte: Da erwartet man sich urige Holzpressen, Hofflair und traditionelles Handwerk.

Stattdessen befindet sich der "Genusskoarl" – unter dem Namen verkauft Traugott sich selbst und seine Produkte – inmitten eines atmosphärisch eher uninteressanten Gewerbeparks im niederösterreichischen Wolkersdorf, zwischen großen Konzernhallen von Velux und Ölz.

Severin Traugott in der Produktionshalle.
Foto: Regine Hendrich

Würze aus Lupinen

Traugotts Hauptprodukt ist seine "Wiener Würze" aus Lupinen, einer Pflanze ähnlich dem Einkorn oder Emmer. Mit der Sojasauce ohne Soja, wie er sagt, lässt sich der Geschmack von Suppen und Saucen anreichern – "überall, wo der Geschmack fehlt". Sie ähnelt dem braunen Maggi-Fix-Flascherl, das sich bei Eltern oder ab und zu noch auf dem Gasthaustisch findet. Nur eben in Bioqualität und aus regionalen Produkten, wie Traugott beteuert: "Ich könnte nichts verkaufen, wo Aromen drin sind, wie bei einer Flasche Maggi Fix. Das schaffe ich emotional nicht."

Während er in einem Sack Lupinenkernen wühlt, die optisch einer Kombi aus Mais und Weißen Bohnen gleichen, erzählt er von der Herausforderung, überhaupt an das Getreide zu kommen. In Österreich können Lupinen nur in Teilen des Burgenlandes oder im Waldviertel angebaut werden, denn dort gibt es den für den Anbau notwendigen sauren Boden. Auch Sojabohnen und Weizen bezieht er aus Österreich, Letzteren von seinen Schwiegereltern.

Die Lupinen für die Würzsauce bekommt Traugott aus dem Waldviertel.
Foto: Regine Hendrich

2017 hat Traugott begonnen, seine Würzsauce herzustellen, nachdem er im Internet einen Artikel gelesen hatte, wie man Sojasauce ohne Soja herstellen kann. Zunächst fermentiert er Lupinen mit Hafer und einem Edelschimmelpilz in tiefen Metalltabletts, wie man sie aus der Kantinenküche kennt. Anschließend wird diese Mischung mit Salzwasser angesetzt, und nach sechs Monaten Reife "wird der Gatsch abgepresst". Fertig ist die Würzsauce, abgefüllt wird sie ebenfalls vor Ort. Ein komplexer Geruch liegt dabei in der Luft, als würde man die Sauce selbst einatmen. Brutzelndes Fleisch und brodelnde Suppen kommen einem in den Sinn.

Restlverwertung

Am Ende der Saucenherstellung fällt ein Pressrest an, der nicht auf dem Müll landet, sondern im Essen. Aus den getrockneten und gemahlenen Saucen-Überbleibseln stellt Traugott nämlich mit einem Kooperationspartner Gewürzmischungen mit Teriyaki- oder Umami-Geschmack her. "Abgesehen vom Putzwasser habe ich keinen Abfall in der Produktion – soweit es halt geht", beschreibt Traugott seine Zero-Waste-Policy.

Ein lautes Geräusch zerschneidet seinen Satz, in den Tanks scheint sich etwas zu tun. Das Rührwerk hat begonnen, seine Runde zu drehen. "So gut wie alles hab ich aus dem Internet", erzählt er und dreht sich zu den massiven Silbertürmen hinter ihm, die wieder leise geworden sind. Weil das mechanische Rühren bei den Rotweinbauern so verpönt sei, habe er die Tanks günstig auf einem Online-Marktplatz erstehen können.

Traugott geht durch seinen Betrieb, vorbei an den bis oben hin gefüllten Gärbottichen, die allesamt Vornamen aus seiner Familie tragen. "Ein persönlicher Touch", wie er anmerkt. Warum auf anonyme Chargennummern zurückgreifen, wenn man auch den Namen seiner Schwiegermutter zur Kennzeichnung verwenden kann?

Die "Wiener Würze" macht den Geschmack von Suppen, Saucen und Co nochmals intensiver.
Foto: Regine Hendrich

Das Produktsortiment wird laufend erweitert. Seine Miso-Paste aus heimischen Kichererbsen wurde von Bio Austria zum Bioprodukt des Jahres 2022 gekürt, und auch eine "richtige" Sojasauce bringt Genusskoarl jetzt auf den Markt. Seine Ursprungsidee einer sojalosen Sojasauce wird damit auf den Kopf gestellt, er versteht aber auch den Kundenwunsch nach einem neuen Geschmack. Traugott vergleicht seine Saucen mit Marillen- und Pfirsichmarmeladen – irgendwie verwandt und geschmacklich doch verschieden.

Speck, Spritzer, Spezialitäten

Beim Genussfestival im Wiener Stadtpark, das zwischen 6. und 8. Mai stattfindet, kann man sich selbst vom Geschmacksunterschied überzeugen. Traugott wird dort gemeinsam mit 100 anderen Betrieben regionale Spezialitäten präsentieren. Wie schon vor dem großen Corona-Bruch finden sich die Aussteller in weißen Ständen entlang der Spazierwege im Park wieder und zeigen, wie reich an Delikatessen die österreichische Kulinarik ist – vom Käse bis zum Fisch. Bis zu 150.000 Besucher und Besucherinnen erhofft sich Christina Mutenthaler vom Veranstalter AMA, so viele wie vor Pandemiebeginn. Angeboten wird auch Bodenständiges, wie Mutenthaler sagt: "Wir wissen, dass die Leute einfach ein Speckbrot und einen Spritzer wollen."

Events wie das Genussfestival sind auch für "Genusskoarl" Traugott wichtig: "Im Handel ist es schwierig, dem Endkunden zu kommunizieren, was ich alles an Liebe reingesteckt habe." Da habe er nur ein winziges Regal und wenig Platz, um sein Produkt zu erklären und zu verkaufen. "Bei Veranstaltungen kann ich den Leuten zeigen: Uns gibt es."

In Wolkersdorf steht Traugott vor seinen Verkaufsregalen, wo er auch Flaschen mit fehlerhaften Etiketten verkauft. Den Kunden vor Ort kümmert das nicht, sagt er, die kommen wegen des Inhalts und nicht wegen eines richtig aufgepickten Etiketts. (Kevin Recher, 6.5.2022)