Christian Pilnacek will seine Chats lesen.

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Nach rund drei Stunden Befragung reichte es den Abgeordneten im U-Ausschuss. Fast ein Dutzend Mal hatte der suspendierte Justizsektionschef Christian Pilnacek zuvor die Aussage verweigert, weil er keinen Zugriff auf seine Chats und E-Mails habe. "Ich verstehe die Diskussion nicht", meinte SPÖ-Fraktionschef Kai Jan Krainer sichtlich entnervt. "Um aussagen zu können, brauche ich Zugang zu meinem Hirn, sonst gar nichts". Auch Christian Hafenecker (FPÖ) hatte genug: Ob die Daten "bei der Justiz, in der Donau, im Mistkübel oder im Ofen liegen", sei irrelevant.

Pilnaceks Gegenargument: Die Abgeordneten hätten viele Daten über ihn, die er nicht habe, weil ihm seine beschlagnahmten Geräte noch nicht ausgehändigt worden seien. Wenn er lediglich anhand seiner Erinnerung aussage, aber ein Satz in einem von tausenden Chats oder E-Mails dem widerspreche, setze er sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aus. Tatsächlich wird gegen Pilnacek unter anderem wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem vorigen U-Ausschuss ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung.

In einem Strafverfahren wäre eine solche Situation undenkbar: Beschuldigte dürfen die Aussage nicht nur, wie im U-Ausschuss, mit Begründung, sondern generell verweigern. Spätestens vor einem Prozess dürfen sie alle Daten einsehen. Dieses Recht ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben. Deshalb haben Beschuldigte auch Zugriff auf all jene Chats, die sich in einem Strafakt finden.

Die abstrakte Relevanz

Doch der Verfassungsgerichtshof stellte 2021 klar, dass U-Ausschüssen auch "abstrakt relevante" Daten aus der Justiz zu liefern sind – also jene Chats, die nicht strafrechtlich, sondern politisch relevant sind. Im Auftrag des Ministeriums werten die Staatsanwaltschaften deshalb auch jene Chats aus, die für sie selbst nicht wichtig sind.

Die werden dann über Oberstaatsanwaltschaft (OStA) und Ministerium dem U-Ausschuss geschickt – und der ist eben kein Strafverfahren. Es gibt keine Beschuldigten, sondern Auskunftspersonen, und die haben keine Akteneinsicht.

Wie kann man diesen Knoten lösen? Parlamentsdirektion und U-Ausschuss erklärten sich nicht zuständig, Pilnacek Einblick in diese Daten zu geben, sagt Anwalt Georg Eisenberger, der Pilnacek in den U-Ausschuss begleitet hat.

Eine Möglichkeit wäre die Änderung der U-Ausschuss-Verfahrensordnung. Dieser könnte ein Akteneinsichtsrecht für Auskunftspersonen hinzugefügt werden. Danach gefragt, offenbart sich wieder einmal die typische Trennlinie: die ÖVP gegen den Rest der Fraktionen. Andreas Hanger (ÖVP) ist jedenfalls "sehr dafür", dass Auskunftspersonen "den gleichen Infostand" wie Abgeordnete haben. Befragte würden "mit Akten und Chats konfrontiert, die lange zurückliegen". Akten würden nicht vorgelegt, und die Opposition versuche, "mit Detailfragen eine Falschaussage zu konstruieren", meint Hanger.

Krainer: "Es ist keine Prüfung"

Krainer bestreitet das: "Es ist keine Prüfung." Wer nach bestem Wissen und Gewissen antworte, habe nichts zu befürchten. Die Chats würden bei der Befragung in schriftlicher Form vorgelegt werden. "Eine einzelne SMS wäre unfair, aber man kann die ganze Nachrichtenkette durchlesen", sagt Krainer. Auch die Neos sehen das so: "Verfahrensrichter, Verfahrensanwältin und Fraktionen achten auch darauf, dass Unterlagen korrekt, rechtzeitig und mit Kontext vorgelegt werden." Das Gegenargument: Womöglich sei die Nachricht, die alles erklärt, ja Wochen oder Monate vor oder nach den vorgelegten Chats zu finden.

Nachvollziehbar ist es ja: Nicht zu wissen, welche eigenen Daten dem U-Ausschuss vorliegen, ist unangenehm. Mit einer Änderung der Verfahrensordnung ist vorerst aber nicht zu rechnen. Doch es gibt einen anderen Weg, den Pilnacek schon erfolgreich beschritten hat: über die Datenschutzverordnung (DSGVO). Denn Chats, die nur für den U-Ausschuss ausgewertet werden, sind kein Teil der Strafprozessordnung – und daher von der DSGVO umfasst. Deshalb hat Pilnacek auf diesem Weg im Sommer 2021 die gegen ihn ermittelnde Staatsanwaltschaft (StA) Innsbruck aufgefordert, alle über ihn gespeicherten Daten zu übermitteln. Daraufhin sah sich das Ministerium als zuständig an und übergab Pilnacek im Juli seine Chats.

Wann kamen neue Chats?

Dieses Mal dürfte das jedoch nicht erfolgt sein. In einem Schreiben vom 28. April 2022 behauptete die StA Innsbruck, dass die "Auswertung der Handy-Kommunikation noch immer nicht abgeschlossen wurde, weshalb diesbezüglich an den Untersuchungsausschuss auch keine Datenübermittlung erfolgt ist". Auf Anfrage bestätigt das die StA Innsbruck. Doch der U-Ausschuss hat offenbar Mitte Februar neue Chats aus Innsbruck erhalten – jene oft zitierten, in denen Pilnacek gegenüber OStA-Wien-Chef Fuchs eine "Observation" von WKStA-Mitarbeitern angeregt hat. Womöglich handelt es sich dabei aber um Kommunikation, die aus dem Mobiltelefon von Fuchs ausgewertet wurde – und daher Pilnacek nicht klar zuzuordnen war. (Fabian Schmid, 10.5.2022)