Sigrid Maurer hat ihr Handy verloren. Etwas unrund mache sie das schon, eigentlich sei sie an das Gerät "angewachsen", wie sie sagt. Immerhin wurde das Handy gefunden, sie werde es zurückbekommen. Nur wo soll sie jetzt die Uhrzeit ablesen? Das Gespräch in ihrem Büro fällt dann etwas länger aus als geplant.

Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer über den Viren-Sager des Kanzlers: "Ich glaube, dass Karl Nehammer das etwas scherzhaft zu Beginn dieser Veranstaltung gemeint hat und keine globale Aussage zur Corona-Politik treffen wollte."
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STANDARD: Der Sommer kommt, wie unbekümmert sind Sie denn jetzt bezüglich Corona?

Maurer: Die Pandemie ist nach wie vor da, Menschen stecken sich an, aber natürlich wird der Sommer etwas Entspannung bringen.

STANDARD: Wir fragen, weil der Kanzler am ÖVP-Parteitag meinte, dass ihn die Viren in der vollen Halle nicht mehr kümmern. Das erinnert an Mitte 2021, als die Regierung die Pandemie schon einmal für beendet erklärt hat.

Maurer: Wir Grüne haben die Pandemie nie für beendet erklärt und tun das auch nicht. Die Pandemie wird uns weiter begleiten. Aber ich glaube, dass Karl Nehammer das etwas scherzhaft zu Beginn dieser Veranstaltung gemeint hat und keine globale Aussage zur Corona-Politik treffen wollte.

STANDARD: Seit den Rücktritten von zwei Ministerinnen vergangene Woche wird wieder über den Umgang mit Frauen in der Politik diskutiert. Auch Sie machen regelmäßig darauf aufmerksam, welcher Hass Ihnen entgegenschlägt. Verändert das Ihr Verhalten in der Öffentlichkeit?

Maurer: Man muss sich als betroffene Frau bewusst machen, weshalb so etwas passiert. Selbst persönliche Drohungen haben ja nichts mit mir als Person Sigi Maurer zu tun. Ich habe eine Spitzenfunktion, die mit viel Macht verbunden ist. Und ich bin für viele Menschen eine Projektionsfläche. Ich beobachte aber schon, dass bei Frauen andere Maßstäbe angelegt werden. Wir hatten in den vergangenen Jahrzehnten viele Minister, also Männer, die nicht besonders gut performt haben. Aber bei Frauen wird das viel strenger beurteilt.

STANDARD: In der türkis-grünen Regierung arbeiten kontinuierlich weniger Frauen. Halten Sie es für einen Fehler der ÖVP, die wichtigsten Jobs mit Männern nachzubesetzen?

Maurer: Die Personalpolitik der ÖVP ist deren Angelegenheit, und die will ich auch nicht kommentieren. Wir haben in unserem Regierungsteam drei Frauen und 60 Prozent Frauen im Parlamentsklub. Daran merkt man, wo wir in dieser Frage stehen. Wir haben so große Probleme zu lösen, dass diese Nabelschau um Personalia etwas fehl am Platz ist. Es geht letztlich darum, was wir für die Frauen im Land auf den Boden bringen. Gerade haben wir eine Pflegereform auf den Weg gebracht, die vor allem sehr viele Frauen entlastet.

Maurer zur Geschlechtergerechtigkeit: "Da hat sich etwas verschoben."
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STANDARD: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger richtete zum Abschied die Botschaft an Frauen: "Ihr könnt alles schaffen, wenn ihr daran glaubt." Klingt schön, aber entspricht das der österreichischen Realität?

Maurer: Ja. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Wir haben im Parlament mehr Klubobfrauen als Klubobmänner. Da hat sich etwas verschoben. Im Vergleich zu früheren Regierungen ist auch das Geschlechterverhältnis in der Regierung viel besser geworden, schauen Sie sich mal frühere sozialdemokratisch geführte Regierungen an.

STANDARD: Der Frauenanteil unter Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen liegt bei unter zehn Prozent. An den Unis machen Professorinnen ein Drittel der Lehrenden aus. Ganz zu schweigen von Managementposten.

Maurer: Natürlich gibt es viel Luft nach oben, aber Elli Köstinger meinte ja, dass sie es schaffen können, und nicht, dass es einfach ist. Den Appell, dass sich Frauen nicht bremsen lassen sollen, können wir wohl alle unterschreiben.

STANDARD: Was haben die Grünen denn konkret in den vergangenen zweieinhalb Jahren Regierungszeit gemacht, damit mehr Frauen in Führungspositionen kommen?

Maurer: Da geht es um die Sichtbarkeit von Frauen in politischen Funktionen. Aber auch die Aufsichtsratsbestellungen von Leonore Gewessler im Klimaschutzministerium: Da beträgt die Frauenquote 50 Prozent. Das lief davor ganz anders. Selbes gilt für den Kultur- und Sportbereich. Wir haben das Frauenbudget beinahe verdoppelt. Bei uns Grünen wird das Thema in jedem Bereich mitbearbeitet.

STANDARD: SPÖ und FPÖ wollen, dass die Rechnungshofpräsidentin mit Zweidrittelmehrheit gewählt wird. Das würde das Parlament stärken und den Rechnungshof aufwerten – eigentlich können Sie nicht dagegen sein, oder?

Maurer: Wir sind da diskussionsbereit. Allerdings müssen wir gut aufpassen, dass dann nicht ein Drittel im Parlament die Besetzung verhindern und damit den Rechnungshof funktionsunfähig machen kann.

STANDARD: Heinz-Christian Strache zeigte auf Ibiza das System illegaler Parteienfinanzierung über Vereine auf. Durch das neue Parteiengesetz wollen Sie dem entgegenwirken – aber Ihre Definition zielt auf eine offizielle Nähe ab, nicht auf inoffizielle Umgehungskonstruktionen. Schlussendlich bleibt möglich, wovon Strache sprach.

Maurer: Nein, es gibt mehr Transparenz, schärfere Strafen, einen eigenen Wahlkampfkostenbericht. Wir können nicht jede Eventualität abbilden, haben aber mit dieser Definition eine deutliche Verbesserung und Rechtssicherheit geschaffen.

STANDARD: In Deutschland gibt es strafrechtliche Sanktionen bei illegaler Parteienfinanzierung. Das sieht Ihre Reform nicht vor. Warum?

Maurer: Es gibt aber eine verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung mit einer Strafe von bis zu 50.000 Euro für Einzelpersonen. Ich gehe davon aus, dass niemand so dumm sein wird, dieses Risiko einzugehen. Wir schließen mit diesem Gesetz alle verbliebenen Lücken.

"Was ich vom Kanzler gehört habe: Das Informationsfreiheitsgesetz wird kommen."
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STANDARD: Länder und Gemeinden wehren sich gegen die Abschaffung des Amtsgeheimnisses, das die Regierung forciert. Zuletzt stellte sich Nehammer aber auf die Seite der Gemeinden. Ist das Recht auf Information endgültig abgesagt?

Maurer: Was ich vom Kanzler gehört habe: Das Informationsfreiheitsgesetz wird kommen. Wenn es auf Gemeindeebene noch Nachbesserungen braucht, dann werden wir Diskussionen dazu nicht verweigern. Ich habe in dieser Aussage vor allem vernommen, dass der Kanzler dazu steht, dass wir das Informationsfreiheitsgesetz beschließen, also werden wir es auch beschließen.

STANDARD: Die Furcht vor dem Verwaltungsaufwand für kleine Gemeinden ist ja nicht ganz unbegründet – welche Lösungsvorschläge sind dafür von der ÖVP gekommen?

Maurer: Fragen Sie das die Volkspartei.

STANDARD: Also gibt es gar keine Ideen dazu?

Maurer: Das Informationsfreiheitsgesetz ist gemeinsam erarbeitet worden. Es gibt aktuell keine neuen Vorschläge. Für uns ist klar: Wir könnten das Gesetz jederzeit beschließen.

STANDARD: Keine Lösung zu suchen ist doch reine Blockade.

Maurer: Grundsätzlich ist die Angelegenheit ein bissl diffus. Niemand stellt sich hin und sagt: Ich will dieses Gesetz nicht. Mein Eindruck ist, dass sich da verschiedene Player hinter anderen verstecken – durchaus auch die Sozialdemokratie. Die Stadt Wien ist auch kein Hort der Transparenz.

STANDARD: Nach Werner Kogler würde den Grünen wieder eine weibliche Parteichefin stehen. Hätten Sie Interesse an dem Job?

Maurer: Werner Kogler macht das exzellent. Und ich bin genau richtig in meiner Funktion.

STANDARD: Und in ferner Zukunft?

Maurer: Ich will nicht Parteichefin werden. Klubchefin ist für mich der beste Job, den es gibt. (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 18.5.2022)