Corona hat die Österreicherinnen und Österreicher zu Radfahrern zu gemacht. Viele zieht es auf ihren Rädern in die Berge. Vor allem E-Bikes erleichtern den Gipfelsturm massiv. Aber wie kommen Sie sicher wieder herunter? Wir haben mit Bikeinstruktor René Sendlhofer-Schag gesprochen und geben Ihnen zehn unverzichtbare Tipps für die nächste Tour.

Technik ist wichtig. Das richtige Gefühl für das Rad aber ist das Um und Auf.
Foto: Rene Sendelhofer-Schag

Blicktechnik für Neuaufsteiger

Ob Sie auf einem feinen Asphaltstreifen zu Tale rollen oder auf einer Buckelpiste über Wurzeln und Steine stolpern, sollte sich, wenig überraschend, auf Ihre Fahrweise auswirken. Ist die Straße, der Weg, der Trail trocken, feucht, schlammig? Wie steil ist die gewählte Route? Wechseln bei einer Abfahrt durch den Wald Licht und Schatten in schneller Folge ab? All das sollte die Grundgeschwindigkeit, mit der sie in die Abfahrt gehen, beeinflussen. Im Idealfall haben Sie auch schon vorab Ihre Ausrüstung angepasst: Ein City-E-Bike etwa ist nicht fürs Gelände gemacht. Und: Auf Kies an einem Fluss entlangzuradeln ist etwas anderes, als eine kurvenreiche Abfahrt auf losem Schotter zu meistern. Wer sich auf Letzterem unwohl fühlt, sollte sich überlegen, ob es nicht doch einen asphaltierten Weg ins Tal gibt. Wo das nicht der Fall ist, empfiehlt es sich, die folgenden Ratschläge umso mehr zu beherzigen.

Die richtige Blicktechnik hilft, Stürze zu vermeiden.
Foto: Rene Sendelhofer-Schag

Blicktechnik für Ambitionierte

Um die Route immer gut im Auge zu haben, empfiehlt René Sendlhofer-Schag, den Blick immer zwei, drei Sekunden vor sich auf den Weg oder die Straße zu richten – auch in Kurven. Das bedeutet, bei der Einfahrt in die Kurve geht der Blick zum Scheitelpunkt. Haben Sie den erreicht, sind die Augen schon bei der Kurvenausfahrt: "Der Blick zieht mich durch die Kurve, denn der Körper folgt immer dem Blick, und ich kann mich darauf vorbereiten, was nach der Kurve kommt." Denn das könnte, je nach Weltgegend, ein Schlagloch, ein Auto oder ein Bär sein. Seien Sie also wachsam.

Fahrtechnik: Körperhaltung

Wer es auf dem Rad einen Berg hinaufgeschafft hat, der sehnt sich oft danach, einfach in den Sattel zu sinken und sich faul von der Schwerkraft Richtung Tal ziehen zu lassen. Ein Fehler, findet Sendlhofer-Schag. Denn wer sitzt, kann nicht rechtzeitig auf Gefahren reagieren. Eine aktive Ausgangsposition ist gefragt. Und das bedeutet: Vor allem wenn Sie im Gelände bergab fahren, sollten Sie das im Stehen tun – so merkwürdig das anfangs klingen mag. Dazu halten Sie die Pedale waagerecht, die Fußgelenke ebenso, beugen die Knie und Ellenbogen leicht und halten je einen Finger links und rechts bremsbereit am Hebel. Vor allem für Rennradfahrer, die bergab die Geschwindigkeit suchen, mag sich das befremdlich anhören. Unter dem Aspekt der höheren Sicherheit legt Sendlhofer-Schag aber auch ihnen die aktive Grundhaltung nahe, denn: "Aus dem Sitzen im Sattel in eine Vollbremsung zu gehen ist nie ohne Kompromiss möglich."

Fahrtechnik: Bremsen

Wer vorsichtig an die Abfahrt herangehen will, tendiert dazu, immer leicht an den Bremsen zu ziehen, um ja nicht zu schnell zu werden. Das aber birgt Gefahren. Fahren Sie mit Felgenbremsen, können die Felgen dadurch überhitzen und den Reifen zum Platzen bringen, was schon im Flachen kein Spaß und in einer Abfahrt erst recht keiner ist. Aber auch bei modernen Scheibenbremsen ist Vorsicht geboten. Denn hier können Bremsbeläge verkleben, an Wirksamkeit einbüßen und im schlimmsten Fall unbrauchbar werden. Sendlhofer-Schag empfiehlt daher, immer wieder kurz die Bremsen zu lösen, eventuell auch abwechselnd und jeweils für wenige Sekunden. Denn das kühlt die Scheiben und sorgt dafür, dass sie bis zum Schluss durchhalten.

Fahrtechnik: Vollbremsung

Wo es sich vermeiden lässt, ist von Vollbremsungen dringend abzuraten: Zum einen können dabei die Räder blockieren, was die Bremsleistung stark reduziert und das Rad unlenkbar macht. Zum anderen treibt die plötzliche Verzögerung die träge Masse des Körpers nach vorn – im schlimmsten Fall über den Lenker hinaus. Lässt sich eine Vollbremsung aber wegen einer plötzlich auftretenden Gefahr nicht vermeiden, tun Sie gut daran, bereits Punkt 3 berücksichtigt zu haben: Denn dann können Sie schnell Ihren Schwerpunkt absenken, indem Sie das Gesäß nach hinten bringen und den Oberkörper Richtung Lenker beugen. Letzteres vor allem deshalb, um Gewicht aufs Vorderrad zu bringen. Sonst macht sich das nämlich selbstständig – und die Kontrolle geht verloren.

Fahrtechnik: Kurven

"Die Geschwindigkeit, mit der ich die Kurve durchfahre, sollte ich schon vor der Kurve erreicht haben", macht Sendlhofer-Schag klar. Bremsen Sie also vor der Kurve und rollen sie dann in einem Zug hindurch. Denn auch hier besteht wieder die Gefahr, dass die Räder blockieren oder ausbrechen. Es braucht viel Gefühl und Erfahrung, um sich an das richtige Tempo für die jeweilige Steigung, den Kurvenradius und den Untergrund heranzutasten. Aber: "Fahre ich zu langsam in eine Kurve, passiert nichts. Fahre ich zu schnell, treibt es mich in der Kurve nach außen" – und dort ist unter Umständen der Gegenverkehr, das Unterholz oder ein Abhang. Jedenfalls nichts, wo man mit dem Rad hingehört.

Fahrzeugkontrolle für Neuaufsteiger

Geht es geradeaus, bleiben die Pedale immer waagerecht auf gleicher Höhe. Ist es nicht zu steil und die Geschwindigkeit nicht zu hoch, können Sie gerne auch mittreten. In der Kurve sollten Sie das aber jedenfalls unterlassen. Dort wandert nämlich das Pedal an der Kurvenaußenseite nach unten, das innere Pedal geht nach oben – sonst riskieren Sie einen Aufsitzer, der im Regelfall in einen Sturz mündet.

In der Euphorie kann man leicht darauf vergessen, rechtzeitig Pausen einzulegen. Doch die sind wichtig, denn wenn die Konzentration nachlässt, wird die Bergabfahrt schnell gefährlich.
Foto: Rene Sendelhofer-Schag

Konzentration

Je nach Länge der Abfahrt kann es sinnvoll sein, zur Auflockerung Pausen einzustreuen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn Sie schon lange im Sattel sitzen und die Konzentration nachlässt. Spezialtipp von Profi Sendlhofer-Schag, der an die Bremstipps anknüpft: Wollen Sie in einer Abfahrt, in der Sie viel gebremst haben, kurz anhalten, dann tun Sie das an einer ebenen Stelle oder stellen Sie ihr Rad quer zum Hang ab. Auf keinen Fall aber sollten Sie beim Stehen die Bremsen gezogen halten, damit ihr Rad nicht fortrollt: "Denn wenn ich die heißen Beläge punktuell auf die heiße Scheibe drücke – dann sind die Beläge kaputt. Sind die Bremsen sehr heiß, kann sich auch die Bremsscheibe verziehen, und dann ist im schlimmsten Fall eine Weiterfahrt nicht mehr möglich."

Fahrsicherheit: Schutzausrüstung

Während sich auf Mountainbikes oder Rennrädern der Helm eindeutig durchgesetzt hat sind E-Bikerinnen und E-Biker noch säumig. Nur 57 Prozent tragen einen Kopfschutz. Die Folgen sind gravierend: Zwischen 2018 und 2021 sei die Anzahl an verletzten E-Bikern um 153 Prozent gestiegen, rechnet das Kuratorium für Verkehrssicherheit vor. Die von Besitzern muskelbetriebener Fahrräder stieg im selben Zeitraum nur um 14 Prozent. Noch ein Tipp zur Garderobe: Ebenso wichtig wie der Helm sind Handschuhe, weil man sich bei einem Sturz meist mit den Händen abzufangen versucht. So kann man zumindest Schürfwunden verhindern. Und was Bergabfahrten angeht: Nehmen Sie für lange Abfahrten eine dünne Windjacke mit, je nachdem, wie hoch es hinausgeht, auch Handschuhe oder eine Haube, damit Sie auf dem Weg nach unten nicht auskühlen. Ist ein Wetterumschwung vorauszusehen, empfehlen sich zusätzlich Regenjacke und -hose – und bei dräuenden Gewittern fahren Sie erst gar nicht den Berg rauf.

Koordination und Balance

Die schlechte Nachricht zuletzt: Auch mit den klügsten Ratschlägen fährt sich ein Rad nicht von selbst – schon gar nicht, wenn die Person, die es lenkt, kein inniges Verhältnis zu ihm pflegt. Wer viel fährt, bekommt ein Gespür für sein Instrument. Und das ist die Basis dafür, im Feelgood-Modus einen Berg hinunterzukommen. Sendlhofer-Schag: "Das Wichtigste auf dem Rad sind die Koordination und die Balance: ein gutes Gefühl für das Sportgerät, das man unter seinem Hintern hat." Und erst wenn dieses Gefühl da ist, können all die guten Tipps in Fleisch und Blut übergehen. Dann aber ist die Abfahrt mit dem Rad keine leidige Qual mehr, sondern wird zum puren Genuss. (Michael Windisch, 28.5.2022)