Toni Kroos ist einer der erfolgreichsten Fußballer Deutschlands. Von den Medien fühlt er sich nicht immer ausreichend wertgeschätzt. Sein abgebrochenes Interview sorgt für Aufsehen.

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ORF-Sportchef Trost über Interviews nach Matchende: "Man muss Abstriche machen."

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Nach eineinhalb Minuten ist Toni Kroos so genervt vom Fragesteller, dass er das Gesicht in beide Hände vergräbt. Er schüttelt den Kopf und geht ab. Aber in die falsche Richtung, er kommt noch einmal zurück. Im Vorbeigehen sagt er mit hochgezogenen Augenbrauen: "Ganz schlimm. Ganz schlimm, wirklich." Wobei Kroos, geboren in Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, mit seinem Dialekt das I zu einem Ö macht. Eigentlich sagt er: "Ganz schlömm."

Paris, später Samstagabend. Gerade hat Kroos zum fünften Mal die Champions League gewonnen. Er müsste über den Wolken schweben vor Freude. Trotzdem ist er grantig. Beim Interview mit dem ZDF erinnert Reporter Nils Kaben Kroos an seine Erfolge und fragt: "Unfassbar, oder?" Kroos antwortet knapp: "Ja, nichts hinzuzufügen." Die zweite Frage zielt auf die emotionale Ebene ab, Kroos spricht von seiner Freude, seine gesamte Familie im Stadion zu wissen.

Abstriche

Dann wird Kroos, ein Spieler des siegreichen Real Madrid, nach der spielerischen Überlegenheit des Finalgegners FC Liverpool befragt. Kroos versucht das gereizt wegzulächeln. Sinngemäß: Die Liverpooler sind keine Nasenbohrer. Kaben hakt nach, Kroos schimpft im Livefernsehen: "Du hattest 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, dann stellst du mir zwei so Scheißfragen – das ist Wahnsinn."

ORF-Sportchef Hans Peter Trost ist mit Kroos nicht einverstanden. "Das Interview war nicht schlimm", sagt er dem STANDARD. Trost sieht sich freilich auch Sportübertragungen anderer Sender an. Das Interview bezeichnet er als "Glücksfall" in dem Sinne, dass es "in diesem sehr professionellen Getriebe noch menschelt". Sport ist Teil der Unterhaltungsbranche, Fußball lebt von Emotionen. "Das ist gut so", sagt Trost – solange der Umgang respektvoll bleibt. Dass Kroos derart gereizt reagierte, überraschte ihn: "Das sind gutbezahlte Vollprofis. Da muss man drüberstehen."

Livestationen legen nach einem Match großen Wert auf die Schnelligkeit eines Interviews. Spieler kommen unmittelbar nach dem Abpfiff zum Interview, man wünscht sich nicht mehr als eine rasche erste Reaktion. Der Kreativität der Fragenden sind Grenzen gesetzt. Wäre die Situation eine Deutschmatura, würde es lauter Fünfer wegen Wortwiederholungen geben. "Als TV-Sender muss man Abstriche machen", sagt Trost. So knapp nach einem Spiel sei kein Platz für vertiefende, analytische Fragen.

Bei Veranstaltungen des Europäischen Fußballverbands Uefa müssen TV-Stationen zudem bereits im Vorfeld der Partie bekanntgeben, mit welchem Spieler sie nach dem Match sprechen wollen. Das ZDF fragt also für den deutschen Nationalspieler Kroos an. Beim Champions-League-Finale in Paris durften die Medienleute ausnahmsweise nach dem Spiel sogar auf das Feld, das ZDF kam etwas spontaner als üblich zum Interview mit Kroos, wie Kaben in einem Spiegel-Interview erklärte.

Kroos kritisiert nicht zum ersten Mal die Medien in Deutschland. Bei der WM in Russland etwa beklagte er negative, missgünstige Berichte. Wie sich Kroos am Sonntag für das ZDF-Interview erklärte, passt ins Bild: Er habe sich nach einem gewonnenen Finale in der Champions League "nur eher positiv angelegte Fragen erwartet". Zu Kroos' Beruf gehören auch Interviews, "ob ihnen die Fragen gefallen oder nicht", sagt Trost vom ORF. Jede Frage sei zulässig, genauso wie eine Antwort, dass man die Frage für daneben hält.

Im Sport wird es für Medien immer aufwendiger, Zugang zu Veranstaltern oder Aktiven zu bekommen. Gleichzeitig treten Vereine wie eigene Medienunternehmen auf, betreiben eigene TV- und Social-Media-Kanäle. Für Zuschauer wird es schwieriger, die Interessen der Fragensteller zu erkennen. Unabhängige Medien sorgen dafür, möglichst objektiv zu berichten und den Kundinnen und Kunden verschiedene Blickwinkel zu bieten.

Manöverkritik

Nach jeder Liveübertragung hinterfragt der ORF in einer Manöverkritik die eigene Leistung. Trost weiß, dass Interviews wie jenes von Kroos Aufsehen erregen. Planbar sind sie nicht. "Was nicht sein kann: Je lustiger ein Interview, umso besser, weil wir mehr Klicks und Zuschauer erwarten", sagt Trost. Nach jeder Sendung erhält der ORF Rückmeldungen von Zuseherinnen und Zusehern – auch zur Interviewführung: "Uns wurde einmal vorgeworfen, Marcel Hirscher hätte wegen unserer Fragen ein Rennen nicht gewonnen." Trost hat einen schlichten Indikator: Wenn die Zustimmungsrate für Redakteurinnen oder Kommentatoren bei 50 Prozent liegt, ist er zufrieden. (31.5.2022, Lukas Zahrer)