Irina alias Toxische Pommes beschäftigt sich satirisch mit Klischees über Gruppen, denen sie angehört.

Muhassad Al-Ani

Scheinwerferlicht? Livepublikum? "Die meisten von euch kennen mich aus dem Internet", sagt Irina und tappst betont unbeholfen auf die Bühne des Kabarett Niedermair, als wäre sie eben erst aufgewacht. Dort stehen ein Tisch mit Leselampe und ein Doppelliter Cola bereit. Beides, Licht und Zucker, wird sie in den nächsten sechzig Minuten brauchen.

In den Pandemiejahren ist Irina unter dem Pseudonym Toxische Pommes zu einer lokalen Social-Media-Berühmtheit geworden. Mehr als 100.000 Follower erreicht sie mit ihren satirischen Kurzvideos über alltagskulturelle Beobachtungen, in denen sie Kritik mit feministischer und antirassistischer Grundhaltung übt und sich über Sozialmilieus und boboeske Doppelmoral amüsiert.

Als der Anruf vom Intendanten des Kabarett Niedermair kam, ob sie sich damit denn auch einmal auf die Bühne stellen wolle, habe sie zwei Fragen gehabt: "Was ist ein Intendant?" – "Und was ist Kabarett?"

Dem Intendanten hilft die studierte Juristin nun beim löblichen Bemühen darum, den Betrieb weiblicher, jünger und innovativer zu gestalten – alle vier Auftritte bis Ende des Jahres sind im einhundert Plätze fassenden Niedermair bereits ausverkauft. Was ein Kabarett sein soll, hat Toxische Pommes zwar auf Youtube ergoogelt ("Da gab es nur Männer und Lisa Eckhart"), sich dann aber – weil bei ihr damals in der Schule schon fünfzehnminütige Power-Point-Präsentationen problematisch gewesen seien – dazu entschlossen, das Ganze eher als humoristische Lesung anzulegen.

Identitätsfindung in Österreich

Das ist einerseits schade, weil sie, wie ihre 15-sekündigen Onlinevideos beweisen, Schauspieltalent genug mitbrächte – andererseits könnte sich Toxische Pommes mit ihrem Text und der demonstrativen Verweigerungshaltung, sich performativ zum Bühnenkasperl zu machen, auch gut als Guerilla-Gig beim Bachmannpreislesen einfügen.

Was hat sie also zu sagen? In sieben Phasen analysiert Toxische Pommes den Weg, den sie als Tochter zugewanderter "Ex-Jugos", wie sie sagt, beschritten hat, um in Österreich anzukommen: Von der Phase kindlicher Unwissenheit, dass so etwas wie Fremdenfeindlichkeit überhaupt existiert, gerate man in die Phase des Sichschämens und des Neids, gefolgt von übertriebenem Ehrgeiz, sich zu assimilieren, der bei enttäuschter Gegenliebe wiederum rasch umschlagen könne in radikalen Stolz auf das Herkunftsland.

Was hier klingt wie ein akademisches Seminar in Sozialpsychologie, verpackt Toxische Pommes schlüssig in Anekdoten, die ihren Humor aus ihrer entwaffnenden Ehrlichkeit beziehen. Der Beweis, dass aus 15 Sekunden gut und gerne auch 60 Minuten werden können, wäre hiermit erbracht. (Stefan Weiss, 1.6.2022)