Die Protagonisten einer öffentlichen Selbstentblößung: Johnny Depp (links) und Amber Heard (rechts).

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Für das, was man heute toxische Beziehung nennt, hatte man früher den leicht beschönigenden Begriff der "Amour fou". Die "wütende, verrückte Liebe" resultiert aus übersteigerter Anziehung mit Hang ins Selbstzerstörerische, aus der nichts wächst, weil zum Lieben immer auch das Lassen gehört.

Als Motiv der Kulturgeschichte gehört die "Amour fou" zu den traditionsreichsten überhaupt. Dass ihr im realen Leben vernünftigerweise besser nicht nachzugehen wäre, sollte eigentlich bekannt sein. In den letzten sechs Wochen exerzierten es die Hollywood-Stars und Ex-Ehepartner Amber Heard und Johnny Depp im weltweit übertragenen Livestream aus einem Gerichtssaal im US-Bundesstaat Virginia trotzdem noch einmal im Detail durch.

In dem Verleumdungsprozess hatte Depp Heard geklagt, weil sie ihn in einem Zeitungsartikel indirekt der häuslichen Gewalt beschuldigt hatte. Sie reagierte daraufhin mit einer Gegenklage. Im Prozess konnten die Gewaltvorwürfe und eine eindeutige Täter-Opfer-Zuschreibung nun nicht glaubhaft belegt werden, denn mehrheitlich sprach das Geschworenengericht am Donnerstag Depp das Recht zu.

Wie ein schlechtes Drehbuch

Was die beiden in diesen sechs Wochen vor Gericht öffentlich machten, liest sich wie ein schlechtes Drehbuch: zuerst stürmische Liebe, gefolgt von rasender Eifersucht, Alkohol- und Drogenexzessen, bis hin zu würdelosen Details wie Fäkalien im Bett und angeblicher Penetration mit einer Flasche. Drohungen gab es auf beiden Seiten, Depp fiel etwa durch Textnachrichten an einen Freund mit Mord- und Vergewaltigungsfantasien gegen Heard auf, sie ließ ihn in einem Streit wissen, dass ihm vor Gericht ohnehin niemand glauben würde, sie hätten sich gegenseitig geschlagen.

Hollywood, das in den letzten Jahren schon bei unbestätigten Vorwürfen aus Imagegründen oft rigoros reagierte, Beschuldigten (wie auch Depp) Rollenangebote verweigerte oder diese gar aus bereits abgedrehten Filmen herausschnitt, wird daraus vielleicht lernen, mit Vorverurteilung vorsichtig zu sein. Umgekehrt wäre es auch fatal, den in sogenannten sozialen Netzen widerwärtigen Auslassungen von Männerrechtlern bis Frauenhassern nachzugeben, die am Beispiel des Falls Depp gegen Heard der #MeToo-Bewegung gerne endlich das Totenglöckchen läuten würden.

DER STANDARD

Der Shitstorm als Waffe

Die sozialen Netze haben im Prozess überhaupt eine unrühmliche Rolle gespielt, wurden gerade von Johnny Depps Anwälten als Stimmungsmachemaschine eingesetzt. Auch daraus wird der Entertainmentbetrieb seine Schlüsse ziehen müssen: Der Shitstorm als Waffe ist gefährlich, gerade wenn einflussreiche Stars ihn heraufbeschwören.

Nachdenklich muss stimmen, dass in jenem Land, in dem jeden Tag mehr als 50 Menschen durch Schusswaffen getötet werden und gerade wieder zwei Amokläufe stattgefunden haben, selbst die kulturelle Elite ein offenkundiges Konfliktlösungsproblem aufweist. Ins Bild passt, dass dieses Jahr wegen überwunden geglaubter Gründe wie familiärer Ehrverletzung sogar bei der Oscar-Verleihung eine Ohrfeige ausgeteilt wurde.

Kultur und Konfliktlösung

Vielleicht stimmt ja der Befund zeitgenössischer Kulturkritiker, wonach unsere künstlerischen Erzeugnisse selbst daran nicht unschuldig sind. Die 30-jährige Autorin Şeyda Kurt etwa stellt in ihrem Buch Radikale Zärtlichkeit dem jahrhundertelang tradierten Konzept der romantischen Liebe ein schlechtes Zeugnis aus. Das Enttäuschungspotenzial, das von diesem als Ideal verklärten Beziehungsmodell ausgehe, sei ein Urgrund für häusliche Gewalt.

In dieselbe Kerbe, nur anders, schlägt auch der 85-jährige Philosoph Alain Badiou: Wahre Liebe messe sich daran, wie sehr es gelinge, Konflikte zivilisiert zu lösen, schrieb er in Lob der Liebe (2009). Dafür mangle es in unserem Kulturkanon allerdings an positiven Beispielen. Egal ob bei Goethe oder in Hollywood: Inszeniert und idealisiert werde einzig der verkitschte, stürmische Beginn oder aber das desaströse Ende einer Beziehung, bis hin zu Gewalt und Rosenkrieg. Die Überwindung von Krisen? Weitgehend absent. Vielleicht ist das die ästhetische Lektion, die der Entertainmentbetrieb aus Depp vs. Heard wird mitnehmen können. (Stefan Weiss, 2.6.2022)