In die gezeigte Kunst mischt sich die düstere Realität: Hier die Performance von Denise Kottlett in "Spucke 5"

Foto: Maja-Radosavljevic

Queer leben ist gut. Und Punkt. Mehr müsste dazu eigentlich nicht gesagt werden im 21. Jahrhundert. Aber die Gegenwart der Spezies Mensch kennt keine Einheitlichkeit, also wird auch die freie Wahl von Lebensweisen noch nicht überall akzeptiert.

Bis es so weit kommt, kann es bei allem Aktivismus noch dauern. Deswegen ist es geradezu perfekt, dass es im Wiener Tanzquartier (TQW) ein eigenes Queer-Performance-Festival wie Spit gibt. Dessen dritte Ausgabe hat am Donnerstag begonnen. Spit präsentiert sich als kleines Format, das sich in den engen Räumlichkeiten der TQW-Studios kaum rühren kann. Aber wie der erste Abend andeutete, birgt es viele Möglichkeiten, sich zu entfalten.

Der Festivaltitel kommt übrigens vom englischen Ausdruck "spit it out" für "spuck es aus", will heißen: "etwas zu sagen, was nicht so einfach zu sagen ist". So erklärte Kuratorin Denise Kottlett anlässlich der ersten Ausgabe 2018 den Wagemut der Kunstschaffenden von Spit. Wagemut? Sind queere Stücke in den zeitgenössischen Künsten des liberalen Westens nicht längst etabliert, und gehören seine Tanzstile wie etwa das Voguing nicht zu den postmodernen Klassikern? Schon, aber die Schatten sind voluminöser als das Licht: Einerseits dulden etwa die Gesellschaften vieler illiberaler Staaten Queerness nicht, und zum anderen beschränkt der Hang zur Selbsteinkapselung von queerer Kunst in Safe Spaces deren Reichweite auch in liberalen Umfeldern.

Wohl in der Blase

Beim Spit-Festival, so der Eindruck beim Auftakt, fühlt man sich im eigenen Milieu wohl, aber in die gezeigten Kurzstücke mischt sich doch die düstere Realität. Vor allem bei Tellurian Insider des polnischen Duos Eternal Engine (Jagoda Wójtowicz und Marta Nawret): ein live gesteuertes digitales Visual, in dem hinter computergenerierten konsolenartigen Fantasiegeräten ein Lavasee glüht, ameisenähnliche Monstren gefährlich drohen, und das zu dröhnendem Technosound auf den Appell hinausläuft: "Queer Resistance / Stand for Ukraine".

Ebenfalls dunkel ist Christal Walls Solo Mouth as Wetland, dessen Performerin bei all dem schönen Schleim auf Körper und Boden direkt aus Doris Uhlichs Gootopia geschlüpft zu sein scheint. Und Eve Stainton verwandelt sich für ihre Performance Dykegeist in eine Spinne, die das Publikum in allerlei Spiele verstrickt. Formal und dramaturgisch sind diese drei Arbeiten keine Meisterwerke, aber sie zeigen doch die respektablen Potenziale dieser Künstschaffenden.

Mit im Festival treten unter anderen auch Paula Chaves Bonilla oder Cibelle Cavalli Bastos sowie aus Wien Denise Kottlett und Veza Fernández mit Imani Rameses auf. Fazit: Queere Performance steht derzeit – in Wien und international – bei ganz vielen Festivals und Häusern hoch im Kurs. (Helmut Ploebst, 4.6.2022)