205 Wohnungen baut eine Genossenschaft zwischen Feldern und Einfamilienhäusern.

Foto: Christian Fischer

Wenn Roman Stachelberger sagt, er komme sich vor wie im Italien-Urlaub, dann meint er das in diesem Fall nicht positiv. Der Bürgermeister von Ebergassing steht mit seinem Auto am Rand seiner Gemeinde. Hinter ihm: eine Einfamilienhaussiedlung. Gepflegte Vorgärten, Autos in der Einfahrt, angelehnte Kinderfahrräder. Vor ihm: die fünf Wohnblöcke, die Ebergassig in Aufruhr versetzen. Auch weil sie viel näher aneinanderstehen als ursprünglich gedacht. Das ist die Grundlage für Stachelbergers Italien-Assoziation: Hier könnte man Wäscheleinen spannen, sagt er.

Tatsächlich wird sehr dicht gebaut: 205 Wohnungen entstehen am Rande des Ortes, zwischen der erwähnten Siedlung und den Feldern außerhalb. 82 sind schon bezogen, der Rest wird erst fertiggebaut. Das bedeutet: Hier werden einmal rund 500 Menschen wohnen. "Ich glaube, dass das nicht zu Ende gedacht ist", sagt Stachelberger, "denn viele Menschen auf wenig Raum: Das bringt zwangsweise auch soziale Spannungen mit sich."

Spannungen gibt es jetzt schon, obwohl erst zwei der fünf Blöcke fertig sind: Etliche Menschen haben sich zuvor hier in der "Herrschaftlichen Breite", wie das Grätzel genannt wird, ihr Häuschen gebaut. Von den Wohnblöcken sind sie nun nicht begeistert.

Beim STANDARD-Lokalaugenschein machen einige von ihnen ihrem Ärger Luft: Die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner würden ihnen in den Garten schauen, so knapp sei der Bau. Dazu kommt: In Ebergassing ist man ohne Auto aufgeschmissen, die neue Nachbarschaft muss durch die Siedlung fahren. Zitieren lassen möchten sich die Unzufriedenen nicht, sie wollen keinen Wickel mit der Gemeinde.

Krippe, Kindergarten, Klo

Vor allem aber stellt das rasante Wachstum die Gemeinde vor enorme Herausforderungen: 500 neue Einwohner, das würde für Ebergassing ein Plus von mehr als zehn Prozent bedeuten. Wobei Bürgermeister Stachelberger beschwichtigt: Ein großer Teil davon würde innerhalb Ebergassings in die neuen Bauten ziehen.

Mittelfristig ist aber nicht zu bestreiten: Ebergassing wächst von rund 4000 Menschen auf rund 4500 Menschen. Und die brauchen Kinderbetreuung, sie brauchen Straßen, und sie gehen auf die Toilette. "Es macht keinen Sinn, Wohnraum zu schaffen, wenn ich nicht zeitgleich oder eigentlich davor die sozialen notwendigen Einrichtungen habe", sagt Stachelberger.

Aber Ebergassing sei da hervorragend aufgestellt. Die eingekauften Kapazitäten bei der Kläranlage in Schwechat reichten locker. Dem Bauträger habe er eine Tiefgarage aufgetragen, damit die Bewohner nicht auf der Straße parken. Und: Stachelberger sagt, er könne garantieren, dass jeder, der etwa einen Kindergartenplatz brauche, diesen auch erhalte. Zu Wartezeiten könne es allerdings schon kommen.

Bodenversiegelung spaltet den Ort

Der Bürgermeister erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass all das auch jemand bezahlen muss: "Es ist ja nicht so, dass wir uns auf der Gemeinde das Geld selber drucken, sondern wir müssen es ja auch verdienen." Und damit macht der Bürgermeister das nächste große Streitthema in der Gemeinde auf: Um welchen Preis muss Ebergassing Betriebe anlocken, die Flächen versiegeln und Lärm und Verkehr bringen?

Ebergassing war immer schon ein wichtiger Industriestandort. Einer der größten Arbeitgeber in der Region ist Spar – die erfolglose Bürgerinitiative gegen dessen Großlager endete 2014 in der Gründung der Partei "Die Eber", heute die größte Oppositionskraft.

Drei Blöcke befinden sich noch im Bau, sie sollen 2023 bezogen werden.
Foto: Christian Fischer

Noch wichtiger für Ebergassing ist die Firma Antolin, rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter produzieren dort Textilien für die Autobranche. Doch der Mietvertrag läuft in den nächsten Jahren aus – ob der spanische Mutterkonzern den Standort aufrechterhält, ist fraglich.

Vorsorglich will die Gemeinde deshalb möglichst viele Firmen ansiedeln – aktuell herrscht wieder Unmut, weil ein weiteres Logistikunternehmen hier ein Lager bauen möchte. Flächenversiegelung inklusive. Für Stachelberger eine scheinheilige Diskussion: Alle würden gerne Packerl im Internet bestellen – "die Kunden sind aber die Menschen, die schreien: Da wird schon wieder was verbaut."

Haus im Grünen

Der Unmut im Umfeld des Wohnprojekts in der "Herrschaftlichen Breite" ist auch deshalb so groß, weil viele ihr ganzes Erspartes in ein Haus im Grünen gesteckt haben: Der Speckgürtel um Wien zieht sich längst bis in den Südosten, der wegen des nahen Flughafens, der vielen Industrieunternehmen und der eher unspektakulären Landschaft nie so attraktiv war wie die Gegend um den Wienerwald.

Doch wer aufs Land ziehen will, ohne zu weit von der Stadt zu wohnen, der fand in dieser Ecke Niederösterreichs lange Zeit halbwegs erschwinglichen Wohnraum. Damit ist nun aber schon länger Schluss: Für ein durchschnittliches Einfamilienhaus legt man in Ebergassing schnell einmal eine halbe Million auf den Tisch. Im neuen Bau fangen 90-Quadratmeter-Wohnungen bei 320.000 Euro an. Das ist immerhin günstiger als in Wien. Anrainerinnen und Anrainer befürchten nun aber, dass der Wert ihrer Häuser wegen des Baus fällt.

An der Bevölkerung vorbei

"Ein so großer Baukörper am Ende einer reinen Einfamilienhaussiedlung ist aus meiner Sicht einfach unangebracht", sagt Georg Aichelburg-Rumerskirch von den oppositionellen Ebern. Die Gemeinde hätte an der Bevölkerung vorbei entschieden und sei selbst schuld an der Art und Weise, wie nun gebaut werde: Die Flächenwidmung sehe ja großvolumigen Wohnbau vor.

Der absolut regierenden Sozialdemokratie fehle aber überhaupt eine Vision, wie sich Ebergassing entwickeln soll. Der Ort sei zu 90 Prozent eine "Schlafgemeinde", das Zentrum tot, Dorfleben gleich null. Es gehöre eine ordentliche Planung her – und: "Man wird überhaupt schauen müssen, inwieweit man Zuzüge und Flächenverbauten einschränken kann oder muss", sagt Aichelburg.

Sätze wie dieser bringen den Bürgermeister wiederum auf die Palme: Denn Zugereiste wie Aichelburg seien vor einigen Jahren gerne nach Ebergassing gekommen, würden die gleiche Möglichkeit nun aber anderen verweigern wollen.

Der letzte große Wohnbau

Eines sei aber ohnehin klar: Der Wohnbau am Rande Ebergassings dürfte auf absehbare Zeit der letzte seiner Art in dem Ort sein. Denn derzeit könne er solche Bauten nach erfolgter Widmung nicht verhindern, sagt Stachelberger. Und das Risiko möchte er nicht eingehen.

2023 werden die letzten Wohnungen in Ebergassings neuem Block bezogen. Dann wird man auch sehen, wie die Gemeinde mit dem Wachstum zurechtkommt. (Sebastian Fellner, 4.6.2022)