Mehr als zwei Drittel der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Die ökologische Vielfalt unter Wasser gerät zunehmend unter Druck.

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Wir Landlebewesen vergessen gerne darauf, wie wichtig die Ozeane für unseren Planeten sind. Nach wie vor sind große Teile der Meere wissenschaftlich unerschlossen, die Tiefsee ist weniger erforscht als die Mondoberfläche. Dabei spielten einst die Ozeane nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Leben auf der Erde, sie bilden bis heute den größten Lebensraum mit einer schier unüberblickbaren Artenvielfalt. Dieser biologische Reichtum zählt auch zu den wichtigsten Lebensgrundlagen des Menschen. Noch unverzichtbarer ist die Rolle der Meere im Klimasystem.

Doch die Ozeane geraten immer stärker unter Druck – Überfischung, Verschmutzung und die Folgen des Klimawandels sorgen für dramatische Umwälzungen unter Wasser. Darauf soll auch in diesem Jahr der von den Vereinten Nationen ausgerufene Welttag der Ozeane aufmerksam machen, der jährlich am 8. Juni begangen wird. Denn der Schutz der marinen Ökosysteme, darin ist sich die Forschung einig, liegt nicht zuletzt im ureigenen Interesse der Menschheit.

Meer statt Atmosphäre

Mit Blick auf den menschengemachten Klimawandel verdanken wir den Meeren viel: Sie "schlucken" erhebliche Mengen des von uns ausgestoßenen Treibhausgases CO2, die ansonsten in der Atmosphäre verbleiben und den Klimawandel weiterankurbeln würden. "Im Durchschnitt 25 Prozent unserer Emissionen gehen in den Ozean und können dadurch die Erderhitzung nicht weitervorantreiben", sagt Judith Hauck vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Damit speichern die Meere in etwa gleich viel Kohlendioxid wie die Pflanzen an Land, erklärt die Biogeowissenschafterin, die den Kohlenstoffkreislauf der Meere und die ökologischen Rückkoppelungseffekte erforscht. "Ohne die Ozeane und die Landsenken wären wir heute nicht bei 420 ppm (parts per million, Anm. d. Red.) CO2 in der Atmosphäre, sondern bei 600", sagt Hauck. Die Meere allein hätten seit Beginn der Industrialisierung etwa 80 ppm aufgenommen – das entspricht in etwa der Menge an Kohlenstoffdioxid, die im selben Zeitraum durch die Verbrennung von Erdöl freigesetzt worden ist.

Veränderte Zirkulation

Doch immer so weitergehen wird es nicht. Bei steigenden Temperaturen droht die CO2-Aufnahme und -Speicherung der Ozeane abzunehmen. Denn Kohlendioxid löst sich besser in kaltem Wasser als in warmem – steigende Meerestemperaturen haben hier also einen negativen Einfluss. Noch sei der Effekt relativ gering, im vergangenen Jahrzehnt habe sich die Aufnahmefähigkeit der Meere durch die Erwärmung um etwa fünf Prozent reduziert.

Noch mehr ins Gewicht fällt aber die durch den Klimawandel bedingte Veränderung von Winden, welche die Meereszirkulation beeinflussen, sagt Hauck: "Im Südozean zum Beispiel verschiebt sich der Westwindgürtel oder wird stärker, und das beeinflusst die Ozeanzirkulation. Wenn wir eine stärkere Zirkulation haben, führt das dazu, dass mehr kohlenstoffreiches Tiefenwasser an die Wasseroberfläche gelangen kann. Das trägt dazu bei, dass die CO2-Aufnahmefähigkeit des Ozeans verringert wird."

Fatale Versauerung

Diese Tendenz dürfte zunehmen, auch wenn die Meere Modellen zufolge insgesamt weiterhin CO2 aufnehmen werden, solange der Gehalt des Treibhausgases in der Atmosphäre weiter ansteigt.

Wenn die Emissionen rückläufig seien, ändere sich die Lage, erklärt die Biogeowissenschafterin: "Irgendwann kommen wir hoffentlich an einen Punkt, wo das atmosphärische CO2 nicht weiter ansteigt. Dann wird auch der Ozean weniger CO2 aufnehmen, weil er immer ein Gleichgewicht mit der Atmosphäre sucht. Dann kann es sein, dass der Ozean in bestimmten Gebieten anthropogenes CO2 wieder abgibt."

Mit einer anderen Folge der stetigen marinen Treibhausgasaufnahme haben dagegen Meeresbewohner zu kämpfen: Das zunehmende Kohlendioxid verschiebt das chemische Gleichgewicht im Meerwasser – der pH-Wert sinkt. Dieses als Ozeanversauerung bekannte Phänomen kann Wachstum, Fortpflanzungsfähigkeit und letztlich das Überleben von Meeresorganismen gefährden.

Korallensterben und Kalkalgen in Bedrängnis

Besonders betroffen sind Tiere, die Schalen, Skelette oder Panzer aus Kalk bilden, da ein niedrigerer pH-Wert deren Aufbau erschwert und die Stabilität beeinflusst. An Korallen, Meeresschnecken oder Seeigeln lassen sich die negativen Auswirkungen längst nachweisen. Aber auch Plankton, die zentrale Grundlage der marinen Nahrungsnetze, ist von der Versauerung betroffen – mit potenziell fatalen Folgen für das gesamte Ökosystem.

Das allein wäre für das Leben unter Wasser schon dramatisch genug. Dazu kommen aber die steigenden Meerestemperaturen und der damit verbundene sinkende Sauerstoffgehalt des Wassers, Überfischung und Verschmutzung. Inzwischen hat das Problem ein Ausmaß erreicht, dass Forschenden zufolge die größte Aussterbewelle in den Ozeanen seit 250 Millionen Jahren droht. Anders als bei früheren Massensterben trägt diesmal eine einzige Spezies die Verantwortung dafür: Homo sapiens. Ohne entschiedenere Schutzmaßnahmen könnten weite Teile der Meere unbewohnbar werden, warnte ein internationales Forschungsteam kürzlich im Fachjournal Science.

"Die gute Nachricht ist, dass die Zukunft nicht in Stein gemeißelt ist", betonte Justin Penn von der Princeton University, Erstautor der Studie. Das Ausmaß der Katastrophe hänge stark davon ab, wie viel CO2 wir künftig emittieren werden und ob die Einrichtung größerer Meeresschutzgebiete gelingt.

Erholung unter Wasser

Auch für Judith Hauck steht fest: "Das Allerwichtigste ist, dass wir den Klimawandel so schnell und so stark wie möglich einschränken und Emissionen reduzieren. Denn das wird die Versauerung aufhalten und die Erwärmung bremsen. Und es braucht marine Rückzugsgebiete, wo sich das Leben erholen kann."

Während es auf nationaler Ebene durchaus Fortschritte gibt, wie etwa die Schaffung der größten Meeresschutzzone Europas durch Portugal im Vorjahr zeigt, ziehen sich Entscheidungen auf internationaler Ebene in die Länge: Verhandlungen der Vereinten Nationen über ein umfangreiches Meeresschutzabkommen laufen seit Jahren, eine Einigung ist noch nicht in Sicht. (Tanja Traxler, David Rennert, 8.6.2022)