Das Horten-Museum sollte sich mit den eigenen Fundamenten verantwortungsbewusst und transparent auseinandersetzen, sagt Zeithistorikerin Birgit Kirchmayr im Gastkommentar.

Ein Inserat im "Duisburger General-Anzeiger" im Jahr 1936 informiert: "das Alsberg-Haus hat seinen Hausherrn gewechselt, ist in arischen Besitz übergegangen".
Foto: Zeitungsportal NRW

Letzte Woche wurde in Wien das private Kunstmuseum von Heidi Goëss-Horten eröffnet. Schon zuvor gab es dazu – nicht zuletzt im STANDARD – Kritik am Hintergrund des von Goëss-Horten ererbten Vermögens: Ihr 1987 verstorbener Ehemann, der deutsche Kaufhausunternehmer Helmut Horten, habe sein Vermögen als Profiteur des NS-Regimes durch die Übernahme von Firmen aus "jüdischem" Besitz begründet.

2020 gab Goëss-Horten dazu ein Gutachten in Auftrag, seit Jänner 2022 liegt es veröffentlicht vor. Schon im ersten Satz wird dort postuliert, "dass manche publizistischen und wissenschaftlichen Zuschreibungen an den Unternehmer Helmut Horten von nicht haltbaren Vorannahmen geprägt sind" und dass "die bisher vielfach vorgebrachte Annahme, dass der Grundstock von Helmut Hortens Vermögen aus der NS-Zeit stamme, nur sehr eingeschränkt zutreffend" wäre. Insofern überrascht es dann, weiter zu lesen: "Horten betrieb intensiv die Übernahme jüdischer Unternehmen und profitierte von der Situation der jüdischen Eigentümer." So what? War das nicht die zentrale Aussage der soeben als nicht haltbar bezeichneten Vorwürfe?

Relativierendes Grundnarrativ

Bei weiterer Lektüre verfestigt sich der Eindruck, das Gutachten bekräftige das bisher kolportierte Wissen um Hortens Aktivitäten im Nationalsozialismus mehr, als es dem widerspräche: So werden auf mehr als 200 Seiten unterschiedliche "Arisierungs"-Vorgänge ebenso beschrieben wie die gewinnbringende Beteiligung an Rüstungsunternehmen inklusive Zwangsarbeiterbeschäftigung und die lukrative Beauftragung der Helmut Horten KG in der kriegswirtschaftlich reglementierten Zuteilung von Textilien. "Geframt" ist die Darstellung aber von einem relativierenden Grundnarrativ.

Stets werden einschränkende Aber-Argumentationen vorgebracht und Ereignisse durch scheinbar nüchterne Formulierungen verharmlost. Eine Diskursanalyse des Textes wäre lohnenswert, hier kann nur auf wenige Beispiele verwiesen werden. So heißt es zur Übernahme des Kaufhauses Alsberg 1936, dass diese zu Bedingungen erfolgte, "welche durch die zeitbedingten Umstände für die Käufer günstiger waren als für die Verkäufer". Einem von Hortens Geschäftspartnern wird in diesem Zusammenhang attestiert, "dass er bereits Erfahrungen bei einer Geschäftsübernahme aus jüdischem Besitz sammeln konnte".

"Eine Bewertung einer 'Arisierung' als 'vergleichsweise fair' ist suggestiv und wissenschaftlich nicht haltbar."

Daneben sind aber auch die grundlegenden Schlussfolgerungen des Gutachtens zu hinterfragen. Vor allem zwei Punkte werden als entlastend und den bisherigen "Vorwürfen" widersprechend angeführt: So hätte Horten zwar von "Arisierungen" profitiert, allerdings seien diese unter "vergleichsweise fairen" Bedingungen erfolgt. Des Weiteren wäre angesichts von Kriegsverlusten nur mehr ein Teil des Vermögens in der Nachkriegszeit vorhanden gewesen.

Zweifellos gab es bei "Arisierungen" eine Bandbreite unterschiedlicher Methoden – das ist nichts Neues in der Forschung zum NS- Vermögensentzug, in der im Übrigen bisher weder der an der Universität Würzburg tätige Gutachter Peter Hoeres noch dessen Co-Autor Maximilian Kutzner in Erscheinung getreten sind. Eine Bewertung einer "Arisierung" als "vergleichsweise fair" ist unter den gegebenen Kriterien allerdings schlicht suggestiv und wissenschaftlich nicht haltbar.

Veränderte Erinnerungskultur

Zur Kontinuität des Vermögens über das Kriegsende hinaus gesteht das Gutachten selbst ein, mangels valider Quellen dieses zum Stand 1945 nicht genau beziffern zu können. Verwiesen wird auf massive Kriegseinwirkungen, die verhindert hätten, das Vermögen "zur Gänze in die Nachkriegszeit hinüberzuretten". Klar formuliert wird aber gleichzeitig, dass das bereits 1936 "arisierte" Kaufhaus Alsberg trotz Zerstörung des Gebäudes auch nach 1945 "den maßgeblichen Teil des Vermögens Hortens für den Start ins unternehmerische Umfeld der Nachkriegszeit ausgemacht hatte". Warum also ist es dann nur "eingeschränkt zutreffend", der Grundstock von Helmut Hortens Vermögen stamme aus der NS-Zeit?

Um eines ganz klar zu formulieren: Es geht hier nicht darum zu behaupten, Horten hätte ohne die Bedingungen der rassistischen Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus nicht vielleicht auch einen erfolgreichen Unternehmensaufbau leisten können. Vielmehr geht es darum, dass es im Jahr 2022 im Kontext einer veränderten Erinnerungskultur in Bezug auf den Nationalsozialismus nicht mehr nötig sein sollte, unangenehme Vergangenheiten zu relativieren.

Verantwortung wahrnehmen

Es gibt keine Schuld der Nachgeborenen und auch keine der Erbinnen und Erben – aber eine Verantwortung. Deshalb würde es dem Horten-Museum besser anstehen, historische Gutachten nicht als "Persilschein", sondern als Auftrag für eine verantwortungsbewusste und transparente Auseinandersetzung mit den eigenen Fundamenten zu verstehen. Dazu gehörte auch eine unabhängige Provenienzforschung nach Vorbild der Bundesmuseen. Seit der Etablierung des Kunstrückgabegesetzes 1998 hat die Republik Österreich tausende Kunstwerke zurückgegeben und damit nach langen Jahren des Blockierens und Verzögerns einen neuen Weg eingeschlagen. Auf der Website der Horten-Collection findet sich im Mission-Statement ein Bekenntnis zur Provenienzforschung. Wie diese im Konkreten aussieht, erfährt man allerdings nicht. (Birgit Kirchmayr, 9.6.2022)