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Ein Vater mit Baby im Tragetuch: peinlich?

Foto: Getty Images/Westend61

peinlich, Adjektiv: ein Gefühl der Verlegenheit, des Unbehagens, der Beschämung o. Ä. auslösend


Ich war einmal ein halbes Jahr in Karenz und habe darüber ein bisschen getwittert. Daraufhin wurde ich vom Frauenmagazin "Woman" interviewt, meine Tweets wurden in einem wunderschönen Fotobuch über die Väterkarenz abgedruckt, und ich bekam eine STANDARD-Kolumne. Sicher, die Tweets waren extrem gescheit und mindestens so lustig, mein unermesslicher Ruhm somit begründet und verdient – das Gefühl, dass dieser ein kleines bisschen mit meinem Geschlecht zu tun hat, bleibt. Der Quotenmann zu sein ist peinlich.

Nur zwei von zehn Vätern gehen in Karenz. Peinlich.

Umgeschnallte Babys sind peinlich. Nicht bei Frauen und nicht bei Männern in meinem Bobo-Wohnbezirk. Aber hin und wieder musste ich woandershin. Am Weg zu den hippen Spielecafés, dem frühbildenden Tiergarten oder der tiefenentspannenden Therme musste ich durch allerlei Bezirke, in denen die kleinen Männer und Frauen von der Straße hausen. Stellen Sie sich das vor: Die sind so außerhalb meiner Blase, dass sie mir nicht anerkennend zugenickt haben! Nein, in der U-Bahn ausgelacht haben sie mich. Peinlich war das.

Nur ein Prozent der Väter geht länger als ein halbes Jahr in Karenz. Peinlich.

Ein entfernter Bekannter von mir arbeitet bei einer Hilfsorganisation, seine Frau ist Ärztin. Wenn die beiden in Zukunft nur ein Familieneinkommen haben wollen, sollte er sich um Kind und Haushalt kümmern und sie Geld scheffeln, rein ökonomisch. So weit sind sie noch nicht. Ein Baby ist unterwegs, er will jetzt dann einmal ein halbes Jahr in Karenz. Das könnte schwierig werden, es ist ihm peinlich, den Wunsch seinen Arbeitskolleginnen und -kollegen zu offenbaren.

Wird die Karenz in Österreich zwischen den Eltern halbwegs gleich geteilt, gibt es einen Bonus von 1.000 Euro. Das ist ein wenig: peinlich.

Jede und jeder soll tun, was er oder sie will. Machet Babys oder lasset es. Gehet beide in Karenz oder nicht. Arbeitet nachher beide wieder Vollzeit oder erbt halt viel. Verwirklicht euch in eurer Liebe zum Nachwuchs, euren Freundschaften, Hobbys, Süchten oder macht Karrieren. Pflegt alte und kranke Menschen, schreibt Bücher, fahrt Bus, baut kleine geile Start-ups, macht Musik, leitet Werbeagenturen, werdet Tiktok-Influencer und -Influencerinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Immobilienmakler und Immobilienmaklerinnen oder übernehmt Verantwortung in der Politik. (Wieso heißt Arbeit bei Pflegern und Pflegerinnen eigentlich Arbeit und bei Politikern und Politikerinnen Verantwortung übernehmen? Andere Geschichte.)

Die Einkommen der Väter steigen, die der Mütter sinken. Oh, peinlich.

Ein paar meiner Freund:innen wollen uns diese Freiheit nehmen! Die wollen das gesetzlich regeln. Also nicht, dass jeder Influencer werden darf, sie sind für ein Gesetz, dass beide Eltern in Karenz gehen müssen. Nur so könne der Nachteil ausgeglichen werden, den Frauen am Arbeitsmarkt haben. Auch viele Männer sind für so ein Gesetz: Dann muss man den Chef:innen nichts erklären, jeder muss sich ums Baby kümmern. Ich bin dagegen. Männer haben im Vergleich überdurchschnittlich große Eier. Die muss mann halt einmal in die Hand nehmen und sagen, dass mann sich ein paar Monate um die Frucht dieser kümmern will. Wenn ich alle zur Karenz zwinge, dann zwinge ich auch Frauen. Es wäre doch schade, wenn ein Mann die ganze Karenz machen will und dann die eiskalte Karrierefrau dazu gezwungen wird, auf den Nachwuchs aufzupassen. Da geht es doch bitte auch ums Kindeswohl.

Peter Sim ist Leiter der Abteilung Datenjournalismus bei "Dossier". Die Ergebnisse seiner bisher längsten Recherche, der an seiner Tochter, gibt es online im STANDARD, sein Karenztagebuch auf Twitter.
Foto: Privat

In Island gehen neun von zehn Vätern in Karenz. Geht der Vater nicht in Karenz, verliert die Familie drei Karenzmonate. Das ist nicht peinlich.

Oh. Vielleicht gibt es doch sinnvolle Gesetze, die hier etwas geraderücken können. Vielleicht wird nicht jede Mutter in Frauenmagazinen porträtiert und bekommt ein großartiges Erinnerungsbuch, wenn sie sich ums Baby kümmert. Vielleicht wird nicht jede Frau mit einem umgeschnallten Kind in den meisten Wiener Bezirken wohlwollend angelächelt. Vielleicht gibt es tatsächlich noch Unternehmen, bei denen Männer in die Arbeit und Frauen nach Hause gehören. Vielleicht kann in Österreich doch nicht jede Frau machen, was sie will. Das ist mir jetzt peinlich. (Peter Sim, 12.6.2022)