Abschreckend oder doch attraktiv, weil sinnerfüllt und unmittelbar wirksam? Der Sozialbereich ringt um Wandel.

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Die Pflege ist nicht der einzige Sozialbereich mit Personalmangel. Auch im Bereich der Sozialen Arbeit, der Pädagogik, der psychologischen Betreuung, Behindertenbetreuung und in der Jugendarbeit fehlen Fachkräfte. Andrea Udl, Leiterin der Akademie für Sozialmanagement, beschäftigt sich mit den Gründen und Wegen aus der Krise.

STANDARD: Wieso gibt es zu wenige Fachkräfte in sozialen Berufen?

Andrea Udl: Es gibt viele Gründe. Einer ist, dass zu wenige Ausbildungsplätze vorhanden sind. Dabei interessieren sich genug geeignete Personen für soziale Berufe. Denn es sind Jobs, die dem Tun einen Sinn verleihen. Ein weiterer Grund ist die Bezahlung: Reich wird man in diesen Jobs nicht. Dazu kommt eine oft hohe Arbeitsbelastung, physisch wie psychisch. Häufige Berufswechsel sind in dieser Branche deshalb keine Seltenheit. Im Laufe der nächsten Jahre werden wir unter anderem aufgrund der höheren Zahl an älteren Personen allerdings noch mehr dieser Fachkräfte brauchen. Die Lage spitzt sich also zu.

STANDARD: Wie hat die Corona-Pandemie das Bild der sozialen Berufe geprägt?

Udl: Es gab vor allem Schreckensmeldungen. In der Pandemie wurde ein sehr negatives Bild der Branche gezeichnet. Und das zum Teil auch zu Recht. Die Lage war vielerorts überaus dramatisch. Missstände müssen aufgezeigt werden. Jetzt sind wir aber in der schwierigen Lage, mehr Menschen für diese Berufe begeistern zu müssen, vor allem auch in der Pflege. Diese negativen Darstellungen schaden und schrecken potenzielle neue Kolleginnen und Kollegen ab. Stattdessen könnten wir zeigen, welchen Wert die Arbeit im Sozialbereich für die Lebensqualität der Bevölkerung hat. Und vor allem mehr gute Ideen und Konzepte aufzeigen, damit die Situation besser wird. Damit das jetzige Jammern nicht zur Resignation führt.

STANDARD: Warum sollte man Ihrer Meinung nach einem sozialen Beruf nachgehen?

Udl: In der Krise wurde das Ohnmachtsgefühl bei vielen immer größer. Nach dem Motto: Ich kann eh nichts tun, um eine Veränderung herbeizuführen. Die Verlockung ist groß, zu sagen, es geht eh alles den Bach runter. Sich engagieren für ein Thema hat eh keinen Sinn. Aber gerade mit einem sozialen Beruf erlebt man, dass das eigene Handeln wirksam ist. Ich kann nicht die Welt verändern, aber ich kann ein kleines Stück um mich herum verändern.

STANDARD: Wie können Führungskräfte in sozialen Berufen das Erleben der eignen Wirksamkeit unterstützen?

Udl: Grundsätzlich muss der Personalschlüssel verändert werden, mehr Menschen eingestellt werden. Denn solange ich in die Arbeit komme und nur Feuer lösche, komme ich nicht dazu, meine Selbstwirksamkeit wahrzunehmen. Darüber hinaus sind Organisationen oft auf das Problem fokussiert, anstatt lösungsorientiert zu arbeiten. Wie ein Unternehmen im Inneren aufgestellt ist, beeinflusst die Mitarbeitenden und kann die Innovationskraft eines Unternehmens fördern oder schwächen. Es lohnt sich, die Frage zu stellen: Wie können wir als Organisation gesellschaftliche Veränderungen anstoßen? Es ist wie ein Zahnradsystem: Eine Veränderung im Kleinen kann in weiterer Folge größere Wellen schlagen. (Natascha Ickert, 10.6.2022)