Der Rechnungshof hat mehrere Unstimmigkeiten angezeigt.

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Gegenüber dem Rechnungshof hat die ÖVP 2019 angegeben, die Wahlkampfkosten-Obergrenze bei der Nationalratswahl in diesem Jahr eingehalten zu haben. Der Rechnungshof bezweifelt das nunmehr stark, wie er in einer Pressemitteilung berichtet. Er hat eine Reihe von Verstößen gegen das Parteiengesetz angezeigt.

Unter anderem sei es "mit der politischen Lebenswirklichkeit schwer in Einklang zu bringen", dass für die Nationalratswahl deutlich weniger ausgegeben worden sein soll als beispielsweise für die EU-Wahl.

Grundsätzlich muss sich der Rechnungshof auf Angaben der Parteien verlassen, ein Einblick in ihre Buchhaltung ist ihm nicht möglich. Er verfügt nach eigenen Angaben allerdings über Unterlagen, die die Angaben der ÖVP zweifelhaft erscheinen lassen. Fragen dazu seien von der Partei teilweise nicht beantwortet worden, kritisiert das Kontrollorgan. Zum Beispiel wollte die ÖVP nicht näher darauf eingehen, warum bestimmte Kosten, die in diesen Dokumenten zu sehen sind, nicht für den Wahlkampf eingerechnet wurden.

Aus diesem Grund gebe es genügend Anhaltspunkte, um den Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat (UPTS) über einen Verstoß gegen das Parteiengesetz zu informieren, erklärt der Rechnungshof. Im Sommer 2021 habe dieser Senat allerdings entschieden, dass ein Wirtschaftsprüfer eingesetzt werden muss, um die Zahlenangaben nochmals zu prüfen. Das wolle man nun erstmals tun. "Die ÖVP hat vollen Zugang und Einsicht in die zur Prüfung erforderlichen Unterlagen und Belege zu gewähren", so der Rechnungshof.

Die Vorwürfe im Überblick:

Studien des Finanzministeriums

  • Fragwürdig seien etwa die Kosten für zwei Studien, die das Finanzministerium 2019 unmittelbar vor der EU-Wahl 2019 durchführen ließ. Diese seien "ohne ersichtlichen Grund" in diesem Jahr einmal um 50 und einmal um 100 Prozent teurer als andere Studien gewesen. Das Prüforgan vermutet, dass es zu unzulässigen Spenden in Höhe von rund 26.000 Euro gekommen sein könnte. Hierbei handelt es sich um Vorgänge in der Causa Beinschab.

Seniorenbund

  • Bedenken gibt es zudem in Zusammenhang mit dem Seniorenbund. Dieser ist – anders als zuvor von der ÖVP behauptet – aus Sicht des Rechnungshofs sehr wohl eine Teilorganisation der Partei. Seine Einnahmen und Ausgaben müssten demnach in der Parteibilanz aufscheinen, was aber nicht geschehen sei.
  • Anders, als die ÖVP berichtete, soll sie aus "Mitgliedsbeiträgen" des Seniorenbunds nach Berechnungen des Rechnungshofes maximal 342.000 Euro erhalten haben. Tatsächlich gibt die Partei aber an, dass sie rund 900.000 Euro auf diese Weise lukriert habe. Das lasse sich aber mit den Angaben der ÖVP dazu, wie sich sie Gelder zusammenstellen, nicht vereinbaren. Daher gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben nicht richtig seien.
  • Auch inseratenähnliche Einschaltungen in Medien des Seniorenbunds stehen in der Kritik. Der Rechnungshof qualifiziert diese als Wahlwerbung, die in der Spendenliste aufscheinen müsste.
  • Die jüngst bekannt gewordenen Corona-Hilfen in Millionenhöhe an den Seniorenbund seien noch nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen – sie werden im Kontrollverfahren der ÖVP 2020 und 2021 eine Rolle spielen, heißt es.

Vorarlberger Wirtschaftsbund

  • Auch den Machenschaften rund um das Magazin des Vorarlberger Wirtschaftsbunds, die im Ländle eine Inseratenaffäre auslösten, traut der Rechnungshof nicht so recht. Das Blatt sei 2019 neunmal erschienen und habe zwischen 47 und 82 Prozent Inserate enthalten. Das wird als durchaus hoher Anteil im Vergleich zu anderen Zeitungen gesehen. Der Rechnungshof befindet es als "zweifelhaft, wie sich der Anzeigenpreis von über 1.600.000 Euro beim Magazin 'Vorarlberger Wirtschaft' darstellen lässt". Gleichartige Inserate im "Gemeindeblatt", das etwa in der Vorarlberger Hauptstadt Bregenz erscheint, würden nur rund 268.000 Euro kosten. Auch wenn das Blatt eine geringere Auflage aufweise, wirft das für den Rechnungshof Fragen auf. Dieser "vertritt somit die Auffassung, die Differenz, nämlich rund 1.332.000 Euro, sei im Sinne des Parteiengesetzes als Spende zu qualifizieren".
  • In diesem Betrag seien zudem unzulässige Spenden von öffentlich-rechtlichen Körperschafen und von Firmen mit mindestens 25 Prozent öffentlicher Beteiligung in der Höhe von rund 232.000 Euro enthalten.
  • Die ÖVP hatte dem Rechnungshof berichtet, dass der Vorarlberger Wirtschaftsbund rund 500.000 Euro aufgrund parteiinterner Verpflichtungen an die Volkspartei gezahlt habe. Jedoch seien, unter anderem durch eine Finanzprüfung, "Umstände bekannt geworden", die nahelegen, dass es weitere Zahlungen gegeben hat, die nicht ausgewiesen werden, etwa die Übernahme von Kosten für Veranstaltungen mit ÖVP-Politikerinnen und ÖVP-Politikern.

Parteiwerbung in "Niederösterreich Zeitung"

  • Ebenso in der Kritik steht mutmaßliche Parteiwerbung im Mai 2019, kurz vor der EU-Wahl, in der "Niederösterreich Zeitung". Herausgeber der Publikation war die Volkspartei Niederösterreich. Der Rechnungshof sieht darin auf mehreren Seiten "eindeutige Wahlwerbung für zwei ÖVP-Kandidaten und für die Partei". Das sei als Spende im Sinne des Parteiengesetzes zu sehen, die nicht gemeldet worden sei. Die ÖVP selbst beruft sich in diesem Punkt auf die freie Meinungsäußerung.

Weitere Anzeigen

  • Das mutmaßliche Sündenregister der ÖVP ist lang: Der Rechnungshof führt beispielsweise eine möglicherweise unzulässige Spende im Bezug auf den Steirischen Bauernbundball an. Es gehe um eine Werbung für den Ball "aus öffentlichen Mitteln des Landwirtschaftsministeriums" in Höhe von 43.200 Euro.
  • Laut der Behörde könnten auch Spenden nicht entsprechend ausgewiesen worden sein. Es geht um Inserate in der Publikation "NÖ Gemeinde – Fachjournal für Gemeindepolitik", die als Wahlwerbung für die ÖVP gedient haben sollen. Der Rechnungshof führt auszuweisende Spenden von 29.000 Euro an. Als Medieninhaber scheint der Österreichische Kommunalverlag auf.
  • Genauer ansehen will sich der Rechnungshof auch die Zuwendungen an die ÖVP von Heide Margarete Goëss-Horten, auch bekannt als Heidi Horten. Innerhalb von zwei Jahren flossen von ihr knapp eine Million Euro an die ÖVP – und zwar in Tranchen. Hier stellt sich für den Rechnungshof die Frage des Zeitpunkts der Spenden und einer allfälligen unverzüglichen Meldepflicht.

Politologe Hofer: Könnte für Nehammer unangenehm werden

"Das Problem für die ÖVP ist: Es wächst sich mittlerweile zu einer Art Fortsetzungsroman aus", sagt Politikberater Thomas Hofer zum STANDARD. "Da kommen immer neue Kapitel daher." Für sich genommen seien die Vorwürfe möglicherweise noch keine Katastrophe – wobei es auch darauf ankomme, wie groß eine mögliche Überschreitung der Wahlkampfkosten sei. "2017 ist es ja um eine recht hohe Summe gegangen", sagt der Politologe.

Alles, was das Thema der Parteifinanzen wieder aufwärme, sei aber ein Problem für die ÖVP. "Die Vorwürfe vom Wirtschaftsbund in Vorarlberg über den Seniorenbund und alles, was im U-Ausschuss verhandelt wird, bis hin zum Rechnungshof – das ist in Kombination eine große Belastung für die Partei", sagt Hofer.

Verstärkt werde dieser Eindruck durch die aktuelle Teuerungswelle, die auch Mittelschichtshaushalte belaste. "Da werden die Vorwürfe, rein von der Optik her, noch größer", sagt Hofer. Insofern sei das eine "Doppelung", die die ÖVP belaste. Zudem werde die Opposition versuchen, "direkte Anknüpfungspunkte bei der aktuellen Parteiführung zu finden", was man ja auch im U-Ausschuss schon versucht habe. "Die dominante Strategie der Opposition wird sein, eine direkte Linie zu Karl Nehammer zu ziehen."

Denn der jetzige Bundeskanzler war zum Zeitpunkt der Nationalratswahl 2019 Generalsekretär der ÖVP und damit als Parteimanager für den Wahlkampf verantwortlich. Seitens der Opposition werde man daher alles daranzusetzen, die Lage so darzustellen: "Es war nicht nur das 'System Kurz' und dessen innerster Kreis, zu dem Nehammer ja nie wirklich gezählt hat." Im Zusammenhang mit all den anderen Vorwürfen gegen die ÖVP könne das für den Kanzler durchaus unangenehm werden, meint der Politologe.

Neben den angezeigten Prüfergebnissen gibt es laut Rechnungshof auch einige Auffälligkeiten, die aber für eine Mittelung beim UPTS nicht ausreichend seien:

Schulungsgelder im niederösterreichischen Gemeindebund

  • Für den Rechnungshof verdächtig ist eine Schulung des Niederösterreichischen Gemeindebunds, einer der ÖVP nahestehenden Organisation. Dabei soll eine Schulung für niederösterreichische ÖVP-Gemeinderäte rund zwei Millionen Euro gekostet haben, die aus Gemeindemitteln bezahlt wurden. In diesem Zusammenhang will der Rechnungshof eine eigene Prüfung durchführen.

Der Twitter-Account des Altkanzlers

  • Auch die Betreuung des persönlichen Twitter-Accounts von Altkanzler Sebastian Kurz wirft scheinbar Fragen auf. Gemäß der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage, auf die sich der Rechnungshof bezieht, gab das Bundeskanzleramt an, dafür zuständig zu sein. Die Partei soll der Behörde allerdings 2019 mitgeteilt haben, selbst Medieninhaberin des Accounts gewesen zu sein. Der Account sei ausschließlich von der Partei betreut worden. "In diesem Zusammenhang wird der Rechnungshof eine Prüfung zum Thema 'Social-Media-Accounts von Regierungsmitgliedern' auf seinen Prüfplan setzen", heißt es.

Reaktion

Und was sagt die ÖVP zu alledem? "Wir sehen der Prüfung gelassen entgegen", erklärt die Kanzlerpartei in einer Stellungnahme. "Denn die vom Rechnungshof bestellten Wirtschaftsprüfer haben alles bereits mehrmals geprüft. Dass sich der Rechnungshof durch einen dritten Wirtschaftsprüfer absichern möchte, nehmen wir zur Kenntnis." Die ÖVP habe sämtliche Kosten der Wahlkämpfe 2019 "lückenlos und korrekt angegeben".

Entsprechende Unterlagen seien an den Rechnungshof geliefert worden und könnten jederzeit für weitere Prüfungen bereitgestellt werden. "Die Volkspartei hat nicht das Geringste zu verbergen, die Obergrenze für beide Wahlkämpfe wurde auf Punkt und Beistrich eingehalten und sogar unterschritten", teilt die Partei mit. "Die Nationalratswahl und die EU-Wahl sind nicht miteinander vergleichbar und haben beide verschiedene Kostenstrukturen."

Die Oppositionsparteien reagierten mit scharfer Kritik. So sah die FPÖ in den Zahlen der Türkisen ein "einziges Schummel- und Blendwerk". Die Volkspartei habe die Ebene der Rechtsstaatlichkeit verlassen und werde immer mehr ein Fall für den "Mafiaparagrafen", findet FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Die Neos sehen das "Korruptionsproblem" der ÖVP bestätigt und fordern, dass Seniorenbund-Vereine zu Unrecht erhaltene Förderungen zurückzahlen. Dem stimmt auch die SPÖ zu. Der "türkise Skandalsumpf" sei so tief, dass sofortige Neuwahlen unausweichlich seien, meinte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. (Muzayen Al-Youssef, Jan Michael Marchart, Martin Tschiderer, 10.6.2022)