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Endlich durchatmen!

Foto: Getty Images / Christopher Bernard

"Ich sitze seit fünf Stunden am Flughafen fest. Nichts geht mehr", textet N. Sie gehört zu jener aussterbenden Spezies – zumindest in meinem Bekanntenkreis –, die versucht, ihre Psyche mit regelmäßigen Kurzurlauben über Wasser zu halten.

Letzten Monat war es Barcelona, dieses Wochenende ist Mallorca dran. Meine Freunde und ich verzichten schon lange auf solche Späße – aus Kostengründen, und weil Urlaub in unserer Welt ein überschätztes Konzept ist. Wir glauben an Projekte.

Planet Nerd

Aktuell etwa fangen einige von uns mit dem Singen an. So richtig mit Unterricht und Noten lesen lernen, das volle Programm. Andere basteln an einen Youtube-Channel. Es soll ein Spaßkanal für Foto-Nerds werden, die auf Trommelscanner stehen. Trommelscanner, predigt mein Freund, der wilde Künstler, seien Geräte, die so schwer sind wie ein Formel-1-Wagen. Geräte, die bis Ende der 1980er so teuer wie ein Einfamilienhaus waren. – "Ist das nicht geil?", schreit er und zeigt auf eine seiner drei neuen Monstermaschinen.

Mein aktuelles Projekt heißt Übersiedlung. Aus diesem Grund fahre ich zu Ikea am Westbahnhof, mit dem Fahrrad, in der prallen Mittagssonne. Die Planung meiner neuen Miniküche steht an. Während ich im Empfangsbereich an den ersten Hey!-Plakaten vorbeigehe, kommt eine neue SMS von N.: "Wir fliegen jetzt über Graz und Düsseldorf." — "Fliegen, die Hölle auf Erden", texte ich zurück.

Rettungsinseln

Wochenlang fürchtete ich mich vor dem Betreten des riesigen Möbelhauses, das Leben ist schließlich anstrengend genug. Aber dann, das Wunder: Im Gegensatz zur komplexen Welt da draußen ist hier drinnen alles ruhig und geordnet. Die Bettwäsche ist frisch, die Bäder geputzt, die Teppiche fusselfrei. Lächelnde Mitarbeiter ordnen Handtücher, während einzelne Kunden in den gemütlichen Wohnlandschaften auf Grönlid oder Kivik abhängen. Einige checken ihre Mails, andere hören Musik über Kopfhörer.

Noch besser wird es auf der Etage mit den Schlafzimmern: Eine Frau mittleren Alters ist auf Nordli eingeschlafen. Ein junger Mann liegt auf Vadheim und döst vor sich hin. Als er mich sieht, tut er kurz so, als würde er die Matratze testen.

Erschöpft setze ich mich ins "Studentenzimmer". Über oder hinter dem Stockbett steht eine Waschmaschine, die gleichzeitig auch der Arbeitsplatz ist – oder so ähnlich. Endlich durchatmen! Ich sitze vor Fredde und finde alles schön und gut. Ikea, mein Leben, die Welt. – Falls N. jemals in Mallorca ankommen sollte, läuft’s dann hoffentlich für sie auch so gut. (Ela Angerer, RONDO, 4.7.2022)