Wenn die Stadt Wien bodensparend vorgehen will, dann widmet sie neue Stadtteile auf der grünen Wiese möglichst dicht und hoch. Das klingt zunächst einmal seltsam, aber so wird das beispielsweise beim Projekt "Süßenbrunner Straße West" gemacht. Auf 8,4 Hektar soll zwischen einem Siedlungsgebiet mit Bauklasse I und Ackerflächen ein Stadtteil für 2800 Menschen geschaffen werden. In der Infobroschüre wird gleich am Anfang auf die Bodenverbrauchsthematik eingegangen, bei der Österreich bekanntlich "Europameister" ist. "Die kompakte Bauweise ermöglicht einen geringen Fußabdruck der zukünftigen Gebäude. Dadurch bleibt viel Platz für Freiflächen und Parkanlagen." Ähnliche Überlegungen gab es auch beim Nordbahnviertel. Das liegt aber bekanntlich sehr zentral.

Der Acker an der Süßenbrunner Straße West wird bald bebaut werden.
Foto: Putschögl

Die Süßenbrunner Straße liegt schon eher am nordöstlichen Stadtrand. Dort sind nun aber an der Oberfeldstraße, wo die Straßenbahnlinie 26 das Gebiet tangiert, Wohnbauten mit bis zu 33 Meter Höhe geplant. Zwei Info-veranstaltungen für die Anrainerinnen gab es schon; Bernhard Spuller, Sprecher der Bürgerinitiative Süßenbrunner Straße, war dabei. "Wir haben Stellungnahmen abgeben können, und der Park wurde jetzt auch tatsächlich um ein paar Quadratmeter größer", sagt Spuller dem STANDARD. "An der Bauhöhe und an der Anzahl der Wohneinheiten hat sich aber nichts geändert."

Viel Potenzial für Nachverdichtung

So wie in der Süßenbrunner Straße geht es Anrainern auch anderswo an der Peripherie. Die Entwicklungen hängen in erster Linie von der Verfügbarkeit der Flächen ab. Jene in der Süßenbrunner Straße wurden in den letzten Jahrzehnten landwirtschaftlich genutzt. "2013 wurden die Grundstücke dann aber plötzlich von Bauträgern aufgekauft", erzählt Spuller.

Doch braucht Wien überhaupt noch neue Stadtviertel am Stadtrand? Eine Frage, die sich viele stellen – auch deshalb, weil das Nachverdichtungspotenzial in der bestehenden Stadt bei weitem nicht ausgeschöpft ist.

Vielzitierte AK-Studie aus 2018

130.000: Diese Zahl aus einer AK-Studie von 2018 machte Karriere; unter anderem bringen sie auch die WKÖ-Immobilientreuhänder bei jeder Gelegenheit vor, wenn es darum geht, wie viele Wohneinheiten allein im Bestand der Wiener Gemeindebauten neu geschaffen werden könnten. Doch es handle sich dabei um eine "sehr theoretische" Maximalangabe, darauf wies man später vonseiten der AK wiederholt hin, und auch Ernst Gruber von Wohnbund: Consult, Co-Studienautor von damals, sagt nun, dass man wohl "eher von einer fünfstelligen Zahl" ausgehen sollte.

Dennoch: Das Potenzial wird bei den Gemeindebauten kaum ausgeschöpft. "In den Jahren 2017 bis 2021 wurden 250 Dachgeschoßwohnungen neu errichtet", heißt es hierzu auf Anfrage des STANDARD bei Wiener Wohnen. Weitere 480 Einheiten seien in Bau oder in Vorbereitung. Im Oktober sollte etwa die Sanierung und Aufstockung des Georg-Emmerling-Hofs im 2. Bezirk gegenüber vom Schwedenplatz abgeschlossen sein.

Der neue Gemeindebau Karlheinz-Hora-Hof am Handelskai entstand am Standort einer alten Parkgarage.
Foto: Putschögl

Überbauung von Parkplätzen

Und im Rahmen ihres Gemeindebau-Neu-Bauprogramms setzt die Stadt derzeit auf die Umnutzung von Autoabstellflächen. Dieser Tage wird am Handelskai der Karlheinz-Hora-Hof mit 332 Einheiten fertig. Hier befand sich davor eine Garage für den daneben befindlichen Gemeindebau aus den 1970er-Jahren. "Es passiert also schon was, aber es ist bei weitem nicht der große Hebel", sagt Gruber.

"So richtig großmaßstäblich ist das, was derzeit passiert, noch nicht", sagt auch Architektur- und Stadtforscher Robert Temel. Allerdings: Werde nachverdichtet, brauche es dann auch weitere Infrastruktur. "Bei Bauten aus den 1950er- und 1960er-Jahren kommt hinzu, dass es wenige statische Reserven gibt."

Und Aufstockungen sind eben oft mühsam, darauf weist auch Gruber hin. Die Baustellenlogistik sei schwierig und teuer, Aufzüge müssen neu gebaut werden, fallweise auch die Statik verbessert. "Man erspart sich zwar den Grundkauf, aber generell ist das meist kein günstiger Bau." Deshalb entstehe auch in privaten Dachgeschoßausbauten meist kein leistbarer Wohnbau, kritisierte Gruber kürzlich auch auf Twitter. Dennoch fordert die Immobilienwirtschaft schon lange großzügigere Aufzonungen auch bei privaten Häusern, wo dies möglich ist, damit neue Regelgeschoße gebaut werden können.

Innen vor außen, wo möglich

Innen- vor Außenentwicklung, das sei jedenfalls eine Strategie, die Sinn mache, sagt Raumplanerin Daniela Allmaier (Raumposition). "Stadtumbau ist aber immer viel schwieriger und komplexer als Neuentwicklungen auf der grünen Wiese", und klarerweise gebe es in der dichten Stadt mehr Konflikte. Andererseits sei Wien mit einem "massiven Stadtwachstum" konfrontiert, diesem Bedarf müsse man "irgendwie nachkommen". Entlang von höherrangigen Öffi-Verbindungen seien Neuentwicklungen jedenfalls sinnvoll, Straßenbahnlinien zählt sie dazu.

"Maßvolle Dichten" seien dann aber eben gefordert, denn "Fragen des Bodenverbrauchs und der Biodiversität stellen sich seit ein paar Jahren stark"; Einfamilienhaussiedlungen, wie in der Donaustadt nach dem Krieg in einer Vielzahl entstanden, seien heute nicht mehr zeitgemäß. Doch wird dann so ein dichter Stadtteil wie in der Süßenbrunner Straße geplant, gehen die Anrainer natürlich auf die Barrikaden.

Aufzonungen gegen Infrastruktur

Gruber kritisiert, dass in Wien auch meist dem geförderten Wohnbau "alles umgehängt" werde, was an zusätzlicher Infrastruktur zu schaffen ist: "kleinteilige Gewerbeflächen, Gemeinschaftsräume, hochwertiger öffentlicher Raum, Wohnangebote für marginalisierte Gruppen" – und das gehe dann eben in den neuen Stadtteilen am besten. All dies sollte aber auch viel öfter dem gewerblichen Wohnbau vorgeschrieben werden, etwa im Gegenzug für großzügige Aufzonungen: "Ein Privater darf also um ein oder zwei Regelgeschoße und das Dachgeschoß aufstocken, muss dafür aber einen Teil der Wohnungen leistbar anbieten oder etwa Räume für Kultur, eine Sozialeinrichtung et cetera schaffen." In städtebaulichen Verträgen könnte so etwas festgelegt werden, sagt Gruber. Das könnte manche Ackerverbauung eventuell verhindern. (Martin Putschögl, 14.6.2022)