Glänzende Idee: Wer bei mir isst, darf vor meiner Tür im Camper schlafen, sagen immer mehr Gastronomen.

Foto: iStockphoto

Mathias Tausch konnte es kaum glauben, als er zum ersten Mal Lichtenberg sah: "Nach 15 Minuten bist du vom Linzer Hauptplatz in der Einschicht, rund herum schaust nur ins Grüne." Seit zwei Jahren betreibt der 33-jährige Gastronom in der Gemeinde im Bezirk Urfahr-Umgebung ein Wirtshaus – oder besser gesagt zwei.

Im Gasthaus Reisinger in Neulichtenberg werden grundehrliche Blunzen und Ćevapčići gezaubert.
Foto: Sascha Aumüller

Angefangen hat er mit dem "Esszimmer" in Lichtenberg, einem lässigen Lokal mit räumlich ungebundener kulinarischer Bandbreite vom Thaicurry über Schupfnudeln "italienischer Art" bis zum "Innereien-Samstag". Dabei ist der gelernte Koch, der trotz seiner jungen Jahre bereits 19 Jahre im Berufsleben steht, eigentlich ein Fan von Hausmannskost. Er wollte immer die lokale Spielart eines Heurigen führen, eine Mostschenke mit gutbürgerlicher Küche. Doch dieses Konzept passte nicht ins Ortszentrum. Also hat er auch noch das Gasthaus Reisinger in Neulichtenberg übernommen und zaubert dort grundehrliche Blunzen und Ćevapčići, für deren Rohstoffe ein Edelfleischhauer aus der Gegend bürgt.

Campen auf dem Parkplatz vorm Wirtshaus hat nur Vorteile: Man muss nicht selbst kochen und kriegt gleich nach dem Aufstehen noch einen Platz im Gastgarten.
Foto: Sascha Aumüller

Ein erstes Krügerl gespritzten Mosts vermag diesem Freitagabend bereits ein wenig von seiner Schwüle zu nehmen. Im gut besuchten Gastgarten des Reisinger hört man das Murmeln vieler Gäste, aus dem langgestreckten Gebäude daneben dringen seltsame Roll- und Klickgeräusche. Die Kellnerin mit der pinken Frisur, die eher an Linz-Neue Heimat als an Downtown Lichtenberg erinnert, lüftet das akustische Geheimnis: "Unsere Kegelbahn. Habts Lust? Macht Spaß, und eine Bahn ist noch frei." Wir haben Lust und betreten sogleich eine völlig glaubwürdige Parallelwelt aus den 1970er-Jahren.

Eine glaubwürdige Parallelwelt aus den Siebzigern: Die Kegelbahn im Landgasthaus Reisinger.
Foto: Sascha Aumüller

Vor den Kegelbahnen liegt froschgrüner Stragula-Bodenbelag, an der Wand steht das Furnier-Turnierregal mit den Pokalen und gegenüber der Wurlitzer-Zigarettenautomat. Leider fehlen uns Schillingmünzen, um für 80er-Jahre-Preise ein Packerl Treff, Falk oder die in den frühen Neunzigern abgelaufene Packung Blausiegel zu erwerben. Die Kegelbahn hält aber, was die Kellnerin versprochen hat. Wir spielen "in die Vollen" und "Abräumen", dann ist es spät und ein weiteres Krügerl Most verdampft. Nun sollte man es dringend unterlassen, die Gaststätte motorisiert zu verlassen. Wie gut, dass wir im Auto auf dem Parkplatz schlafen dürfen. Noch besser, dass das Auto ein Wohnmobil ist.

Kost und dafür kostenlos Logis

Mathias Tausch erlaubt es seinen Gästen, für konsumierte Kost kostenlos auf dem Parkplatz Logis zu beziehen. Soll heißen: Camper, die beim ihm essen, dürfen dafür draußen in einem autarken Wohnmobil schlafen. Autark sollte es deshalb sein, weil die Sanitäranlagen des Gasthauses nach der Sperrstunde nicht zugänglich sind. Tausch ist selbst Gelegenheitscamper, mag aber keine Campingplätze. Entweder leihen sich er und seine Freundin das Mobilheim der Eltern, oder sie übernachten gleich im Auto. Diese Art von Kurztrips ohne spießige Infrastruktur mögen sie und wollen sie auch anderen ermöglichen.

"Lichtenberg gehört für die Linzer zu den wichtigsten Ausflugszielen. Warum sollte ich ein paar Campern von dort oder von weiter her nicht meinen Parkplatz überlassen?", fragt Tausch. Pro Monat kämen nie mehr als zwei oder drei, Kontakt zu den Nächtigungsgästen ergibt sich nur sporadisch. Schließlich muss Tausch immer dann arbeiten, wenn andere beim ihm essen oder schon schlafen. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, war um Tausch auf die Idee kam, Leute auf seinem Parkplatz übernachten zu lassen: den Onkel Franz Roitner. Der hat diese Form des halbwilden Campierens für Österreich erfunden und nennt es seither "Genussstellplätze".

Franz Roitner ist auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen und geht jetzt gerne wieder auf einen campen.
Foto: Roitner Media GmbH

Franz Roitner ist auf einem Bauernhof in Oberösterreich aufgewachsen und hat lange Zeit ein Onlineportal für Kurzurlaube betrieben. Kennengelernt hat er das System der kostenlosen Stellplätze in Deutschland, als er dort ein Wohnmobil getestet hat und dabei auf "Landvergnügen" gestoßen ist. Seit fast zehn Jahren kann man damit deutsche Bauernhöfe mit einem Camper ansteuern und darf dort ohne Gebühr übernachten. Die Bauern erwarten sich als Gegenleistung nur, dass man ihnen ein paar der landwirtschaftlichen Produkte abkauft, die sie anbieten.

Roitner hat 2020 die gleiche Idee für Österreich unter dem Namen "Bauernleben" realisiert und dafür seinen früheren Beruf an den Nagel gehängt. Die "Genussstellplätze" bei etwas mehr als 100 Gasthöfen sind eigentlich nur als Spin-off gedacht. Um die Adressen zu erfahren, an denen man stehen bleiben darf, kauft man ein Buch mit allen Kontakten und erhält eine Art Jahresvignette für das Wohnmobil.

Anonymer als auf dem Bauernhof

"Die Stellplätze bei Bauernhöfen und bei Gasthöfen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen", sagt Roitner. Während man bei den Bauern oft schnell Anschluss fände und ins Plaudern käme, konsumiere man bei den Gasthäusern nur ein Essen und ziehe sich anonym ins Wohnmobil zurück. Eben weil Wirtinnen und Wirte ziemlich sicher genau dann arbeiten müssen, wenn man sie besucht.

Überrascht oder gar enttäuscht sei bisher niemand gewesen, der auf einem Parkplatz vorm Wirtshaus übernachtet hat. "Ich habe noch keine einzige negative Rückmeldung bekommen. Die Leute, die das machen, scheinen zu wissen, womit sie rechnen dürfen und womit nicht." Duschen gehen oder aufs WC außerhalb der Öffnungszeiten ist bei den Wirten nicht möglich. An diese Ausstattung des Wohnmobils sollte man halt denken, wenn man kein eigenes besitzt und eines ausleiht, etwa für ein verlängertes Wochenende, was immer mehr Menschen tun.

Landgasthaus und Leergut

Der Wecker in unserem voll ausgestatteten Leihwohnmobil ist an diesem Samstag kein krähender Hahn, sondern das Altstoffsammelzentrum gegenüber dem Landgasthaus Reisinger. Gegen acht Uhr früh kommen am Samstag die ersten Anrainer und entsorgen ihr gesamtes Leergut der Vorwoche. Eine gute Zeit, um im Wohnmobil einen starken Kaffee aus der Bialetti zu trinken und danach in Richtung Westendorf in Tirol aufzubrechen. Dort wartet der nächste Parkplatz zum Schlafen.

In der Tiroler Hinterwindau liegt auf 1.100 Meter Seehöhe die Gamskogelhütte.
Foto: Sascha Aumüller

Als wir mit dem Wohnmobil durch Kitzbühel cruisen, müssen wir mitleidig über ein Maserati-Cabrio und einen gelben Lamborghini lachen, weil sich deren Besitzer nicht einmal auf der Rückbank ausstrecken, geschweige denn darauf nächtigen können. Kurz nach der "Gamsstadt" geht es dann von Westendorf aus noch rund 15 Kilometer in die Hinterwindau bis auf 1.100 Meter Seehöhe zur Gamskogelhütte. Der Weg dorthin ist nur teilweise asphaltiert, aber breit und in so gutem Zustand, dass dafür zu Recht Maut verlangt wird. Ein Gänsemarsch aus E-Mountainbikes ist an sonnigen Tagen zur Hütte unterwegs, viele Fahrende blicken uns skeptisch entgegen, manche sichtlich genervt. Fast ereilt einen das schlechte Gewissen, in der heilen Tiroler Bergwelt so großspurig im Camper unterwegs zu sein – aber eben nur fast. Die kostenpflichtige Zufahrt ist ausdrücklich erlaubt, wie uns der Hüttenwirt versichert.

Peter Margreiter erlaubt Campern seit einem Jahr, auf dem geschotterten Parkplatz der Gamskogelhütte zu schlafen.
Foto: Sascha Aumüller

Peter Margreiter erlaubt Campern seit einem Jahr, auf dem geschotterten Parkplatz der Gamskogelhütte zu schlafen. "Du bist erst der Dritte, der kommt", sagt er und nimmt dem schlechten Gewissen Wind aus den Segeln. "Hier heroben ist genug Platz und die Straße breit genug für die meisten Fahrzeuge zum Heraufkommen. Wenn Autofahrer, Radler und Wanderer aufeinander aufpassen, gibt es überhaupt kein Problem." Margreiter interessiert sich weder besonders fürs Campen, noch ist er auf die Gäste in ihren mobilen Heimen angewiesen. Der Gastgarten mit Blick über den weiten saftig-grünen Almboden ist bis auf den letzten Tisch belegt, weil sich Einheimische und Ausflügler von weit her an außergewöhnlich guten Gerichten aus regionalen Zutaten laben können.

Früh am Abend ist Sperrstund. Dann haben Camper vor der Gamskogelhütte eine Alm für sich allein.
Foto: Sascha Aumüller

Um 18 Uhr ist an den meisten Tagen Sperrstund. Danach schließt Peter Margreiter die Gamskogelhütte ab und fährt zum Schlafen ins Tal. Haben sich die Motorengeräusche seines Autos erst einmal verloren, bimmeln nur noch die Kuhglocken zum gleichmäßigen Rauschen der Windauer Ache, neben der das Wohnmobil für eine Nacht stehen darf. Nicht vor zehn Uhr morgens wird der Wirt die Hütte wieder aufsperren. Bis dahin haben alle Camper, die keine Campingplätze mögen, eine ganze Alm für sich allein. (Sascha Aumüller, 18.6.2022)

Weiterlesen: Europäischer Campingurlaub auf dem Bauernhof