Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) beendete die Causa Impfpflicht am Donnerstag nun endgültig.

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Das Gerücht ging schon seit mehreren Wochen um. Die Regierung fühlte bei den Ländern vor, innerkoalitionär waren sich ÖVP und Grüne zuletzt schnell einig: Eine Impfpflicht, sollte sie jemals kommen, wäre ein gesellschaftlicher Super-GAU und gleichzeitig ineffektiv. Sie muss weg. Erfunden wurde sie unter einem anderen Kanzler, einem anderen Gesundheitsminister, in einem anderen politischen Österreich, während Delta wütete und Omikron einer der unbekannteren griechischen Buchstabe war.

Diese Woche Dienstag setzten sich Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) zusammen und finalisierten den Entschluss: Die Impfpflicht ist tot, jetzt gehört diese Peinlichkeit auch offiziell beendet.

Am Mittwoch nach dem Ministerrat wurde das Vorgehen mit dem schwarzen Klubchef und der grünen Klubchefin koordiniert. Mittwochabend wurden die Parlamentarier informiert. Donnerstag dann die Verkündung. Kritik blieb weitgehend aus. Niemand in Österreich will mehr an der Impfpflicht anstreifen – zuerst wurde sie politisch gefeiert, inzwischen ist sie fast ein Polit-Tabu.

Eine Politikerin aus einer der Regierungsparteien formuliert es unumwunden so: "Das Risiko war zu groß, dass die Impfpflicht-Kommission beim nächsten Mal vorschlägt, die Impfpflicht scharfzustellen. Dann müssten wir Strafen ausstellen, aber impfen lässt sich trotzdem keiner." Wahlen gewinnt man mit diesem Thema wahrlich keine mehr – ganz im Gegenteil. Und so ist die Impfpflicht nun tot – offiziell. Wie konnte ein durchaus streitbarer, doch nicht völlig unvernünftiger Vorstoß so verkommen?

Phase eins: Viele Tote, zornige Länderchefs

Im November 2021 ist die Stimmung im Land katastrophal. Österreich befindet sich inmitten der dritten Welle, das Gesundheitssystem ist mancherorts kurz vor dem Kollaps: "Beim Gesundheitspersonal brennt der Hut" und "Salzburg bereitet Triage vor", titelt der STANDARD. Die ÖVP hatte sich lange gegen neue Maßnahmen gewehrt, bei einer Sitzung der Landeshauptleute am Tiroler Achensee gibt sie sich schlussendlich geschlagen: Ein Lockdown wird vereinbart. Mehrere schwarze Landeshauptleute drängen im Gegenzug aber auf die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht.

Das Vertrauen in die Regierung ist zu dieser Zeit bereits am Boden. Kanzler war Alexander Schallenberg, Sebastian Kurz (beide ÖVP) musste sich nach Aufkommen der Inseratenaffäre zurückziehen und zog die Fäden aus dem Parlament. Für die Grünen saß der Arzt Wolfgang Mückstein im Gesundheitsministerium, ein ehrlicher Verfechter einer Impfpflicht war und wurde er nie.

Das Meinungsforschungsinstitut Gallup erhebt seit März 2020 die Stimmung zur Pandemie und stellte fest: Noch zu Beginn waren etwa 90 Prozent der Befragten der Meinung, die Regierung gehe richtig mit dem Virus um – bis zum November 2021 sackte dies auf 23 Prozent ab, seither schwankt der Wert zwischen 24 und 37. Das habe aber auch mit dem jeweiligen Kontext wie neuen Chat-Affären oder Rücktritten zu tun, sagt Gallup-Institutsleiterin Andrea Fronaschütz, die hätten Vertrauen gekostet. "Da konnten sie an der Corona-Front noch so gute Nachrichten bringen, das Vertrauen war nachhaltig beschädigt."

Die Einführung der Impfpflicht war ein Paukenschlag, kein Land sonst in Europa war bisher so weit gegangen. Experten jubelten. Das Doppelpack aus Lockdown und Impfpflicht sei "ein echter und richtiger Befreiungsschlag raus aus dieser Pandemie", twittert Ulrich Elling von der Akademie der Wissenschaften noch am selben Tag. Gleichzeitig erhielten Redaktionen ein Schreiben mit Todesdrohungen gegen Schallenberg und Mückstein. Am Tag, nachdem die Impfpflicht präsentiert wird, gehen 40.000 Menschen auf die Straße. Es kommt zu Ausschreitungen, die Polizei setzt Pfefferspray ein.

Phase zwei: Das Chaos läuft an

Relativ rasch taucht im Dezember ein erster Gesetzesentwurf zur Impfpflicht auf. Dem zufolge sollen – knapp zusammengefasst – alle Menschen über 14 Jahren, bei denen kein triftiger Ausnahmegrund vorliegt, gestraft werden, wenn sie sich nicht impfen lassen. Und zwar automatisch, indem Impf- und Melderegister miteinander verknüpft werden.

Ebenfalls Anfang Jänner erklärt die dafür zuständige Elga GmbH: Diese Automatisierung sei frühestens im April umsetzbar. Insgesamt gehen über 170.000 Stellungnahmen zum Entwurf ein – so viele wie noch nie zuvor. Die allermeisten davon sind polemische Schimpftiraden. Aber auch Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof warnen vor einer Behördenüberlastung. Angesichts der Probleme bringt die Regierung eine "Impfpflicht light" ins Spiel, bei der die Polizei stichprobenartig kontrollieren soll, wer sie erfüllt. Nur: Die Polizei will das nicht kontrollieren. Das Desaster nimmt seinen Lauf.

Am 20. Jänner, einem vermeintlich historischen Tag, wird die Impfpflicht im Nationalrat beschlossen – mit einer Mehrheit von 137 aus 170 abgegebenen Stimmen. Rund um das Parlament wird eine Bannmeile gezogen, Demonstrationen finden dennoch statt.

Eine Zahl, so sagt Gallup-Geschäftsführerin Fronaschütz, sei im Laufe der Pandemie stets konstant geblieben: die der Anhänger von Verschwörungserzählungen. Rund ein Viertel der Befragten sei das, und dieses Viertel glaubt, das Virus sei der dunkle Plan einer fremden Macht. Niedriger ist allerdings die Zahl jener, die sich auf keinen Fall impfen lassen wollen. Seit Mai 2021 sind das laut Gallup konstant etwa 13 Prozent. Doch diese Zahl sei einbetoniert, sagt Fronaschütz, "die holen wir auch nicht mehr und jeder Cent, der bei dem Versuch ausgegeben wird, ist hinausgeschmissenes Geld."

Phase drei: Verantwortung wird geschoben

Am 4. Februar 2022 tritt die Impfpflicht in Kraft. Das nun abgeänderte Gesetz sieht drei Phasen vor: eine, in der man zwar geimpft sein muss, aber nicht gestraft wird. Eine, in der die Polizei stichprobenartig straft. Und eine, in der dann automatisiert gestraft wird. Tatsächlich gestraft werden wird schlussendlich nie jemand. Impfgegnerinnen haben auch längst Auswege gesucht. Spucke von Corona-Infizierten wird verkauft, immer mehr Fälle von Impfpass-Betrügereien kommen ans Licht.

Und ein weiteres technisches Problem taucht auf: Es wird klar, dass es keine Möglichkeit gibt, Ausnahmegründe von der Impfpflicht irgendwie zentral zu erfassen. Gleichzeitig wird Omikron dominanter – und bringt die Frage auf, ob das die Lage verändert. Virologe Norbert Nowotny ist der erste, der das breitenwirksam anspricht. Er sagt, die Impfpflicht wäre in Zeiten von Omikron "nicht mehr wirklich in dieser Form notwendig". Im Gesundheitsministerium hält man daran fest.

Fünf Tage, nachdem das Gesetz kundgemacht wird, lässt Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) aufhorchen. Er sagt, noch bevor gestraft werde, müsse man sich anschauen, ob die Impfpflicht dazu taugt, das Gesundheitssystem zu entlasten. Öffentlich wird das als Abwendung von der Impfpflicht verstanden. Immer mehr Landeshauptleute – vor allem schwarze – folgen seinem Beispiel. Kanzler Karl Nehammer selbst erläutert in der Kronen Zeitung , dass das Impfpflichtgesetz bald Geschichte sein könnte, sofern es keine Notwendigkeit mehr dafür gebe. So sieht das zwar ohnehin das Gesetz vor, dennoch ist klar: Die Begeisterung ist vorbei.

Noch vor dem 15. März, dem Tag, an dem die Strafen anlaufen sollen, veröffentlicht die Impfpflichtkommission einen differenzierten Bericht, in dem sie Argumente für oder gegen eine Impfpflicht sieht. Neo-Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) entscheidet sich dafür, sie auszusetzen.

Phase vier: Das finale Ende

Am 23. Juni 2022 bläst die Regierung die Corona-Impfpflicht ab. Sie habe eigentlich nie etwas gebracht, sagt der Gesundheitsminister, außerdem sei sie eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden. Noch vor der Sommerpause des Parlaments wird das Gesetz außer Kraft gesetzt. Im Herbst wählt dann Tirol. Überlegungen zu Nachteilen bei anstehenden Wahlen durch eine Impfpflicht seien nicht im Fokus gestanden, wird in der Regierung betont. (Gabriele Scherndl, Katharina Mittelstaedt, 25.6.2022)