Manche Sozialdemokraten wollen sich mit dem eigenen Aufschwung partout nicht abfinden. Kaum liegt die SPÖ in Umfragen komfortabel voran, macht sich schon wieder Unruhe bemerkbar. Im roten Dunstkreis gibt es Sehnsucht nach einer neuen linken, "progressiven" Partei.

Von einem konkreten Plan ist das Gerede offenbar weit entfernt. Doch von Ibiza bis zum jähen Absturz von Sebastian Kurz hatte die heimische Politik schon so viel Unglaubliches zu bieten, dass sich ein Gedankenspiel lohnt.

Im roten Dunstkreis gibt es Sehnsucht nach einer neuen linken, "progressiven" Partei.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die SPÖ spalten, um die ÖVP zu verhindern: Darauf läuft das kolportierte Szenario hinaus. Frische Konkurrenz soll den Sozialdemokraten bei der nächsten Wahl so viele Stimmen abspenstig machen, dass sich die vom unverbesserlichen Parteiestablishment mutmaßlich angestrebte große Koalition mit der ÖVP einfach nicht ausgeht. Der Weg zur Ampel mit den Grünen und den Neos, so das Kalkül, wäre damit frei.

Das klingt auf den ersten Blick abenteuerlich – und wird auch beim zweiten Mal Durchdenken nicht vernünftiger.

Bevor die Ampel blinken kann, braucht sie eine Mehrheit. Zu dieser kann eine prononcierte Linkspartei, die um dieselben Sympathisanten kämpft wie die SPÖ und die Grünen, kaum etwas beitragen. Die Siege von Bruno Kreisky in den Siebzigerjahren und von Alexander Van der Bellen bei der letzten Präsidentenwahl zeigen: Links etikettierte Kandidaten haben in Österreich dann eine Chance, wenn sie über die eigene Lagergrenze hinaus in die bürgerliche Welt ausstrahlen.

Wenn schon, dann könnte diesen Spagat eine Galionsfigur vom Typus eines Emmanuel Macron bieten. Doch der französische Präsident verkörpert von der Pensionsreform bis zur Streichung der Vermögenssteuer eine Politik, die sich die unzufriedene Linke in der SPÖ gerade nicht wünscht.

Erwartbare Querelen

Selbst im Falle einer idealen Persönlichkeit würde gelten: Eine Abspaltung, bei der Aktivisten die Seite wechseln sollen, lässt sich nicht chirurgisch sauber vollziehen. Die erwartbaren Querelen würden jenes Publikum abschrecken, das es zu ködern gilt. Wer sich angesichts der skandalträchtigen ÖVP nach Stabilität sehnt, wird diese kaum in einem Lager suchen, das sich gerade selbst bekriegt. Die Chancen stünden gut, dass die Schwächung der SPÖ viel zu erfolgreich verliefe: Die ÖVP könnte sich wieder große Hoffnung auf Platz eins machen.

Verrat der eigenen Werte, systematische Korruption, verspielter Kredit bei der Bevölkerung – es kann gute Gründe geben, eine Abspaltung von einer Traditionspartei als letzten Ausweg zu sehen. Doch bei allem, was einen an der SPÖ und ihrer Führung stören kann: Dieser Sünden hat sich die gegenwärtige Sozialdemokratie nicht schuldiggemacht.

Ärger über die befürchtete strategische Ausrichtung rechtfertigt den potenziellen Schaden nicht. Kaum auszudenken, wäre der linksliberale Flügel nach dem verlorenen Machtkampf um die Führung der SPÖ im roten Wien beleidigt in ein Konkurrenzprojekt geflüchtet. Die ÖVP hätte beste Aussichten gehabt, sich auch noch in dieser Regierung festzusetzen. (Gerald John, 28.6.2022)