Ländlichen Regionen und ihrer Architektur wird zu wenig Beachtung geschenkt. Das soll sich ändern, hat sich das Deutsche Architekturmuseum vorgenommen und eine Ausstellung mit zugehörigem Bildband unter dem Titel "Schön hier. Architektur auf dem Land" konzipiert. Gezeigt werden zahlreiche Projekte, die nicht nur optisch ansprechen, sondern viel zu einem guten Leben auf dem Land beitragen. Ein Blick ins Buch.

Die Pandemie und ihre Lockdowns haben bei vielen Menschen die Sehnsucht nach einem Leben auf dem Land geweckt. Einerseits profitieren ländliche Gemeinden davon, in den Fokus zu rücken, andererseits zeigt sich nun einmal mehr, welche baukulturellen und stadtplanerischen Herausforderungen es auf dem Land gibt.

Durch gute Architektur gewinnen Orte – nicht nur aus optischen Gründen, sondern auch, weil Planerinnen und Planer sich mit ebendiesen Herausforderungen beschäftigen. Es geht, wie auch der vorliegende Bildband zeigt, etwa um aussterbende Ortskerne, Nachverdichtung, Flächenverbrauch, die Sanierung historischer Bestandsbauten oder Bürgerbeteiligung.

In "Schön hier. Architektur auf dem Land" sind 70 herausragende Bauten in ländlichen Regionen quer durch Europa zu sehen. Sämtliche in der Ausstellung gezeigten Projekte werden im Buch in Bild und Text ausführlich vorgestellt.

Hier zu sehen: eine Kindertagesstätte im 14.400 Einwohner großen Wittstock/Dosse im deutschen Bundesland Brandenburg, die vom Architekturbüro kleyer.koblitz.letzel.freivogel geplant wurde.

Das Gebäude besteht aus drei Bauteilen, die über einen zweigeschoßigen Windfang und eine Brücke miteinander verbunden sind. "Die beiden denkmalgeschützten ehemaligen Schulgebäude wurden so weit wie möglich vor einschneidenden Umbauten bewahrt, indem Sanitärräume, der Aufzug und das neue Treppenhaus in einem dritten Teil, einem Neubau, untergebracht wurden", heißt es im Buch.

Foto: Christian Richters

Die dänische Stadt Aabenraa hat rund 16.500 Einwohner und liegt in der Region Syddanmark. Im Bildband berichtet ihr Bürgermeister, Thomas Andresen, von der Neugestaltung des öffentlichen Raums: "Die Verbindung der historischen Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts mit der modernen und zeitgemäßen Stadt war für uns von großer Bedeutung", sagt er. Umgesetzt wurde das Projekt von Adept Architekten.

So hat man sich etwa im zentralen Stadtraum Storetorv dafür entschieden, die für südjütländische Handelsstädte früher üblichen gelben Ziegel als Gehwegbelag zu verwenden. Der gesamte Platz wurde zu einer großflächigen und ebenen Fläche mit Sitzmöglichkeiten umgestaltet, der von den Bürgerinnen und Bürgern nun vielfältig genutzt wird.

Foto: Haans Joosten

Vor 15 Jahren hat sich im 3.700 Einwohner großen bayerischen Gundelsheim eine Entwicklung breitgemacht, wie sie vielerorts zu beobachten ist: Das Ortszentrum drohte auszusterben, an den Ortsrändern wurden Wohnsiedlungen und große Supermärkte errichtet, von einem aktiven Dorfleben war immer weniger zu spüren.

Doch die Verantwortlichen erkannten den Handlungsbedarf. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern wurden Ideen entwickelt, um den Ortskern zu beleben. Eine davon war die Schaffung eines Treffpunkts, einer Bücherei sowie eines Veranstaltungsorts. Und so wurde ein ehemaliges Wohngebäude mit Stall im Ortskern zu einer Bücherei mit Café, Loungebereich für Jugendliche und Lesebereich umgebaut.

"Die Gemeinde war mutig, das Wohnstallhaus zu retten. Sie hat so dazu beigetragen, die historische und städtebauliche Dorfstruktur zu stärken. Das ist leider allzu oft nicht der Fall", schreibt Stefan Schlicht vom ausführenden Architekturbüro Schlicht Lamprecht Architekten im Buch.

Foto: Stefan Meyer

275 Einwohner hat der Ort Schürdt in der Verbandsgemeinde Altenkirchen im deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz. Dort steht ein Bauernhof, der bis ins Jahr 2019 von den Architekten Max und Jakob Giese mit auf- und umgebaut wurde.

Es entstanden ein Außenklimastall für 60 Mastschweine, fünf Buchten für zwölf Mastschweine mit Liegebox, ein Fütterungsbereich und Auslauf, eine Jauchegrube, eine Mistlagerfläche sowie ein Strohlager. Außerdem planten die Brüder eine Erweiterung des Hofladens und den Umbau des Fruchtspeichers, für den sie mit dem deutschen Landbaukultur-Preis ausgezeichnet wurden.

Die beiden Architekten setzen sich für eine zeitgemäße Nachverdichtung in ihrer Heimat, dem Westerwald, ein. "Wir wollen die Dorfkerne erhalten und nicht an den Rändern wachsen", betonen sie und nennen den Bestand "unser nachhaltigstes Baumaterial".

Im Bildband berichtet die Autorin Barbara Hallmann von den Herausforderungen der Region: Viele örtliche Bauherren träumen vom Kataloghaus auf der grünen Wiese, und "Argumente für baukulturelle Alternativen haben es schwer in einer Region, in der mehrere Fertighausfirmen ansässig sind und immer wieder Neubaugebiete ausgewiesen werden".

Foto: Max & Jakob Giese

Zurückhaltend, modern, gediegen – das neue Rathaus von Maitenbeth, einem 2.100 Einwohner großen Ort in Oberbayern, wirkt auf den ersten Blick recht unscheinbar. Doch genau das ist es, was es so besonders macht. Das schreibt auch Bürgermeister Thomas Stark: "Das Rathaus nimmt dem historischen Bestand in seiner unmittelbaren Nachbarschaft nichts von seiner Wirkung. In der Farbgebung und den Strukturen spielt es sogar damit. All das fällt nicht als Erstes in den Blick, aber ich bin überzeugt, dass es entscheidend zum harmonischen Gesamteindruck unserer neuen Ortsmitte beiträgt."

Für die Planung verantwortlich waren Meck Architekten aus München. Sie haben auch im Innenbereich fortgeführt, was schon von außen erkennbar ist: Die Räume sind in Weiß, Eiche und Grau gehalten, allesamt Farben, wie Bürgermeister Stark schreibt, "die gleichzeitig Nüchternheit und Wärme ausstrahlen – das passt gut zu einem Rathaus".

Foto: Michael Heinrich

Auch Projekte in Österreich sind Teil der Ausstellung und des Bildbands. Mit von der Partie ist etwa die Bergkapelle Schnepfau-Wirmboden in Vorarlberg, die von Innauer Matt Architekten geplant wurde.

Die alte Kapelle wurde 2012 durch eine Lawine vollständig zerstört, der neue Bau 2016 fertiggestellt. Das Objekt wurde von den Bewohnern Wirmbodens in Eigenleistung erbaut und besteht aus gesammelten Steinen und Stampfbeton.

Die größte Herausforderung, so berichten die Architekten im Buch: "Auftraggeber war eine ganze Genossenschaft, deren Mitglieder unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Lösung zu finden, die alle zufriedenstellen würde, schien zu Beginn unmöglich." Am Ende gelang es allerdings doch, und fast alle Genossenschaftsmitglieder brachten sich in der ein oder anderen Weise ein. (Bernadette Redl, 5.7.2022)

Foto: Adolf Bereuter

Weitere Informationen

Die Ausstellung "Schön hier. Architektur auf dem Land" ist noch bis 27. November 2022 im Freilichtmuseum Hessenpark im deutschen Neu-Anspach zu sehen.

"Schön hier. Architektur auf dem Land"
Annette Becker, Stefanie Lampe, Lessano Negussie, Peter Cachola Schmal
2022 / 336 Seiten
Hatje Cantz, Berlin / € 40

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