In der Nähe des beliebten ägyptischen Badeorts Hurghada kamen am vergangenen Wochenende innerhalb von zwei Tagen zwei Frauen durch Haiangriffe ums Leben, eine 68-jährige Österreicherin und eine 40-jährige Frau aus Rumänien. Die Vorfälle ereigneten sich in der Badebucht Sahl Hasheesh unweit eines Piers in nur rund 600 Meter Abstand voneinander. Auch wenn Experten, darunter etwa Hesham Gabr, Vorsitzender der Sharm El Sheikh Chamber of Diving and Water Sports, von beispiellosen Angriffen sprechen, die vermutlich mit der Überfischung zusammenhängen würden, beantwortet das nicht die generelle Frage, warum Haie immer wieder Menschen attackieren.

Wenn in Medienberichten von Haiangriffen die Rede ist, fallen einem unweigerlich Bilder aus "Der Weiße Hai" ein. Der Film unter der Regie von Steven Spielberg aus dem Jahr 1975 war nicht nur einer der ersten Vertreter des Hollywood-Blockbusterkinos, sondern tat dem Image der (insbesondere Weißen) Haie keinen guten Dienst – wohlgemerkt einem ohnehin schon reichlich ramponierten Image.

Zur bevorzugten Beute von Weißen Haien zählen Robben. Forschende vermuten, dass Verwechslungen mit Surfern für einige Haiattacken verantwortlich sind.
Foto: imago images/Chris Monique

Weltweiter Haischwund

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren Haiangriffe auf Menschen in der Öffentlichkeit kein großes Thema gewesen, doch das änderte sich, als im Juli 1916 bei einer Serie von Haiattacken vor der Küste von New Jersey vier Menschen ums Leben kamen. Die Ereignisse, vor allem aber die Medienberichte darüber und ihre literarische Verarbeitung in Peter Benchleys Roman "Der weiße Hai", schoben die eleganten Raubfische ins Rampenlicht und verpassten ihnen einen üblen Leumund.

Ob Buch und Film auch einen kleinen Beitrag zum weltweiten Schwund der Haipopulationen geleistet haben, ist unklar. Tatsache ist jedoch, dass viele Haiarten in den vergangenen Jahrzehnten an den Rand des Aussterbens geraten sind: Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) werden jährlich über 70 Millionen Haie aus den Meeren geholt, entweder als Beifang oder ihrer Flossen wegen, die in asiatischen Haifischflossensuppen landen.

Fakt ist aber ebenso, dass Spielbergs Fischmonsterfilm einen Nerv getroffen haben muss, immerhin spielte "Jaws", so der englische Originaltitel, weltweit rund eine halbe Milliarde US-Dollar ein und war für eine Weile der kommerziell erfolgreichste Film aller Zeiten. Die Angst vor einem überlegenen Räuber im unvertrauten Medium, den man nicht kommen sieht, mag nachvollziehbar sein. Nach den globalen Haiangriff-Statistiken ist sie freilich weitgehend unberechtigt.

Makohaie sind schlanke rasante Jäger und erreichen eine Länge von bis zu vier Metern.
Foto: AP/Greg Skomal

Neun Todesfälle durch Haie im Vorjahr

Laut dem International Shark Attack File des Florida Museum of Natural History, einer fortlaufend aktualisierten Datenbank zu Haiangriffen, kam es 2021 weltweit zu 73 Haiattacken, neun davon endeten tödlich. An der Spitze stehen die USA mit 47 Angriffen und einem Toten, gefolgt von Australien mit zwölf Angriffen und drei Todesopfern und Brasilien mit drei Attacken sowie einem Toten. In Anbetracht dieser niedrigen Zahlen lassen sich kaum verlässliche Aussagen darüber treffen, ob die Haiangriffe weltweit im Steigen begriffen sind. Zumindest in den vergangenen zehn Jahren blieben die Zahlen jedenfalls weitgehend gleich.

Neun Todesfälle durch Haie verzeichnete die International Shark Attack File des Florida Museum of Natural History im Jahr 2021.
Grafik: University of Florida

Damit bestätigen sich auch die jüngsten Aussagen der Experten, wonach tödliche Attacken durch Haie im Roten Meer äußerst seltene Ereignisse seien. Ganz unbekannt sind dort Angriffe mit Todesfolgen jedoch nicht: 2018 starb ein Tourist aus Tschechien nach einem Haiangriff, 2015 kam ein Deutscher ums Leben und 2010 eine deutsche Pensionistin.

Welche Haiarten für die beiden aktuellen Vorfälle verantwortlich sind und ob es sich womöglich um ein und dasselbe Exemplar gehandelt hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Auf den im Internet kursierenden Aufnahmen von der ersten Attacke soll jedoch ein Makohai erkannt worden sein.

Gänsehautmoment mit einem Tigerhai. Die gewaltigen Raubfische stehen auf Rang zwei der gefährlichsten Haiarten – zumindest nach den dokumentierten Attacken.
Foto: APA/AFP/CAMERON GRANT

Die gefährlichsten Haie

Makos (Isurus) sind eine Gattung aus der Gruppe der Makrelenhaie, erreichen eine Länge von bis zu vier Metern und zählen zu den gerade einmal 13 der insgesamt 550 bekannten Haiarten, die für mehrfache Angriffe auf Menschen bekannt sind. Der überwiegende Großteil tödlicher Attacken geht auf das Konto von überhaupt nur vier Spezies, allen voran der Weiße Hai (Carcharodon carcharias). Mit einer maximalen Länge von über sieben Metern ist er der größte Raubfisch der Erde. Abgesehen von den Regionen rund um die Pole ist er in praktisch allen Meeren zu finden, als Einwanderer auch im Mittelmeer.

Der Tigerhai (Galeocerdo cuvier) erreicht bisweilen ähnliche Ausmaße wie der Weiße Hai, fühlt sich jedoch in wärmeren Gewässern wohler, weshalb er hauptsächlich in tropischen und subtropischen Meeren anzutreffen ist. Dort dringt er gerne in flache, küstennahe Zonen vor, wo die Wahrscheinlichkeit für ein Zusammentreffen mit Menschen steigt. Der robust wirkende Bullenhai (Carcharhinus leucas) zählt wie der Tigerhai zu den Grundhaien, ist aber mit höchsten 3,5 Metern deutlich kleiner als dieser. Insgesamt rund zwei Dutzend Todesfälle werden diesem in allen wärmeren Küstengebieten vorkommenden Raubfisch zugerechnet.

Bullenhaie zählen zu den wenigen Haiarten, die sich auch in Süßgewässer vorwagen.
Foto: imago/Nature Picture Library/Pete Oxford

Der vierte in der Runde der für Menschen lebensgefährlichen Haie ist der Weißspitzen-Hochseehai (Carcharhinus longimanus). Normalerweise bleibt der bis zu vier Meter lange schlanke Meeresräuber den Küstenregionen fern, weshalb Begegnungen mit Menschen für gewöhnlich selten bleiben. Dennoch wurden einige Fälle von Angriffen auf Schwimmer, Taucher und Schiffsbrüchige dokumentiert. Letztere dürften von den Haien tatsächlich als leichte Beute betrachtet worden sein, insbesondere wenn es sich um Verletzte handelte.

Rätselhafte Angriffe

Ansonsten können Wissenschafterinnen und Wissenschafter bis heute nur spekulieren, warum die Meeresräuber selten, aber doch Menschen attackieren. Bisher wurden hauptsächlich drei mögliche Gründe diskutiert: Der Hai verteidigt sein Revier, er fühlt sich von den Tauchern oder Schwimmern und ihren ungewöhnlichen Bewegungen provoziert, oder er verwechselte die Menschen mit seiner gewohnten Beute. Insbesondere Surfer, die aus der Perspektive etwa eines Weißen Hais durchaus einer Robbe ähneln können, sollen deshalb Opfer von Angriffen geworden sein.

Weißspitzen-Hochseehaie verirren sich dagegen nur selten in Küstennähe.
Foto: AP/Neil Hammerschlag

Eine im Vorjahr im Fachjournal "Journal of the Royal Society Interface" veröffentlichte Studie scheint dies zu bestätigen: Ein Team um Laura Ryan von der Macquarie-Universität im australischen Sydney kam zu dem Schluss, dass Weiße Haie zwar über einen hervorragenden Geruchs- und Gehörsinn verfügen, aber nur über ein sehr schlechtes Sehvermögen.

Diese Raubfische können demnach Menschen und Robben zumindest optisch kaum auseinanderhalten. Eine "eindeutige visuelle Unterscheidung zwischen Menschen und Flossenfüßern" sei ihnen gar nicht möglich, wie die Gruppe schrieb. Ob das auch auf die anderen für Menschen gefährlichen Haiarten zutrifft, ist allerdings unklar. (tberg, 4.7.2022)