Die Regierung tagt. Krisensitzung. Wegen Russengases. Kurz zuvor haben wir so en passant erfahren, dass die Speicher zwar zu 45 Prozent voll sind, aber ein sehr beachtlicher Teil davon Händlern gehört, die das Gas ans Ausland verkaufen können. Klar, das ist in ganz Europa so, es findet ein ständiger Austausch statt, aber wir wären ganz gern über solche Dinge informiert worden, statt wenig Beruhigendes wie "Wir beobachten die Situation" zu hören.

Österreichs Gaspeicher sind zwar zu 45 Prozent voll, aber ein beachtlicher Teil davon gehört Händlern, die das Gas ans Ausland verkaufen können.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Vielleicht ist es ungerecht, aber das Gefühl, dass unsere Verantwortlichen nicht ganz auf der Höhe der Situation sind, lässt sich nur schwer abweisen. Leider vermitteln unsere Grünen hier auch nicht den Eindruck, sie wären sich des Ernstes der Lage bewusst. Energieministerin Leonore Gewessler hat gewiss einen ziemlich geringen Spielraum – wegen der Abhängigkeit vom russischen Gas, die ihr andere eingebrockt haben –, aber das ist eine Erklärung, keine Entschuldigung. Jetzt ist sie Ministerin und hat einerseits einen klaren Maßnahmenkatalog zu entwerfen (entwerfen zu lassen), andererseits die Lage realistisch zu kommunizieren. Aber das ist anscheinend irgendwie unösterreichisch, denn das gab es ja auch in der Corona-Politik nicht wirklich.

Die Grünen laufen hier Gefahr, in das Versagen der ÖVP mit hineingezogen zu werden. Die Volkspartei liefert seit Jahren, konkret seit dem Beginn der "Ära" Sebastian Kurz 2017, den Nachweis, dass sie konstruktive, gestaltende Politik nicht kann. Das ist für eine Kanzlerpartei, die angetreten ist, "einen neuen Weg" zu gehen und Österreich zu verändern, ein hartes Urteil. Aber eines, das sich nicht mehr verschleiern lässt.

Riesiger Schmäh

Soeben hat der Rechnungshof festgestellt, dass das einzige große Strukturprojekt der türkis-blauen Kurz-Strache-Koalition, die Zusammenlegung der Sozialversicherungen und die damit verbundene Einsparung einer "Patientenmilliarde" ein einziger, riesiger Schmäh war. Das haben Leute, die Kurz früh für einen Blender gehalten haben, von Anfang an gewusst oder geahnt. Aber jetzt ist es amtlich. Die Einsparung hat es nie gegeben, sie wurde auch nie ernstlich angegangen, es war alles nur ein Instrument, um die Roten raus aus der Sozialversicherung zu bringen. Und die Herren Kurz, Strache und Co haben das gewusst.

Sie haben auch gewusst, dass die dumme und boshafte Kürzung des Kindergeldes für hier arbeitende Ausländerinnen (vor allem Pflegepersonal) vor dem EuGH nicht halten würde. Aber sie wollten populistische Punkte miesester Art machen.

Mit dem Eintritt der Grünen in die Regierung und dem Austritt von Kurz (auf Druck der Grünen, immerhin) hat sich das etwas verbessert, aber an der prinzipiellen Gestaltungskraft dieser Regierung hat das wenig geändert. Der Verschleiß an grünen Gesundheitsministern, auch durch schwarze Obstruktion, ist ein Symbol für eine bestenfalls halb gelungene Corona-Politik. Unter Kanzler Karl Nehammer ist die Gestaltungskraft der ÖVP nicht viel besser geworden. Immerhin verzichtet man auf die ärgsten Inszenierungsschmähs. Immerhin setzt Nehammer doch mehr auf Solidarität in der EU als der Orbán- und Putin-Versteher Kurz.

Aber jetzt geht es darum, Österreich durch einen gefährlichen Herbst und Winter zu bringen und eine neue Energiepolitik aufzusetzen. Kann das die aktuelle Regierung? Ist die skandalgeschüttelte ÖVP in der Lage, eine seriöse, strukturierte Krisenpolitik zu machen? Sind die Grünen in der Lage, dabei ihren Part zu übernehmen?

Man soll es nicht ausschließen, aber es bedarf sehr bald eines entsprechenden Signals.(Hans Rauscher, 6.7.2022)