Die Bewegungsmuster der rankenden Pflanze machen die Erbse nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch für die künstlerische Forschung interessant.

Foto: Akademie der bildenden Künste Wien / FWF / Peek AR574

Ein Erbsenhirn wird gemeinhin jenen angedichtet, die nicht mit hoher Intelligenz gesegnet sind. Die Hülsenfrucht mit Dummheit in Verbindung zu bringen wird ihren tatsächlichen Fähigkeiten allerdings nicht gerecht: "Man kann die Erbse trainieren, fast wie einen Hund", konstatierte Monica Gagliano. Die Biologin der Universität Sydney kooperiert derzeit mit der Akademie der bildenden Künste Wien in einem Projekt, das die teils unterschätzte Pflanze in den Mittelpunkt stellt.

Am Institut für Kunst und Architektur widmet sich ein Forschungsteam unter der Leitung von Wolfgang Tschapeller der Erbse. Die Untersuchung ist Teil eines größeren künstlerischen Forschungsprojektes namens "Unstable Bodies", das sich mit verschiedenen Formen menschlicher Wahrnehmung im Raum beschäftigt. "Es geht um die Frage: Was bedeutet überhaupt Sehen, Hören oder Berühren?", erklärt die Projektmitarbeiterin Christina Jauernik.

Nach einer ausführlichen Beschäftigung mit dem menschlichen Körper wurde man neugierig darauf, sich mit der Sinneserfahrung anderer Lebewesen zu beschäftigen. Inspiriert von Teammitglied Monica Gagliano, fand die Gruppe in der Erbse eine passende Gefährtin für die Erforschung pflanzlicher Wahrnehmung. Die Erbse habe als Forschungspflanze ohnehin schon eine lange Karriere, sagt Jauernik.

Erbsen lassen sich beinahe wie ein Hund trainieren, sagt die australische Biologin Monica Gagliano.
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Hoher Bewegungsdrang

"Speziell für unser Vorhaben ist sie vor allem deswegen gut geeignet, weil sie sich extrem viel bewegt: Sie hat in der Hinsicht ein unglaubliches Spektrum mit einem besonders eigenständigen Bewegungsvokabular und wächst äußerst schnell." Als Forschungsobjekt sei sie daher für das Team sehr inspirierend. An dem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt sind auch Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Tanz und Choreografie beteiligt.

Sie übersetzen die bislang vorliegenden Forschungsergebnisse in eigene Performances. In verschiedenen Versuchsanordnungen probiert man nun, so einen gemeinsamen Wahrnehmungsraum von Menschen und Pflanzen zu konstruieren. Unlängst waren in der Galerie der Akademie in der Wiener Eschenbachgasse verschiedene dieser Aufbauten öffentlich zu besichtigten — begleitet wurde die Schau von Fachdiskussionen und Aufführungen.

Dabei wurden etwa unterschiedliche Erbsensorten aus dem Arche-Noah-Samenarchiv in Schiltern angepflanzt und mit einer automatisierten Kamera in unterschiedlichen Intervallen fotografiert und zu Zeitraffervideos zusammengefügt. So wurde in einer Serie von Aufnahmen das Wachstum der Erbsen aufgenommen, dokumentiert und analysiert. Die Erbse macht dabei — wie bereits von Charles Darwin beschrieben — auf der Suche nach Rankhilfen eine kreisende Bewegung, die für das menschliche Auge eigentlich nicht wahrnehmbar ist.

Neben visuellen Aspekten steht in dem interdisziplinär besetzten Forschungsprojekt auch die Akustik im Mittelpunkt. Die Frage ist, ob Erbsenpflanzen Töne von sich geben.
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Künstlicher Sonnenlauf

Daher war es für das Forschungsteam eine Herausforderung, die einzelnen Zirkulationen sicht- und nachvollziehbar zu machen: "Wir haben die Zeitintervalle der Bilder immer weiter verkürzt, bis wir zu einer flüssigen ersten Bewegung gekommen sind." Zusätzlich wurde über diesem Versuchsaufbau eine Natriumdampflampe auf einem Kameraarm montiert, wodurch der Lauf der Sonne imitiert wurde, sodass auf den Aufnahmen zu sehen ist, wie sich das Wachstum der Erbse im Tageslicht entwickelt.

Aber die Pflanzen wurden nicht nur auf visueller Ebene beobachtet. Ebenso wurde untersucht, welche Töne sie von sich geben: Dazu arbeiteten Jauernik und ihr Team mit Hydrophonen, die eigentlich für Unterwasseraufnahmen konzipiert sind. "Monica Gagliano hat uns diese Technik ans Herz gelegt. Sie arbeitet selbst damit, weil Erde und Wasser in der Hinsicht anscheinend ähnliche Eigenschaften haben." Damit sollen Geräusche, die die Pflanzen eventuell sonst unbemerkt von sich geben, eingefangen werden.

"Bislang haben wir noch nichts gehört, aber wir hoffen noch, dass wir dafür die richtige akustische Auflösung finden, um auch in diesem Bereich Material zu bekommen", erklärt Jauernik. Des Weiteren versuchte das Projektteam, den Wuchs der Erbse mithilfe von computeranimierten 3D-Grafiken zu illustrieren, um zu zeigen, wie sie sich als geometrische Figur entwickelt. "Das ist praktisch eine Reaktion auf ein frühes Darwin-Experiment — mit anderen Geräten und Mitteln." Dieser hatte die Bewegungen von Pflanzen noch händisch auf einer Glasplatte nachgezeichnet. Das Team der Akademie der bildenden Künste Wien griff denn auch selbst auf die bereits in die Jahre gekommene Technik zurück.

Im Projekt "Unstable Bodies" kommen unter anderem Dia- und Overhead-Projektoren zum Einsatz.
Foto: Akademie der bildenden Künste Wien / FWF / Peek AR574

Langfilm zur Hülsenfrucht

Für die gezeigten Vergrößerungen der Erbse wurden Diaprojektoren eingesetzt. Die gehören aber offenbar gar nicht zum alten Eisen, wie man aus der Wissenschaft erfuhr. Von den geladenen Fachleuten verriet Ingeborg Lang vom Departement für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie der Uni Wien, dass sie diese Geräte nutzt, um den Prozess der Photosynthese zu veranschaulichen. "Das waren ganz interessante Verschränkungen zwischen Wissenschaft und bildender oder performativer Kunst, die auf ähnliche Apparaturen zurückgreifen, um ganz unterschiedliche Dinge sichtbar zu machen", sagt Jauernik. Am Ende soll das gesammelte Medienmaterial zu einem Langfilm verarbeitet werden. Im Mittelpunkt steht dann die vielseitige und gar nicht dumme Erbse. (Johannes Lau, 24.7.2022)