Der Wiener Coach und Unternehmensberater Ronny Hollenstein sieht seine Wohnung als Safe Space, in dem er vom Arbeiten und von den vielen sozialen Kontakten abschalten kann.

"Ich lese dieses Format sehr gerne, denn das sind ja keine Minotti-Designer-Gespräche und auch keine Vitra-Interviews, sondern Reflexionen darüber, wie Menschen wohnen und warum sie gerne heimkommen. Ich jedenfalls komme sehr gern nach Hause. Schon seit ich denken kann! Die einzige Ausnahme war meine erste Wohnung in Wien, irgendwo im dritten Bezirk. Es war meine allererste Nacht in dieser Stadt, ich hatte einen Schlafsack, eine Stereoanlage, eine Kerze und eine Barbra-Streisand-CD: Yentl. Kein Witz! Ich glaube, ich habe mich an diesem Abend in den Schlaf geweint.

Ronny Hollenstein in seiner Wohnung im fünften Bezirk, in der er seit fünf Jahren wohnt.
Foto: Lisi Specht

Heute ist das anders. Ich wohne in der Kettenbrückengasse im fünften Bezirk, auf 135 Quadratmetern, ich liebe diese Gegend, ich mag das Haus wahnsinnig gerne, das war früher ein Kutscherhaus, wo im Hof die Pferde getränkt und gewaschen wurden, das sieht und spürt man auch heute noch. Ich sehe die Wohnung als einen Safe Space für meinen sozialen Rückzug, es sind Räume, die mir Halt geben. Da stört es auch nicht, dass durch die Kettenbrückengasse nach der Sperrstunde die Alkoholleichen marschieren oder sich mitten in der Nacht Beziehungsdramen unter meinem Fenster abspielen.

Eingerichtet ist die Wohnung ganz anders, als ich es von meinem Elternhaus kenne. Aufgewachsen bin ich in Vorarlberg in einer Einbauwelt mit Einbauschränken und Einbauvitrinen, Kirschholz bis zur Decke. Hier ist nichts Einbau, hier ist alles leicht und flexibel. Lauter kleine Möbel, die man mit einem Hauruck zur Seite schieben kann. Daher passt auch nicht immer alles perfekt zusammen. Was am wenigsten irgendwohin passt, ist dieses Plexiglastischchen von Ikea hinter mir in Rot. Ein entsetzlich hässliches Ding, aber so entsetzlich, dass man es eines Tages ins Herz schließt und dass es einen durch viele, viele Wohnungen begleitet. Und Wohnungen hatte ich schon elf.

"Was länger als ein Jahr nicht in Gebrauch war und nicht mit Freude angeschaut wurde, das fliegt", sagt Ronny Hollenstein.
Fotos: Lisi Specht

Die Mobilität der Dinge hängt auch damit zusammen, dass ich mich immer wieder von Möbeln, Kleidungsstücken und Accessoires trenne. Meine Kriterien lauten: Ich muss etwas gerne anschauen oder mindestens einmal im Jahr aktiv benützen. Was länger als ein Jahr nicht in Gebrauch war und nicht mit Freude angeschaut wurde, das fliegt. Und so wohne ich hier mit einer Art Quintessenz, mit einem eingedampften Destillat des Habens und Brauchens.

Ich möchte übrigens auch niemals eine Wohnung besitzen. Ich bin Mieter aus Überzeugung. Ich will so lange an einem Ort bleiben, solange es mir da gefällt. Das steht ganz krass im Kontrast zur Ländle-Mentalität "Schaffe, schaffe, Hüsle baue". Immerhin, ich bin hier jetzt schon seit fünf Jahren, und ich denke, ich werde noch länger bleiben. Die Mama kommt gern auf Besuch und hat mir verboten, die Wohnung zu kündigen, weil sie sagt, die ist so super. Na, wenn das kein Grund ist! Darf ich an dieser Stelle ein Addendum anführen und sagen, dass ich die Immobilien- und Development-Branche mit ihren geldgierigen, unmenschlichen Immobilienhaien zutiefst verabscheue?

Ronny Hollenstein ist überzeugter Mieter und möchte eine Wohnung niemals besitzen.
Fotos: Lisi Specht

Zurück zum Wohnen: In meinem Job bin ich damit beschäftigt, als Coach Menschen zu begleiten und Gruppen zu leiten. Ich bin ein kommunikativer, sozial durchaus kompetenter Mensch, und ich mache das gerne. Aber im Privatleben muss ich das kompensieren, professioneller Single, sonst würde ich wohl durchdrehen. Und so gerne ich Freunde und Bekannte zum Abendessen einlade, jeder, der mich besucht, der weiß: Jede Einladung hat ein Ende – und zwar nach spätestens drei Stunden. Was man in drei Stunden nicht besprochen hat, schafft mal wohl auch nicht in der vierten, die mir dann von meiner Zeit abgeht. Daher sage ich nach drei Stunden: Danke, schön war’s, ihr gehts jetzt dann bitte.

Wenn ich alt bin, will ich eine Alters-WG gründen, eine Art Melrose Place für coole, junggebliebene Senioren, mit einem Dampfbad zum Schwitzen. Dann werde ich meinen Job nicht mehr machen, dann werde ich hoffentlich etwas weniger misanthropisch und gesellschaftstauglicher sein als heute. Ist zwar noch nicht spruchreif, aber ich freue mich schon drauf." (11.7.2022)