Die kleine Josefine wird über den Dorfplatz getragen, die zweijährige Naomi ist gerade dabei, sich im Sand zu verbuddeln, und Nepomuk, keine Handvoll Lenze alt und schon ein Vokuhila wie aus einem Modern-Talking-Clip entsprungen, hat im Moment, wie es scheint, Ameisen und Marienkäfer im Visier. Es ist, als stünde man plötzlich mitten in Bullerbü, bloß sind die Häuser alle naturfarben und nicht rot wie in Südschweden, gleich kommt Astrid Lindgrens Protagonistin hinter einer hölzernen Ecke hervorgehüpft. "Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt, und drei macht neune. Ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt. Hey Pippi Langstrumpf, trallari trallahey tralla hoppsasa!"

Naturfarbene Holzhäuser mit vielen inneren Werten: das Baugruppenprojekt Auenweide von Einszueins Architektur.
Foto: Lisa Jochum

Allein, das österreichische Bullerbü liegt näher, als man glauben möchte, acht S-Bahn-Stationen von Wien entfernt und dann keine zehn Minuten zu Fuß, mitten durch den Einfamilienhaus-Siedlungsteppich der letzten Jahrzehnte, ehe man am nördlichen Ende von St. Andrä-Wördern am Rande des Überschwemmungslandes von Hagenbach und Donau ein neu erschlossenes Grundstück an einer Schotterstraße erreicht. 24 Wohneinheiten, verteilt auf acht freistehende Häuschen, die meisten davon aufgeständert auf Stützen, sodass das Hochwasser im Notfall unterm Haus durchfließen kann, willkommen in der Auenweide.

"Die Auenweide ist eine alternativ finanzierte, ökosoziale Siedlung nordwestlich von Wien. Hier werden Modelle für das Zusammenwohnen der Zukunft erprobt", heißt es auf der Website des Projekts, hinter dem sich das Wiener Büro Einszueins Architektur verbirgt und das vor wenigen Wochen erst frisch besiedelt wurde. "Was uns eint, ist die Überzeugung, dass unser Zusammenleben in Zukunft auch anders funktionieren kann als jetzt: gemeinschaftlich, generationenübergreifend, mit Rücksicht auf die Umwelt und mit einem lebendigen Geldkreislauf."

Baustelle Vermögenspool

Baugruppen gibt es schon viele, und auch wenn der Anteil an der jährlichen Gesamtwohnbauleistung immer noch ein prozentuell verschwindender ist, so haben die zum Teil preisgekrönten Baugruppenprojekte der letzten Jahre den österreichischen Wohnungs- und Immobilienmarkt um eine wertvolle Facette bereichert. Erst kürzlich wurde die Baugruppe Gleis 21 im Sonnwendviertel, ebenfalls von Einzueins Architektur geplant und moderiert, mit dem New-European-Bauhaus-Preis der Europäischen Kommission ausgezeichnet.

Der gänzlich neue Aspekt an der sogenannten Auenweide jedoch, die für die hier lebenden Menschen gewiss auch eine tägliche Augenweide darstellt, ist die Finanzierung: Für rund die Hälfte des Projektvolumens (Baukosten sieben Millionen Euro, Gesamtinvestition zehn Millionen Euro) und quasi als Ergänzung zum klassischen Bankkredit und Nachrangdarlehen wurde ein eigenes Finanzkonstrukt auf die Beine gestellt – und zwar ein Vermögenspool mit grundbücherlich gesicherten, treuhänderisch verwalteten Einlagen, an denen sich auch externe Investoren und Sparbuch-Alternativlinge beteiligen können.

24 Wohneinheiten gibt es in der Auenweide, verteilt auf acht freistehende Häuschen.
Foto: Hertha Hurnaus

"Auf diese Weise wollen wir die Wohnungen leistbar machen", sagt der Vereinskassier Markus Spitzer. "Es gibt viele Menschen, die ein Vermögen haben und dieses nicht mehr auf der Bank zu schlechten Konditionen in oft wenig transparenten Investitionen geparkt haben möchten. Diesen Menschen bieten wie eine Investitionsmöglichkeit mit Wertsicherung und Inflationsausgleich." Aktuell sind am Pool rund 200 natürliche und juristische Personen beteiligt, die für deren Investition in die Auenweide im Gegensatz zu einer Bank keine Kreditzinsen verlangen.

"Indianische Manier"

"Jeder, der hier einzieht, beteiligt sich mit einem einmaligen Finanzierungsbeitrag in der Höhe von 1100 Euro pro Quadratmeter, für die aber auch ein Investor aufkommen kann", so Spitzer. Die monatliche Miete beläuft sich auf 10,50 Euro pro Quadratmeter. Und ist einmal jemand knapp bei Kasse oder in einer belastenden finanziellen Situation, so reduziert sich die Miete auf 8,50 Euro. So ist es in den Statuten festgehalten. Zum Vergleich: "Mit einer 100-prozentigen Bankfinanzierung hätte die monatliche Miete in diesem Rechenmodell rund 14 Euro pro Quadratmeter ausgemacht. Schon ein Unterschied, oder?"

Das Hochwasser kann im Notfall unterm Haus durchfließen.
Foto: Hertha Hurnaus

So eigenständig das Finanzierungsmodell, so individuell sind auch die Architektur und die Bauweise. "Viele Baugruppen nehmen sich vor, ökologisch und nachhaltig zu bauen", meint Markus Zilker, Partner bei Einszueins Architektur, "aber im Laufe der Zeit müssen immer wieder einige Aspekte – damit das Projekt leistbar und realisierbar bleibt – wegrationalisiert werden. Nicht so in diesem Fall." Und er erinnert sich an einen lauschigen Abend im Wald am Lagerfeuer, als die Grundwerte des Projekts besprochen und in fast indianischer Manier beschlossen wurden: "Die ökologische Stoßrichtung war so stark, dass diese Entscheidung alle Höhen und Tiefen überlebt hat."

Lehmputz in Eigenleistung

Im Prinzip handelt es sich um Holzhäuser, die aufgrund der drohenden Hochwassersituation auf Betontischen stehen und nur punktuell mit wasserdichten Wannen unterkellert wurden. Die zweischaligen Sandwich-Holzelemente wurden – nachdem sie aufgestellt waren – vor Ort mit einer eingeblasenen Strohdämmung isoliert und an den Außenfassaden mit einer Lärchenlattung verkleidet. An den Innenseiten wurden die Wände von den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern in Eigenleistung mit Lehmputz verrieben. Auf diese Weise konnten die Baukosten geringfügig reduziert werden.

Ökologisch und nachhaltig zu bauen, war das Ziel – und es konnte auch realisiert werden.
Foto: Hertha Hurnaus

"Wir haben einen zweitägigen Crashkurs von einem Lehmbauspezialisten bekommen, und das war superhilfreich", sagt Roman Binder-Petzl, des kleinen Vokuhilas Papa und, wenn er nicht gerade mit Reibebrett und Lehmkübel auf der Baustelle steht, im Brotberuf AHS-Lehrer für Physik und Geografie. "Das Verputzen mit Lehm hat Spaß gemacht, und wir haben viel gelernt – aber hunderte Quadratmeter, das geht an die Substanz! Es gab schon auch ein paar Scheißdreckmomente, in denen einen der Selbstbau einfach nur überfordert und man hofft, dass das Ganze bald vorbei ist."

Diese Phase ist nun überstanden. Bullerbü ist bewohnt, 45 Erwachsene und rund 30 Kinder haben ein Zuhause nach eigenen Vorstellungen. Und auf der Warteliste, sagt Simone Roth, die eine 43-Quadratmeter-Wohnung mit Dachterrasse bewohnt, sie schaut kurz auf eine Online-Excel-Liste, stehen bereits fast 300 Personen. Und ja, die Auenweide ist ein irgendwie magischer Ort mit Nachahmungspotenzial. "Drei mal drei macht sechs, widdewidde, wer will’s von uns lernen? Alle groß und klein, trallalala, lad ich zu uns ein." (Wojciech Czaja, 10.7.2022)