In Pina Bauschs "Vollmond" bleibt niemand trocken.

Foto: Oliver Look

Dem Vollmond werden allerlei Wirkungen auf das Gemüt angelastet. Doch er scheint weitgehend entlastet, denn keiner dieser Effekte – darunter mehr Unfälle, Verbrechen oder Drogenkonsum – ist wissenschaftlich nachweisbar. "Es ist Vollmond: Man wird nicht besoffen", perlt es aus dem Mund einer Frau in rotem Kleid in Pina Bauschs Tanztheaterstück Vollmond, das jetzt zum Auftakt des Impulstanz-Festivals im Burgtheater zu sehen ist.

Hat sich die weltberühmte, vor 13 Jahren verstorbene deutsche Choreografin da über den Aberglauben lustig gemacht? Die Tendenz, etwas Unerklärliches oder Unangenehmes höheren Instanzen zuschreiben zu wollen, ist bekanntlich eine Urform von Fake News und Verschwörungsmärchen.

An diesen Defekt führt Bauschs heute wieder hochaktuelles Stück aus dem Jahr 2006 heran. Der Mond selbst bleibt unsichtbar, die Natur wird durch einen Felsblock und mit Regen repräsentiert, der einen Teil der Bühne überschwemmt. Und nicht zu vergessen, durch die Tänzerinnen und Tänzer, die das aus ihnen – wie uns allen – wuchernde Naturphänomen namens "Kultur" einbringen.

Geschicklichkeitsspiele

Bei Vollmond lassen Tänzer anfangs Wasserflaschen hauchen, veranstalten Geschicklichkeitsspiele mit Gläsern oder Steinen. Eine wenig beeindruckte Frau drängt einen Mann mit einer Küsschenattacke ab. Vielfaches Beziehungsgeplänkel schäumt und spritzt auf. Dabei melden sich beinahe nur die Tänzerinnen zu Wort, während den Männern die Felle ihrer Dominanz buchstäblich davonschwimmen.

Auftritte und Abgänge erfolgen in kurzen Abständen, ein Witz folgt dem anderen: Eine Tänzerin mit Messer in der Hand reibt sich wie manisch mit einer Zitronenhälfte ein und bemerkt: "Ich bin ein bisschen sauer." Eine andere beschwert sich darüber, dass Milch auf dem Herd immer gerade dann übergeht, wenn man sich umdreht. Und eine dritte erheitert das Publikum mit: "Ich habe geträumt, meine ganze Wohnung war sauber."

Keine Sekunde in diesem mehr als zweistündigen Vollmond-Szenenreigen kommt Langeweile auf. Leichtigkeit und Hintergründigkeit führen durch einen Abend, der zwischendurch mit herrlichen Soloparts aus der anekdotischen Ironie ins Traumhaft-Poetische führt. Verständlich also die Standing Ovations im gut gefüllten Burgtheater. (Helmut Ploebst, 8.7.2022)