Das großteils männliche Publikum sorgte in Spielberg teilweise für nicht akzeptable verbale und körperliche Übergriffe.

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Maria Reyer: "Nur weil die Polizei nichts mitgekriegt hat, heißt es nicht, dass nichts passiert ist."

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"Bin nicht verwundert!" – "Das erstaunt mich nicht!" – "Ganz und gar nicht überraschend!": So sahen, und das überrascht sehr wohl, viele Reaktionen auf Berichte von Sexismus, Homophobie und Rassismus beim Formel-1-Wochenende in Spielberg aus.

"Da ist viel durchgebrochen, was zuvor jahrelang unter den Teppich gekehrt wurde", sagt die Motorsport-Journalistin und Bloggerin Maria Reyer, deren Elternhaus in der Nähe des Red-Bull-Rings liegt und die seit Jahren die Formel 1 und den GP von Österreich verfolgt. Auch am Wochenende war sie vor Ort und hatte "gegen Abend in der Fanzone das Gefühl, dass es nur noch um Party und Saufen geht". Und dass man als Frau dort aufpassen müsse.

Reyer begrüßt, dass etliche, vor allem weibliche Fans berichteten, was ihnen widerfuhr. Die Palette reichte von verbalen Übergriffen ("Catcalling") bis zu körperlichen. Sie selbst, sagt die Journalistin, habe lange "das Verhalten vieler Fans auch einfach als üblich hingenommen, weil ich weiß, wie es an Rennstrecken eben oft so zugeht".

Denn das Problem, betont sie im Gespräch mit dem STANDARD, beschränke sich weder auf den GP von Österreich noch auf Fans von Max Verstappen, von denen allerdings einige tatsächlich "ihre Manieren bei der Einreise an der Grenze abgegeben" hätten.

In den sozialen Medien hatten insbesondere weibliche Fans von Übergriffen der "Orange Army" berichtet, einige waren daraufhin am Renntag von F1-Teams (Mercedes, Aston Martin) eingeladen worden, Reyer würde sich auf den Tribünen "mehr Präsenz von Sicherheitskräften" wünschen. "Von ihnen sieht man da recht wenig."

"Safe Spaces" als Idee

Auch die Einrichtung von "Safe Spaces", insbesondere für Menschen, die vielleicht alleine anreisen, wäre keine schlechte Idee. Und auf den Eintrittskarten sollte die Nummer einer Hotline stehen, an die man sich bei Problemen wenden könnte.

Dass die Polizei bis Sonntagabend keine einzige einschlägige Anzeige aufnehmen musste, hat Reyer kaum überrascht. Es lag gewiss nicht allein daran, dass auf dem Renngelände ein eigener Sicherheitsdienst zuständig ist und die Polizei nur dann einschreitet, wenn sie gerufen wird. "Nur weil die Polizei nichts mitgekriegt hat, heißt es nicht, dass nichts passiert ist", sagt Reyer. Gleichwohl will sie festgehalten wissen, dass sich "wahrscheinlich 99 Prozent des Publikums völlig okay verhalten".

Könnte ein Alkoholverbot auf dem Renngelände dazu beitragen, dass da und dort nicht alle Hemmungen fallengelassen werden? Reyer will es nicht ausschließen. "Heineken ist ein großer Formel-1-Sponsor, der ja schon im Paddock sein alkoholfreies Bier forciert. Das könnte man sicher ausdehnen."

Aufgeheizte Stimmung

Insgesamt sei die Stimmung auf den Fantribünen schon einmal freundlicher, friedlicher gewesen, meint Reyer. Das knappe, um nicht zu sagen: strittige Saisonfinale 2021 zwischen dem späteren Weltmeister Verstappen und dem entthronten Lewis Hamilton habe die Lage merkbar verschärft. Da kursierte dann auch ein Video von einem Verstappen-"Fan", der eine Hamilton-Kappe angezündet hatte. Reyer: "Und jetzt wird Verstappen in Silverstone ausgebuht, und in Spielberg jubeln die Fans, wenn Hamilton von der Strecke fliegt."

Vor zwei Jahren hat die Formel 1 eine Initiative unter dem Titel "We race as one" gestartet. Diese Aktion wieder mehr in den Vordergrund zu rücken könne nicht schaden, sagt Maria Reyer. Da dürfe es auch nicht bei einmaligen Auftritten bleiben. "Es ist gut, wenn sich die Teams und Fahrer klar positionieren und betonen: Die Formel 1 ist ein inklusiver Sport." (Fritz Neumann, 12.7.2022)